Kulturmagazin mit Charakter
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In Donizettis 60. von insgesamt 71 geschriebenen Opern erlebt der Zuschauer eine klassische Komödie um einen reichen, alten, umso heiratswilligeren Mann, der über das Leben seines Neffen Ernesto bestimmen will und ihn – als er ihm nicht folgen will – enterbt. In einer klassischen Verkleidungs- und Verstellungskomödie wird der Alte mit seinen eigensinnigen Plänen ausgehebelt und die jungen Liebenden können zueinander finden.
Die Figuren sind den Typisierungen der Commedia dell’Arte entlehnt, jedoch im drama buffo vielschichtig angelegt. Die Charaktere attackieren nicht nur ihre Widersacher, sie empfinden letztendlich auch Mitleid, können den Schmerz des Verletzten erkennen und agieren nicht ohne Nachdenklichkeit. Letztendlich changiert die Spielhandlung mitunter sehr plötzlich zwischen Komik und Tragik.
Die Hamburger Oper hat das 1843 in Paris uraufgeführte Werk nach einer Pause von über 25 Jahren nunmehr mit dieser Neuinszenierung wieder auf den Spielplan gehoben.
Der Regisseur David Bösch zusammen mit dem Bühnenbildner Patrick Bannwart sowie dem Kostümbildner Falko Herold vermag die Handlung in ein fantasievolles Ambiente der Gegenwart zu verwandeln.
Don Pasquales Heim ist dominiert durch einen den Bühnenraum wie der Elefant im Raum beherrschender Tresor mit an Dagobert Duck erinnernden Geldbergen. Dieser Geldregen wird allerdings durch die ihm zugeführte junge Frau Norina in kürzester Zeit gründlich verprasst und der Tresor schmilzt schließlich fast komplett zusammen.
Foto © Brinkhoff/Mögenburg
Die Szene wird wiederholt mit Videoeinblendungen von Pasquales geschäftlichem und gesellschaftlichem Aufstieg und Fall begleitet, drei uralte Diener umsorgen Pasquale in seinem Tresor, wobei der Haushofmeister wie ein gealterter Riff-Raff aus der Rocky-Horror-Picture Show auftritt.
Die Handlung ist spritzig und klar erzählt. Es bleibt deshalb ein gewisses Geheimnis, warum die Protagonisten mitunter untereinander so verloren auf der Szene verbleiben. Liegt an den sehr unterschiedlichen Charakteren der Darsteller? Sind die stimmlichen Eigenschaften der Sänger zu unterschiedlich? Ist es einfach die Thematik der Vorlage?
Ambrogio Maestri als Don Pasquale ist womöglich der weltweit erfahrenste Vertreter dieser Rolle. Er hat in Hamburg einen bejubelten Falstaff ebenfalls in einer Neuproduktion gegeben und ist sich für keinen gelungenen Bühnenwitz zu schade. So klettert er mit seiner imposanten Erscheinung auch auf ein Fitnessrad, um sich für seine zukünftige Frau zu ertüchtigen. In Bühnenerfahrung und Stimmpotenzial ist es für jeden Partner gar nicht so einfach, in Darstellung und Imposanz mitzuhalten.
Kartal Karagedik als Dottore Malatesta, der Intrigentreiber und Strippenzieher der Handlung bewährt sich dabei dennoch auf das Beste. Seine sonore, klug geführte Baritonstimme und sein wendiger Auftritt machen ihn zu einem ebenbürtigen Partner.
Die Norina der Danielle de Niese tritt von Beginn an einigermaßen aufgekratzt und vielfach mehr als farbig gekleidet auf. Die Stimme klingt schon am Anfang leicht schrill: Die Darstellung bleibt den Abend liebenswert, aber auch etwas aufgekratzt. Vielleicht muss man berücksichtigen, dass die Sängerin die Rolle kurzfristig übernommen hat.
Ganz im Gegensatz dazu steht Levy Sekgapane als ihr zukünftiger Ernesto, der seinen lyrischen Tenor sehr zurückhaltend und nachgerade scheu zum Einsatz bringt. Man kann sich das junge Paar nicht sofort in einer gemeinsamen Zukunft vorstellen.
Der Regisseur weist in einem im Programmheft abgedruckten Interview darauf hin, dass er glücklich ist, das Werk mit Protagonisten aus nicht weniger als fünf verschiedenen Ländern zu realisieren. Die auf der Bühne agierenden Menschen erhalten so einen gewissermaßen allgemeingültigen, nicht auf einen Kulturkreis oder gar ein Land festgelegtes Ambiente – wie in einem Ideal einer offenen, global agierenden Gesellschaft.
Diese Diversität mag aber auch eine Herausforderung bilden, wie etwa in dem letzten Bühnenbild einer gar nicht so kuscheligen Sommernachtstraum-Stimmung, in der deutlich wird, dass alle beteiligten Menschen weiter und laufend an ihrem Miteinander werden arbeiten müssen – in diesem Sinne also eine gelungene Umsetzung des vielschichtigen drama buffo in ihrem ureigenen tragicomico.
Das Hamburger Publikum amüsiert sich bestens und weiß die nachdenkliche Umsetzung der Oper sehr zu schätzen. Viel Applaus für die Sänger. Von einem einzigen Protestruf abgesehen, wird auch das Regieteam begeistert beklatscht.
Die Hamburger Oper hat so dem Repertoire des Haues eine wirkungsvolle Ergänzung hinzufügen können, die hoffentlich einige Jahre Bestand haben wird.
Die Premiere wird zum 30-jährigen Bestehen des Fernsehsenders Arte zeitversetzt übertragen.
Achim Dombrowski