O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Entschleunigtes Musik-, entfesseltes Tanztheater

HERZOG BLAUBARTS BURG/DER WUNDERBARE MANDARIN
(Béla Bartók)

Besuch am
15. Januar 2022
(Premiere)

 

Theater Hagen

Mit einem Doppelabend zweier Schlüsselwerke Béla Bartóks setzt Hagens Intendant Francis Hüsers seine ehrgeizige und anspruchsvolle Spielplanpolitik fort. Dem durch die pandemischen Einschränkungen ohnehin dezimierten Publikum, das selbst einem Kassenknüller wie Humperdincks Hänsel und Gretel nur mit schwachem Besuch folgt, kommt er damit nicht unbedingt entgegen. Umso erfreulicher, dass wenigstens die Premiere des neuen Bartók-Abends auf relativ großes Interesse stößt.

Die Werke als auch die Ausführung lohnen einen Besuch allemal. Mit der Oper Herzog Blaubarts Burg und dem Ballett Der wunderbare Mandarin stehen zwei knapp gefasste, hoch konzentrierte Stücke denkbar unterschiedlicher Machart auf dem Programm. Die Kontraste werden durch den Einsatz zweier Regisseure unterstrichen, die die Gegensätze auch prägnant ausspielen.

Bartóks introvertiert nach innen gerichteter Oper wird mit dem einst skandalösen Tanzstück ein aggressiver Kontrapunkt entgegengestellt. Intendant Hüsers erklärt die Oper zur Chefsache und nimmt die Regie in eigene Hände. Mit dem Versuch, das symbolistisch verschlüsselte Libretto realistisch zu deuten, geht er ein Risiko ein, indem dadurch die geheimnisvolle Aura des Werks und ihrer Figuren leicht zerstört werden kann. Allerdings geht Hüsers dabei so behutsam vor, dass sich seine Deutung immerhin rational nachvollziehen lässt, ohne die Handlung gegen den Strich zu bürsten.

In Hagen kauert Herzog Blaubart in einer Gefängniszelle und wird von der Gefängnispsychologin Judith aufgesucht, der er Einblicke in sein Seelenleben und sein verbrecherisches Tun gibt. Reale Türen öffnen sich nicht. Die Kammern mit den Selenzuständen Blaubarts eröffnen sich sowohl Judith als auch den Zuschauern lediglich durch die Monologe Blaubarts. Auch die getöteten Frauen bleiben unsichtbar. Visionär heben sich im Laufe des Stücks zeitweise die Gitterstäbe und gaukeln Blaubart eine vermeintliche Freiheit vor, die sich am Ende als trostlose Illusion entpuppt. Blaubart verharrt wieder in seiner Zelle und Judith verlässt dienstbeflissen ihr Untersuchungsobjekt.

Eine optisch durchweg dunkel gehaltene und auf Requisiten und aufwändige Bühnenbilder vollständig verzichtende Inszenierung, die von der Intensität und detailgenau ausgefeilten Darstellung der beiden Protagonisten lebt. Und damit kann Hüsers Inszenierung vollauf überzeugen. Unterstützt von den beiden geradezu überragenden Gesangssolisten: Dong-Won Seo mit seinem großen, voluminösen, aber zugleich nuanciert artikulierenden Bariton als Herzog Blaubart und Dorottya Láng als Judith, die sich im Laufe des Stücks den emotionalen Erschütterungen Blaubarts anpasst und ihre Rolle auf gleichem Niveau verkörpert und stimmlich zum Ausdruck bringt.

Generalmusikdirektor Joseph Trafton verwendet, wie zuletzt auch Axel Kober an der Deutschen Oper am Rhein, die orchestral entschlackte Version von Eberhard Kloke, wodurch der Klang in einem Haus von der Größe des Hagener Theaters zwar nicht an Volumen verliert, allerdings an schillernder Farbigkeit, so dass das Philharmonische Orchester teilweise härter und gröber aufspielt als wünschenswert.

Schroffe klangliche Ecken und Kanten verkraftet Bartóks Ballett Der wunderbare Mandarin erheblich besser als die Oper. Für die wüste Handlung um eine Prostituierte, die Freier anlockt und von ihren Zuhältern ausrauben lässt, bis sie auf den geheimnisvollen, scheinbar unsterblichen „Mandarin“ trifft, legt der Choreograf Kevin O’Day den Turbo-Gang ein und entfacht geradezu entfesseltes Tanz-Inferno in Rekordtempo. Respekt für die Hagener Compagnie, die pausenlos über die Bühne hetzen und springen muss, als wollte und sollte sie den verordneten Bewegungsmangel des letzten Jahres in komprimierter Dichte aufholen.

Um auch alle Tänzer seiner Truppe beschäftigen zu können, bezog sie O’Day in die Konzeption der Choreografie ein und lässt sie allesamt tanzen. Das führt zu simultanen Doppel- und Mehrfachbesetzungen aller Rollen, die eine Unterscheidung der Figuren nicht leicht macht. Letztlich lassen sich Täter und Opfer kaum mehr voneinander unterscheiden, wobei auch die geschlechtlichen Grenzen verwässert werden, wenn Männerpartien mit Frauen und umgekehrt besetzt werden.

Das Ganze rollt wie ein virtuoses Feuerwerk vor den Augen des Publikums ab, befeuert vom ebenso hitzigen Dirigat Traftons. Ein extremer Kontrast zur bewusst entschleunigten Personenführung der vorangegangenen Oper.

Begeisterter Beifall des Premierenpublikums für einen ambitionierten Abend auf erfreulich hohem künstlerischem Niveau.

Pedro Obiera