O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Geld oder Liebe

DER GRAF VON LUXEMBURG
(Franz Lehár)

Gesehen am
11. April 2020
(Stream)

 

Theater Hagen

Dass es Franz Lehár anlässlich seines 150. Geburtstags besser ergehen könnte als im letzten Jahr seinem 50 Jahre älteren Kollegen Jacques Offenbach, war nicht zu erwarten. Die Chance, manche Lücke und manches Versäumnis in der Rezeption Offenbachs schließen und ausgleichen zu können, wurde vertan. Der Knockout durch die Corona-Krise und die übermächtige Beachtung des 200. Geburtstags Ludwig van Beethovens nehmen einer eingehenderen Beschäftigung mit Franz Lehár den letzten Wind aus den ohnehin schlaffen Segeln. Immerhin hat das Theater Hagen im letzten Herbst mit einer Neuinszenierung der Operette Der Graf von Luxemburg an das Jubiläum erinnert. Also mit einem der bekannteren Stücke des Meisters, das vor einigen Jahren noch in der Deutschen Oper am Rhein auf dem Spielplan stand.

Im Rahmen ihres Coach Theaters, mit dem das Hagener Theater die aufführungsfreie Durststrecke online auszufüllen versucht, steht auch ein Mitschnitt der Generalprobe des Grafen von Luxemburg auf dem Programm. Nur einmal und man muss schon technische Abstriche machen, da die Aufnahme ursprünglich nicht für eine weitere Verbreitung gedacht war. Wenn man sich an die eindimensionale Kameraführung und an die Tonprobleme gewöhnt hat – so sind die gesprochenen Dialoge kaum zu verstehen – kann man sich an einer quirligen Aufführung erfreuen, die vor allem durch ihr rasantes Tempo gefällt und selbst in den lyrischen Teilen sentimentalem Schmalz keine Chance gibt. Durchaus im Sinne Lehárs, der mit dem Grafen von Luxemburg 1909 an den Erfolg der vier Jahre zuvor aus der Taufe gehobenen Lustigen Witwe anknüpfen konnte. Der Urfassung der Lustigen Witwe fehlten noch etliche der gefühlsvollsten und bekanntesten Hits der späteren Version. Und wer sich davon überzeugen will, dass selbst die rührseligsten Arietten natürlich und ohne jeden sentimentalen Fettansatz gesungen werden können, sollte auf die wunderbaren Tondokumente Richard Taubers zurückgreifen.

Dass sich Lehár in der Zeit vor dem Weltkrieg ohnehin stärker an die Vorbilder Franz von Suppés und vor allem von Johann Strauss und nicht, wie später, an der romantischen Oper orientierte, zeigt auch die Verwendung des Sujets des Grafen von Luxemburg, das auf das Libretto von Strauss‘ letzter und völlig erfolgloser Operette, der Göttin der Vernunft, zurückgeht. Geld oder Liebe, das ist die Frage: Der blasierte Fürst Basil möchte die berühmte, aber bürgerliche Operndiva Angèle Didier heiraten. Um ihr einen standesgemäßen Rang zu verleihen, bittet er den abgebrannten Grafen René, den „Grafen von Luxemburg“, gegen ein stattliches Honorar mit der Diva eine Scheinheirat einzugehen, die nach drei Monaten wieder geschieden werden soll. Doch René und Angèle entdecken ihre Liebe, René ist bereit, auf das Geld zu verzichten, darf es aber doch behalten, weil Basil Angèle ohnehin nicht heiraten kann, da er ein älteres Eheversprechen einlösen muss.

Roland Hüve hängt nicht dem derzeitigen Trend an, Operetten des frühen 20. Jahrhunderts mit den Katastrophen der damaligen Zeit in Beziehung zu setzen. Er unterstreicht etwas einseitig den Unterhaltungswert des Stücks, setzt auf Tempo und Bewegung samt reichlich eingesetztem Ballett. Handwerklich auf gutem Niveau, wenn auch auf Dauer etwas banal wirkend. Bühnenbildner Siegfried E. Mayer schafft ein schlichtes, aber stimmungsvolles Szenario, gipfelnd in einer kreisrunden Mondscheibe, in deren Glanz sich das Liebespaar näherkommt. Romantischer geht es nicht.

Die gesanglichen Qualitäten lassen sich im Umfeld einer Generalprobe nur vorsichtig einschätzen. Es ist, wie so oft am Theater Hagen, die geschlossene Ensembleleistung, die hervorzuheben ist, weniger sensationelle einzelne Darbietungen. Natürlich ist die Angèle Didier bei Angela Davis bestens aufgehoben, die auch die letzten Töne der Tosca sicher beherrscht, bevor sie sich im zweiten Akt René zuwendet. René ist mit dem in der Mittellage substanzreichen, in den Höhen jedoch begrenzten Bariton Kenneth Mattice angemessen besetzt. Der Fürst Basil findet in Oliver Weidinger und das Buffa-Pärchen Armand und Juliette findet in Cristina Piccardi und Richard van Gemert verlässliche Anwälte.

Insgesamt ein kleines, amüsantes Trostpflästerchen zur Osterzeit, das allerdings vor allem den Verlust fehlender Live-Erlebnisse bewusst macht.

Pedro Obiera