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Neues aus der Häschenschule

DER FREISCHÜTZ
(Carl Maria von Weber)

Besuch am
4. Februar 2023
(Premiere)

 

Theater Hagen

Carl Maria von Webers Zugstück Der Freischütz hat es nicht leicht auf der modernen Opernbühne, diese Mixtur aus biedermeierlicher Frömmigkeit und gruseliger Schauerromantik, zur deutschen Nationaloper stilisiert, zugleich Vorlage für unzählige Parodien und Karikaturen. Sich angesichts der komplexen Rezeption unbefangen dem Stück nähern zu können, darf man von niemandem erwarten. Um sich dem von Weber nicht gewollten, aber im Laufe der Zeit patriotisch aufgebauschten Mythos vom „deutschen Wald“ zu entziehen, ziehen es die meisten Regisseure vor, die im 30-jährigen Krieg angesiedelte Geschichte entweder in ein realistisches Kriegs-Szenario anzusiedeln und oder zu parodistischen Mitteln zu greifen. Hagens Intendant Francis Hüsers beschreitet einen anderen, allerdings auch nicht rundum überzeugenden Weg, indem ihn weniger die Zeit der Handlung oder der Entstehung des Werks interessiert als vielmehr dessen Rezeption in den Jahren des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Allerdings geht er nicht auf den aufgeblähten Patriotismus dieser Zeit ein, sondern greift als Inspirationsquelle zu dem 1924 erschienen, wesentlich sanfteren Pädagogik-Klassiker Die Häschenschule von Albert Sixtus zurück. Das hatten wir noch nicht.

Eine originelle, sympathische Idee, die zu putzigen Bildern führt, wenn sowohl der Fürst als auch das Landvolk mit langen Hasenohren schlackern. Letztlich rückt Hüsers die Handlung damit in ein biedermeierliches Umfeld, wodurch sie in ihrer einseitigen Perspektive viel naiver und braver wirkt, als Libretto und Musik hergeben. Schließlich ist die Oper mit ihrem Kriegsszenario und den Ausflügen in die Schauerromantik doch um einiges vielschichtiger angelegt.

Auch wenn sich Hüsers bemüht, manche Schärfen zum Ausdruck zu bringen. Wie etwa die sozialen Spannungen zwischen den Bauern und den fürstlichen Jagdgesellen oder die autoritäre Strenge des Fürsten: Mit Hasenohren schrumpft alles auf das Format eines Kinderbuchs.

Immerhin darf der teuflische Samiel, der sich in Hagen überraschenderweise später als Eremit outet, auf die Öhrchen verzichten. Und die Attribute von Meister Lampe spielen zum Glück auch in der Wolfsschluchtszene keine wesentliche Rolle. Hier hält sich Hüsers erfreulicherweise mit Mummenschanz zurück und bezieht die gruselige Stimmung vor allem aus der raffinierten Licht-Regie von Hans-Joachim Küster und bedrohlichen metallenen Traversen, die in die malerische Waldlandschaft von Mathis Neidhardt einschlagen.

Die stärkste Wirkung geht jedoch von der Musik aus, die Rodrigo Tomillo, Hagens stellvertretender Generalmusikdirektor, mit vitaler Frische und feinem Gespür für die vielen Fassetten der Partitur zum Klingen bringt. Und das mit Hilfe des vorzüglichen Philharmonischen Orchesters der Stadt, des stark beanspruchten Chors und eines rundum überzeugenden Solisten-Ensembles. Zu großer Form läuft Angela Davis als Agathe mit berückenden lyrischen Qualitäten auf. Ebenbürtig gestaltet Dorothea Brandt mit ihrem mühelos geführten Sopran die kecke Rolle des Ännchens. Alexander Geller triumphiert mit seinem in allen Lagen sauber geführten Tenor als Max. Insu Hwang beeindruckt als Kaspar mit seinem substanzreichen Bariton, könnte aber noch an der Diktion feilen. Erfreulich Anton Kuzenok und Oliver Weidinger in den Partien des Kilian und des Kuno. Stimmlich etwa dünn präsentiert sich Kenneth Mattice als Fürst Ottokar. Umso imposanter lässt Dong-Won Seo als Eremit und Samiel seine große Bassstimme ertönen.

Eine musikalisch hochwertige, szenisch originelle, wenn auch nicht durchweg schlüssige Produktion eines schwierigen Werks. Dem Publikum gefällt es.

Pedro Obiera