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Aktuelle Aufführungen

Passion im Unwetter

STABAT MATER
(Giovanni Battista Pergolesi)

Besuch am
19. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Stadtpfarrkirche Gerolzhofen

Es ist ein schöner, sonniger Sonntagnachmittag im März, die Passionszeit steht kurz bevor. Im unterfränkischem Gerolzhofen, das zum Landkreis Schweinfurt gehört, lädt die dortige katholische Kirchengemeinde zu einem ganz besonderen Konzert zur Passionszeit in die hiesige Pfarrkirche, von den Einheimischen auch liebevoll Steigerwald Dom genannt. Diese barockisierte Kirche ist ein idealer Konzertort für geistliche Musik. Mit dem Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi steht ein wunderbares barockes Passionswerk in einer Fassung für Frauenchor, Sopran und Alt sowie Streichquartett auf dem Programm. Etwa 100 Zuschauer finden an diesem Nachmittag den Weg in die Kirche, um sich musikalisch auf die bevorstehende Passionszeit einzustimmen.

Im Mittelpunkt des Konzertes steht Pergolesis Stabat Mater. Doch bevor das Hauptwerk erklingt, gibt es eine kurze Begrüßung und Einführung in das Programm durch den musikalischen Leiter, den Kirchenmusiker der Diözese Würzburg und Organisten Karl-Heinz Sauer. Als erstes Stück steht das Ave Regina caelorum von Alessandro Stradella auf dem Programmzettel. Es ist ein altes lateinisches Marianisches Stundengebet aus dem 12. Jahrhundert, das der italienische Komponist Stradella im 17. Jahrhundert vertont hat. Die gespielte Fassung ist für Sopran und Alt, begleitet von einem Cello und Basso continuo. Die Sopranistin Mio Nakamune begeistert schon in diesem ersten Stück mit ihrem leuchtenden, klaren Sopran. Nakamune hat in Würzburg bei Cheryl Studer Gesang studiert, und diese Schule ist sofort erkennbar. Die Altistin Seona Kim studiert ebenfalls in Würzburg im Master Operngesang bei Alexandra Coku und befindet sich seit einem Jahr als Zweiter Alt in einem festen Engagement am Staatstheater Braunschweig. Sie überzeugt mit einem voluminösem Alt, der besonders in der Mittellage ein angenehm warmes Timbre hat. Schon in diesem kurzen Stück ist die Stimmenharmonie der beiden jungen Künstlerinnen unüberhörbar. Sehr gefühlvoll begleitet wird das Gesangsduo von dem Cellisten Joachim Brandl, auch ein Absolvent der Würzburger Musikhochschule. Die studierte Kirchenmusikerin und Organistin Sylvia Sauer übernimmt an der Truhenorgel den Basso continuo.

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Das zweite Stück an diesem Nachmittag ist sicher das bekannteste unter den Werken, das Air aus der 3. Orchestersuite D-Dur BWV 1068 von Johann Sebastian Bach, eines der beliebtesten und bekanntesten Stücke klassischer Musik überhaupt. Hier schweigen im zweiten Satz die Trompeten, Oboen und Pauken, nur Streicher und Basso continuo entwickeln alleine einen liedhaften Satz. Das Streichquartett mit Carolina Ehret und Michael Menschikow an der Violine, Ulrike Kruttschnitt an der Viola und Joachim Brandl am Violoncello spielen das Air sehr zart und getragen. Es ist ein Moment zum Augenschließen und des puren Hörgenusses, der durch die besondere Akustik der Kirche noch verstärkt wird. Mit dem Quaerite primum von Claudio Casciolini kommt nun auch der Frauenchor zu seinem ersten Einsatz.  Casciolini war ein italienischer Komponist und Sänger des frühen 18. Jahrhunderts, der ausschließlich sakrale Werke schuf, die meisten von ihnen sind rein vokal. Das Quaerite primum ist für Frauenchor a cappella geschrieben, und die 16 Damen des Frauen-Projektchors des Pastoralen Raums Gerolzhofen unter der Leitung von Karl-Heinz Sauer zeigen einmal mehr, dass auch gut geübte Laienstimmen eine wunderbare Stimmenharmonie mit schönen Phrasierungen und starkem Ausdruck erzeugen können.

Nach dieser Einleitung steht dann das Hauptwerk des Nachmittags auf dem Programm. Das Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi ist eine Vertonung des gleichnamigen mittelalterlichen Gedichtes für Alt, Sopran, Streicher und Basso continuo. Es ist das bekannteste geistliche Werk des italienischen Komponisten und entstand 1736, wenige Wochen vor seinem Tod. Pergolesi komponierte sein Stabat mater im Auftrag einer neapolitanischen adligen Laienbruderschaft, der Cavalieri della Vergine dei Dolori di San Luigi al Palazzo, zum Gebrauch in der Liturgie der Karwoche. Zwanzig Jahre zuvor hatte dieselbe Bruderschaft bei Alessandro Scarlatti ebenfalls ein Stabat Mater bestellt. Pergolesi schrieb seine Fassung, zusammen mit einem Salve Regina, in einem Franziskanerkloster in Pozzuoli wenige Wochen vor seinem Tod; er starb an Tuberkulose. Eine Neuerung in diesem Werk bestand darin, dass es den damals neu aufkommenden galanten Stil aufnimmt, mit dem der Komponist in seinem Opernintermezzo La serva padrona im Jahre 1733 rauschende Erfolge auf den Bühnen Europas feierte. Die Anwendung dieses Stils war in der Kirchenmusik ungewohnt, doch die unmittelbar ergreifende Stimmung des Werks fand bald überwiegende Zustimmung. Berühmte Komponisten in der Folge wie Johann Sebastian Bach, Antonio Salieri, Franz Xaver Süßmayr, Otto Nicolai und Alexei Lwow bearbeiteten das Werk. 1840 widmete sogar Richard Wagner in seinen Memoiren unter dem Titel Ein deutscher Musiker in Paris Pergolesis Stabat Mater ein längeres Kapitel. Er geht dabei insbesondere auf Lwows Bearbeitung ein und vergleicht sie mit Mozarts Arrangement von Händels Messias. Bis heute hält die Begeisterung für das Werk ungebrochen an, auch im Zeichen der historischen Aufführungspraxis. Die Originalversion Pergolesis für Soli, Frauenchor, Streichquartett und Basso continuo erklingt nun in einem festlichen Rahmen.

Stabat Mater ist ein mittelalterliches Gedicht, das die Gottesmutter Maria in ihrem Schmerz um den gekreuzigten Jesus besingt. Das Gedicht wurde in der Vergangenheit unter anderem Papst Innozenz III. zugeschrieben. 1521 fand es Eingang in das Missale Romanum, durfte aber wie fast alle Sequenzen nach dem Konzil von Trient im Gottesdienst nicht mehr verwendet werden. 1727 wurde es bei der Einführung des Festes des Gedächtnisses der Schmerzen Mariens ins Missale und in das Stundengebet aufgenommen und gehört seither wieder zur katholischen Liturgie. Die bekannteste deutsche Übersetzung des Stabat Mater aus dem Lateinischen stammt von Heinrich Bone aus dem Jahre 1847. Es besteht aus zwölf Strophen, in denen abwechselnd Chor und Solisten singen, mit dem gemeinsamen Amen – Presto assai – am Schluss.

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Die Eröffnung des Stabat Mater dolorosa gestaltet der Frauenchor in schöner Harmonie mit dem Streichquartett, was in der dritten Strophe O quam tristis – dem Larghetto – sehr getragen erklingt. Dazwischen hat Nakamune das Cuius animam gementem – als Andante amoroso angelegt – wieder mit leuchtendem Sopran. Das Allegro, Quae maerebat, wird von Kim sehr gefühlvoll und mit starken Höhen vorgetragen. Der Text spricht von Angst und Qual, doch die Musik spendet gleichzeitig Hoffnung, ein bewegender Moment. Im Largo – Quis est homo – dominiert die Harmonie der Stimmen der beiden Solistinnen, was in der lang ausgehaltenen Sequenz In tanto supplicio? besonders deutlich wird. Als Nakamune die sechste Strophe Vidit suum dulcem natum, Morientem desolatum beginnt, in der Maria „sah ihn trostlos und verlassen, an dem blutigen Kreuz erblassen“, ist von draußen schweres Gewittergrollen zu vernehmen. Ein Vorfrühlingsgewitter mit Hagelschauer donnert über die Kirche hinweg, genau an dieser Textstelle. Lebendiger und authentischer kann ein Passionskonzert nicht sein.

Und während Kim souverän die dramatische Passage Eia, mater, fons amoris vorträgt, geht gefühlt draußen die Welt unter. Vielleicht ist es die besondere Stimmung im Schutz der Kirche, die das wunderbare Duett Sancta mater, istud agas, zu einer stimmlichen Elegie von Sopran und Alt verschmelzen lässt, vielleicht der musikalische Höhepunkt des gesamten Konzertes. Auch das nächste Allegro – Inflammatus et accensus – hat wieder diese wunderbare Stimmenmischung. Die Musik verbreitet die Hoffnung auf das Leben, und während bei Nakamune die leichten Koloraturen perlen, wird sie vom warmen Timbre von Kims Alt gestützt. Im finalen Amen – Presto Assai – finden dann wieder Frauenchor, Streicher, Orgel und die beiden Solistinnen im großen musikalischen Schluss des Stabat Mater zusammen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit des Nachhalls und der Stille gibt es dann den verdienten Applaus für ein bewegendes Passionskonzert. Das finale Amen wird als Zugabe noch einmal gegeben. Es ist eine Stunde des Innehaltens, des Besinnens, aber auch des musikalischen Genusses in einer wunderschönen Kirche mit sehr engagierten Musikern. Auch das Gewitter ist vorbei, die Natur hat sich wieder beruhigt.

Andreas H. Hölscher