O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Sommerbrise und Herbststürme

GEROLZHÖFER ORGELSOMMER 2023
(Diverse Komponisten)

Besuch am
25. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Stadtpfarrkirche Gerolzhofen

Es ist ein wunderschöner und heißer Frühsommertag im unterfränkischen Gerolzhofen, und in der hiesigen Pfarrkirche, von den Einheimischen auch liebevoll „Steigerwald-Dom“ genannt, steht an diesem Nachmittag ein besonderes Konzert auf dem Plan, nämlich die Eröffnung des Gerolzhöfer Orgelsommers. Seit 25 Jahren erklingt hier die wertvolle und klangschöne Winterhalter-Orgel mit drei Manualen, Pedal und 36 Registern. Beim Orgelsommer 2023 steht das Jubiläum im Vordergrund, und es wird mit insgesamt vier Konzerten festlich begangen. Eröffnet wird der Reigen mit einem Orgelkonzert für zwei Orgeln und vier Hände.

Der Kirchenmusiker der Diözese Würzburg und Kantor Karl-Heinz Sauer und seine Frau, die Kirchenmusikerin und Organistin Sylvia Sauer, spielen im ersten Teil des Konzertes auf zwei Truhenorgeln Bachs Konzert für zwei Cembali und Händels Orgelkonzert F-Dur. Im zweiten Teil des Konzertes lassen sie dann die große Orgel vierhändig in ihrer ganzen Fülle mit der Sonate in d-Moll von Gustav Merkel und der 1992 komponierten Trilogie des Kanadiers Denis Bédard ertönen.

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Eine Truhenorgel dient in der Kirchenmusik als Generalbassinstrument oder wird auch zur Unterstützung des Chorgesangs eingesetzt. In kleinen Kirchenräumen und Kapellen ersetzt es oft eine große Orgel. Mit diesen kleinen und mobilen Truhenorgeln sind die in der Musikliteratur eher seltenen Konzerte für zwei Orgeln spielbar. Nach einer kurzen Einführung in das Konzert durch Sauer eröffnen er und seine Frau Sylvia den Konzertnachmittag mit dem Concerto a due Organi von Giovanni Bernardo Zucchinetti, der von 1730 bis 1801 lebte. Zucchinetti war in seiner Jugend ein Schüler Giovanni Andrea Fioronis in Mailand.1755 wurde er Organist und Kapellmeister am Dom von Varese. 1757 übernahm er dieses Amt auch am Dom von Monza. Später ging er nach Mailand, war dort von 1773 bis 1779 Kapellmeister und Organist am Dom und kehrte anschließend nach Monza zurück. Das Concerto a due Organi, entstanden um 1770, ist eines seiner bekanntesten Werke. Der erste Satz Spiritoso ist heiterer Spätbarock, die zwei Orgeln scheinen in ein Zwiegespräch vertieft zu sein. Im Allegro ändert sich der Stil, und das Stück wird zu einem echten Duett, in dem jede Orgel ihre eigene dominante Stimme hat. Das Stück ist quasi die Ouvertüre zu zwei großen Klassikern der Kirchenmusik, Händel und Bach.

Zu dem umfangreichen Gesamtwerk Georg Friedrich Händels, der von 1685 bis 1759 lebte, zählen auch sechs Orgelkonzerte, die 1738 von John Walsh als Opus 4 des Komponisten veröffentlicht wurden. Die vier Konzerte HWV 290–293 waren für die Aufführungspausen seiner Oratorien Esther, Deborah und Athalia im März und April 1735 geschrieben worden. Händels Können als Organist wurde bereits 1707 in Rom in einem Wettbewerb mit dem Komponisten Domenico Scarlatti unter Beweis gestellt, als sein Spiel auf der Orgel höher bewertet wurde als Scarlattis Spiel auf dem Cembalo, sein Ruf als großer Organist wurde bereits während seiner einjährigen Tätigkeit als Domorganist in Halle im Jahr 1702 begründet. Händels Orgelkonzerte nehmen daher einen besonderen Platz in seinem Gesamtwerk ein. Bei diesem Orgelkonzert steht das Allegro aus dem Orgelkonzert Nr. 4 in F-Dur in der Fassung für zwei Orgeln von Helmut Walcha, der von 1907 bis 1991 lebte, auf dem Programm. Es ist ein dynamischer Satz, in dem in dieser Fassung die beiden Truhenorgeln durchaus einen eigenständigen Charakter haben, auch wenn die Fassung natürlich nicht an das Original für eine große Orgel heranreichen kann.

Dass die Truhenorgeln aber gut ein Klavier oder Cembalo ersetzen können, zeigt das Konzert für zwei Cembali in C-Dur BWV 1061 von Johann Sebastian Bach und besteht aus drei Sätzen, entstanden ist es wohl in der Zeit von 1732 bis 1735. Das Allegro moderato erscheint heiter und vergnüglich, es ist der typische, allseits bekannte „Bach-Sound.“ Das Adagio ovvero Largo hingegen erklingt eher schwermütig. Das letzte Allegro hingegen ist eine streng und prachtvoll gearbeitete Fuge und kommt schon majestätisch daher.

Der erste Teil des Konzertes ist wie eine laue Sommerbrise zum Genießen. Doch der Wind soll sich im zweiten Teil, wenn Werke für Orgel zu vier Händen und vier Füßen auf dem Programm stehen, deutlich ändern. Aus der Sommerbrise wird ein Herbststurm, der von der Winterhalter Orgel entfacht wird. Claudius Winterhalter ist einer der bekanntesten und wichtigsten lebenden Orgelbauer. Etwa 80 Orgeln hat er im Laufe seines Berufslebens geschaffen oder umfangreich saniert. „Um im historischen oder neuzeitlichen Umfeld eines Kirchenraums einen wirkungsvollen und aussagefähigen Kontrapunkt zu setzen, suche ich meine Darstellungsideen in der Formensprache kontemporärer Architektur. Um darüber hinaus eine kulturelle und emotionale Einbindung mit der räumlichen Umgebung herzustellen, arbeite ich als Orgelgestalter immer wieder mit erfahrenen Künstlern zusammen“, sagt Winterhalter über seine Arbeit.

1998 wurde die von ihm gebaute Orgel in der Gerolzhofener Stadtkirche eingeweiht, und nur wenige Tage vor diesem Konzert feiert die Orgel, die extra noch einmal von Winterhalter gestimmt wurde, ihren 25. Geburtstag. Was aus so einer Orgel herauszuholen ist, beweisen Karl-Heinz und Sylvia Sauer, nachdem sie sich gemeinsam auf die Orgelempore begeben haben und auf der Orgelbank nebeneinander Platz nehmen.

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In der Einführung weist Sauer noch darauf hin, dass bei diesem Konzert zu vier Händen bis zu 16 Töne zu zweit parallel erzeugt werden. Als erstes erklingt die Sonate in d-Moll op. 30  von Gustav Adolf Merkel, der von 1827 bis 1885 lebte. Merkel war der Sohn eines Lehrers und Organisten. Er erhielt bei Ernst Julius Otto und Johann Schneider Unterricht in Kontrapunkt und Orgelspiel. 1860 wurde er Organist an der Dresdner Kreuzkirche und 1864 Hoforganist an der Katholischen Hofkirche in Dresden. Ab 1861 war er Lehrer am Königlichen Konservatorium für Musik. Von 1867 bis 1873 war er Dirigent der Dreyssigschen Singakademie. Merkel machte sich einen Namen als virtuoser Organist und Komponist für Orgelmusik.

Die Sonate in d-Moll ist um 1857 entstanden und nimmt in ihren drei Sätzen Bezug auf biblische Texte. Der erste Satz, Allegro moderato, bezieht sich auf den Psalm 42 und die Verse 6-6 und 10. Der Psalm beschreibt die Sehnsucht nach dem lebendigen Gott. Im Vers 8 heißt es: „Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner stürzenden Wasser, all deine Wellen und Wogen zogen über mich hin.“ Und so, wie dieser Psalm das Tosen von stürzendem Wasser beschreibt, so tost auch die Orgel, die wie ein Sturm über die Konzertbesucher hinwegweht. Im Adagio des zweiten Satzes  gibt es die Erholung, der Satz bezieht sich auf den Psalm 23, Verse 1 bis 4 vom guten Hirten: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Das Gottvertrauen, die Ruhe am Wasser und auf grüner Aue, wird in dem Satz bildmalerisch ausgedrückt. Doch die Ruhe währt nicht lange, denn im dritten Satz Allegro con fuoco – Fuga kehrt der Komponist zum Psalm 42 zurück, und zwar zum zwölften Vers: „Was bist du bedrückt, meine Seele, und was ächzt du in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, der Rettung meines Angesichts und meinem Gott.“ Es ist ein feuriger Satz, der die Zweifel und die Sorgen zum Ausdruck bringt. Ein großer emotionaler Satz, der berührt und bewegt.

Das letzte Stück stammt von dem kanadischen Komponisten und Organisten Denis Bédard, Jahrgang 1950. Seit September 2001 ist er Organist und Musikdirektor an der Holy Rosary Cathedral in Vancouver. Seine Trilogie pour orgue quatre mains aus dem Jahre 1992 bildet den Abschluss des Eröffnungskonzertes des Gerolzhöfer Orgelsommers. Der erste Satz Cortège erklingt dynamisch und kräftig, der zweite Satz Rêverie ist noch einmal sehr ruhig, bevor im Danse die Winterhalter Orgel sehr voluminös und opulent erklingt, die Tiefen charakterisierend. Die körperliche Anstrengung der beiden Werke zu vier Händen und vier Füßen sind dem Ehepaar Sauer anzusehen, doch der brandende Applaus der leider nur gut 30 Zuschauer, die bei diesem heißen Sommerwetter den Weg in die kühlende Kirche gefunden haben, ist Lohn für ein beeindruckendes und überzeugendes Orgelkonzert.

Auch der Orgelschüler Florian Schmidt, der die Registratur der Orgel eingerichtet hat und beim Konzert als Notenumblätterer fungiert, hat seinen Anteil am großen Erfolg des Konzertes. Der Mix aus musikalischer Sommerbrise mit den zwei Truhenorgeln und Herbststurm auf der Winterhalter Orgel machen Lust auf mehr solcher Konzerte.

Andreas H. Hölscher