Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
Besuch am
22. September 2024
(Premiere am 15. September 2024)
Genf, leuchtende Stadt in der Schweiz am in der Sonne glitzernden Genfer See, der auf Französisch Lac Leman heißt. Das Licht über dem Wasser lässt die Kulisse der Berge erstrahlen, die mächtige Fontäne am Südufer des Sees, direkt vor der Altstadt Genfs, legt über den alten Glockenturm aus der Ferne einen Schleier von glitzernden Perlen. Weiße Segel streichen über das Wasser. Das Licht ist hier ein intensives, von der großen Wasserfläche sich widerspiegelndes. Scharen von Kormoranen fliegen am Ufer entlang, schwarze Pfeile in der Luft.
Im altehrwürdigen und sehr schön renovierten Grand Théâtre de Genève, mitten in der Altstadt gelegen, wird Tristan und Isolde in einer neuen Inszenierung von Michael Thalheimer gegeben, der hier vor mehr als zwei Jahren den Parsifal mit Erfolg in Szene gesetzt hat, und dessen Tristan mit Spannung erwartet wurde.
Sitzt man dann im Zuschauerraum, bemerkt man in der zum Haus gehörenden Beleuchtung an der Decke des Saales wirbelnd angeordnete Sterne, als solle man in ein interstellares Geschehen hineingezogen werden – Theater in den Sternen. Im Programmheft des Abends kann man neben mittelalterlichen Miniaturen und Fotos aus Tristan-Filmen nebst Bildern von Wagner und Mathilde Wesendonck auch immer wieder Aufnahmen von fernen Galaxien im Weltall entdecken. Eine über die Zeiten hinausgehende Liebe wird hier angedeutet, etwas konträr zum Werbeplakat und Titelbild des Programmheftes von Diana Markosian, das die Köpfe eines jungen Paares in der Umarmung zeigt: einen jungen Mann von hinten, mit kurzrasiertem, tätowiertem Nacken und Bart sowie ein Mädchen mit langen braunen Haaren, das mit melancholischem Blick und Diamantring am Finger in die Kamera schaut.
So innerlich angeregt, könnte man meinen, eine frische, eine sternendurchwirkte Inszenierung warte auf einen. Aber weit gefehlt! Bühnenbildner Henrik Ahr verbannt das Geschehen in einen fast statischen Raum, der nur durch das Licht wirken soll. Erhebt sich der Vorhang über dem ersten Akt, findet man die Elemente und Farben von draußen wieder: eine schwarze Bühne mit einem großen fahrbaren Quader darauf, dominiert vom Licht einer riesigen Wand mit 260 runden Leuchtkörpern, die senkrecht an der Bühnenhinterwand installiert ist. Die Lichtquellen können unabhängig voneinander geschaltet werden und geben die Dynamik des Geschehens auf der Bühne und aus dem Orchestergraben durch unterschiedlich intensives Leuchten wieder. Bei den Forte-Stellen und ganz besonders am Ende des Werkes blenden sie in voller Stärke in Publikum, machen eine differenzierte Wahrnehmung des Geschehens auf der Bühne unmöglich und verbleiben, wenn man aus Not die Augen schließt, noch lange als Spiegelungen, als Nachbilder auf der Netzhaut zurück. Sind die Lampen alle ausgeschaltet und metallisch grau, wirken sie wie die Spulen von den Unterfäden einer Nähmaschine, die eine ordentliche Näherin griffbereit an der Wand bereithält.
Bei ihrem ersten Auftritt trägt Isolde ein weißes Brautkleid mit Rüschen und Schleier, als ginge sie gleich zu ihrer Hochzeit. Kostümbildnerin Michaela Barth gibt ihr im zweiten Akt ein weiß-graues Kleid, im dritten dann das Brautkleid in Schwarz, ohne Schleier. Alle anderen laufen in Schwarz herum bis auf kleinere Elemente in Weiß bei den Bediensteten, König Marke trägt einen bodenlangen weißen Mantel, Brangäne eine Hose mit Weste, wie eine Bedienstete im Café. Nur Melot, der böse, darf in ätzendem hellem Mintgrün erscheinen – sehr sinnig alles, nein, ganz ehrlich: plakativ und banal. Als Requisiten findet man ein dickes Seil, an dem sich Isolde anfangs abarbeiten muss und das Tristan später als schwere Last schultert, ein Messer, mit dem gemordet wird, und natürlich das Glas mit dem Liebestrank, das Brangäne vor Zittern fast verschütten muss.
In diesem schwarz-weißen und lichtdurchfluteten Raum zeigt Regisseur Thalheimer eine Personenregie, die sehr reduziert ist. Im Interview des Programmheftes sagt er, er möchte dem Publikum keine Mode von der Stange bieten, damit es die Chance hat, seine eigene Geschichte zu entwickeln, nach seinen eigenen Vorstellungen, er möchte dem Zuschauer nicht alles vorkauen. Ein bisschen mehr als eine konzertante Vorstellung also mit gelegentlichen Platzwechseln auf schmalem Bühnenstreifen, auf dem Stefan Bolliger in der Lichtregie manch interessante Einstellungen liefert. Dürfen sich die beiden Protagonisten auf der Bühne auch kaum berühren, Isolde umarmt Tristan erst, als er tot ist, so schafft das Licht im Schatten ein Verschmelzen der Figuren, als seien beide schon im Reich des Todes, im Jenseits angekommen. Auch in der Liebesnacht bleiben die beiden im Abstand, sieht man von leichten Berührungen Tristans an Isoldes Kleid ab. Hier beginnen beide schon, sich mit Splittern des zerschellten Liebestrank-Glases zu ritzen, Blut strömt aus den Adern, innerliche Glut und den Weg ins Jenseits symbolisierend, inmitten der technisch ausgestatteten Bühne wirkt das sehr fremd. Andere Szenen geraten berührender: Als Kurwenal den sterbenden Tristan in seinem Arm immer wieder vertröstet, bis das Schiff mit Isolde kommt, treibt das so manchem die Tränen in die Augen, ist es doch bisher die einzige Szene, in der sich zwei auch körperlich näherkommen. Überhaupt ist das Ende des dritten Aktes stark, mit Tristans Fieberfantasien, Markes Auftritt und Isoldes so zart und innig gesungenen Liebestod, bei dem sie sich nun auch noch mit der Scherbe die Kehle aufschlitzen muss.
Elisabet Strids fast mädchenhafte Isolde verfügt über einen wohltimbrierten, jugendlich-dramatischen Sopran, geschmeidig, rund und auch bei den dramatischen hohen Ausbrüchen der großen Partie nie forcierend, nie metallisch. Sie ist mit jeder Faser ihres Körpers und ihrer Seele in der Rolle und spielt wesentlich intensiver als ihr Partner. Das erste Aufeinandertreffen mit Tristan gerät ihr mit der Unterstützung aus dem Orchestergraben sehr intensiv, schneidend.
Der körperlich mächtige Gwyn Hughes Jones als Tristan bleibt in seinen Bewegungen recht reduziert, singt vieles vorne im Stehen an der Rampe, später dann im Liegen. Sein Tenor wirkt anfangs etwas derb, mit Anschleifen der Töne und seltsamen Vokalfärbungen, man fühlt sich manchmal an sehr alte Plattenaufnahmen erinnert. In der Höhe bleibt er anfangs recht eng. Im Liebesduett verschmilzt er gerade bei den leisen Tönen dennoch sehr gut mit dem volleren Sopran von Strids Isolde. Im letzten Akt, bei den Fieberfantasien, ist das alles vergessen, hier trumpft er auf, zeigt kräftige, heldenhafte und höhensichere Töne, vielleicht hat er sich am Anfang geschont für die Tücken der kräfteraubenden Partie.
Alle anderen Sänger geben in dieser Produktion ihr Rollendebüt. Audun Iversen singt einen sehr authentischen und hochemotionalen Kurwenal, der im dritten Akt seine warme Baritonstimme in der Sorge um Tristan sehr mitfühlend und farbenreich einsetzt.
Kristina Stanek als Brangäne ist mit ihrem sehr präsenten, samtigen, immer voll im Körper klingenden Mezzosopran allen Facetten der Rolle absolut gewachsen. Ihre runden, schlackenlosen Brangänerufe, in der Liebesnacht von ihrem Wachposten aus dem Rang heraus gesungen, wird man so schnell nicht vergessen: ein Höhepunkt des Abends. Bassist Nazmi gibt der Rolle des König Marke eine zutiefst menschliche Note, kräftig, majestätisch und im Tiefsten erschütternd. Dabei blitzsauber, klar und absolut textverständlich bei einem Höchstmaß an Emotion, auch schauspielerisch mitreißend. Zwei Stimmen, von denen man nicht genug kriegen kann.
Die Nebenrollen sind durchwegs gut besetzt mit dem hellen, leicht heldischen Tenor Julien Henric und Emanuel Tomljenović, Mitglied im Jungen Ensemble der Oper Genf, der mit seinem äußerst klaren und verständlichen Seemann und Hirten aufhorchen lässt. Vladimir Kazakov als Steuermann fügt sich mit seiner kleinen Rolle in das Ensemble gut ein.
Der Chœur du Grand Théâtre de Genève singt unter der Leitung von Marc Biggins aus dem Off präzise und stimmstark.
Dirigent Marc Albrecht dirigiert das Orchestre de la Suisse Romande sehr differenziert und sängerfreundlich. Tief kostet er die weiten Bögen der Partitur aus, hält mit seinen Musikern die Spannung vom Anfang bis zum Schluss bei durchwegs vorwärtsgehenden Tempi durch, mit zahlreichen herausragenden Soli. Berückend gelingt das Solo des Englischhorns, nun wirklich nach den Sternen greifend.
Die Zuschauer im vollbesetzten Haus feiern alle Mitwirkenden ausgiebig, wobei neben Strid auch Stanek und Nazmi zu Begeisterungsstürmen hinreißen.
Jutta Schwegler