O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Monika Forster

Aktuelle Aufführungen

Ein Hoch auf die Scheidung

NEUES VOM TAGE
(Paul Hindemith)

Besuch am
7. Mai 2022
(Premiere)

 

Musiktheater im Revier, Großes Haus, Gelsenkirchen

Eine lustige Idee des Musiktheaters im Revier, frisch getraute oder geschiedene Paare mit freiem Zutritt zu Paul Hindemiths Oper Neues vom Tage ein wenig aufzumuntern. Auch wenn einem nach der pfiffigen Neuinszenierung der bissigen Satire die Lust auf Traualtar und Scheidungsklage endgültig vergehen dürfte.

Mit seiner 1929 uraufgeführten und von den Nazis argwöhnisch beäugten Abrechnung mit der komplizierten „Beziehung zu zweit“ wird Hindemith noch einmal seinem damaligen Image als Enfant terrible gerecht, bevor er unter dem Eindruck der folgenden Ereignisse eine religiös inspirierte Kehrtwende vollführte. Heirat und Scheidung als Verwaltungsakt und Stoff für mediale Sensationslust: An Aktualität hat die Oper nichts verloren. Und das Libretto des Kabarettisten Marcellus Schiffer ebenso wenig wie die munter sprudelnde Musik Hindemiths, die Opernpathos von Puccini bis Wagner aufs Korn nimmt sowie fetzige Tanzrhythmen und schräge Harmonien im Fahrwasser Kurt Weills mit viel Drive zu einer äußerst amüsanten Revue aufpeppt. Und das pointiert, straff und ohne Atempause.

Die Handlung: Laura und Eduard sind erst vier Wochen verheiratet, fühlen sich jedoch schon einander „überdrüssig“. Nach dem Vorbild ihres befreundeten Ehepaares M., die von ihrer glücklichen Scheidung schwärmen, entschließen sich die beiden ebenfalls zur offiziellen Trennung. Allerdings verlangen die Mühlen der Verwaltung einen „Scheidungsgrund“. Dafür wird der „schöne Hermann“ engagiert, der sich mächtig ins Zeug legt und die nackte Laura in einer Hotelbadewanne überrascht, was zu einem Skandal führt, der von der Presse zu einem medialen Tsunami aufgeputscht wird. Die Scheidung kann vollzogen werden, als die beiden merken, dass man doch miteinander zusammenleben könnte. Aber ein Rückzieher ist unmöglich: Die Gier der Öffentlichkeit nach Skandalen raubt Laura und Eduard den letzten Rest an privater Selbstbestimmung.

Die revueartige, mit ihren schnellen Szenenwechseln vom Film beeinflusste Machart des Stücks setzt Regisseurin Sonja Trebes flott, witzig und weitgehend kalauerfrei um. Dabei kann sie sich auf ein spielfreudiges Ensemble verlassen und auf ein einfaches, aber effektives Bühnenbild von Dirk Becker mit flexibel verschiebbaren Elementen, mit denen sich die Szenenwechsel im Eilschritt ausführen lassen. Video-Projektionen von Moritz Hils mit einer Flut sensationsgeiler Schlagzeilen heizen das muntere Spektakel zusätzlich an. Die Regisseurin zeigt zudem ein gutes Händchen für die Führung des großen Chors, womit sich der Scheidungsakt am Ende zu einem Musical-reifen Finale aufdonnern lässt.

Giuliano Betta am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen lässt in Sachen Tempo und Vitalität nichts anbrennen, und das stimmlich rundum überzeugende Ensemble überschlägt sich geradezu vor Spiellaune. Zu nennen sind Eleonore Marguerre und Piotr Prochera als Laura und Eduard, Adam Temple-Smith und Almuth Herbst als Herr und Frau M. sowie als delikates Schmankerl Martin Homrich als „Der schöne Hermann“. Ein Sonderlob verdient der Opern- und Extrachor des Musiktheaters für seine große und nicht einfache Aufgabe.

Begeisterter Beifall des Premieren-Publikums im mäßig besetzten Musiktheater für einen kurzen und rundum unterhaltsamen Opernabend mit einer Prise Tiefgang.

Pedro Obiera