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Hoffnung und Trost

REQUIEM D-MOLL KV 626
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Gesehen am
4. Juni 2021
(Premiere/Stream)

 

Oper Frankfurt

Es sind immer noch schwere Zeiten für die Menschen im Allgemeinen und für die Kunst und Kultur im Besonderen. Unter normalen Umständen hätte an der Oper Frankfurt die musikalische Wiederaufnahme der Oper Salome von Richard Strauss auf dem Spielplan gestanden, die im letzten Jahr in der Regie von Barrie Kosky und der musikalischen Leitung von Joana Mallwitz für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Der junge Dirigent Thomas Guggeis, frisch ernannter Berliner „Staatskapellmeister“, sollte diese Wiederaufnahme übernehmen. Mit seinem kurzfristigen Einspringen für Christoph von Dohnányi bei der umjubelten Neuproduktion von Salome an der Staatsoper Berlin 2018 sorgte Guggeis international für großes Aufsehen. Die momentane Pandemielage aber ließ die Wiederaufnahme noch nicht zu, und so entschloss man sich, Guggeis die musikalische Leitung des Requiems in d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart für eine Übertragung im Stream anzuvertrauen. Diese vielleicht aus der Not geborene Konstellation sollte sich aber als eine Entscheidung von besonderer Weitsicht herausstellen, die ein sichtbares Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht weit über die Oper Frankfurt hinaus setzt.

Nun stellt sich die grundlegende Frage, ob ein Requiem, also eine Totenmesse, Hoffnung und Zuversicht verbreiten kann. Stehen nicht viel mehr Trauer und Verzweiflung im Vordergrund? Dass das bei Mozart und insbesondere in der aktuellen Interpretation nicht sein muss, zeigt sich sehr schnell im Laufe der Aufführung. Doch bevor das Requiem beginnt, gibt es eine knapp fünfminütige Einführung in das Werk und seine Entstehungsgeschichte. An sich sind derartige Einführungen nichts Besonderes, da werden schnell ein paar Fakten zusammengetragen, die man heute auch leicht in den eingängigen Suchmaschinen im Internet findet. Doch Mareike Wink, Dramaturgin an der Oper Frankfurt, macht aus dieser Einführung ein eigenes kleines Kunstwerk. Wie die Chorsänger ganz in schwarz gekleidet, erzählt sie mit ruhiger Stimme von den besonderen Umständen der Rezeptionsgeschichte des Werkes und weist auf die musikalischen Besonderheiten des Werkes hin. Das alles in einer so bescheidenen und wohltuenden Art, dass man diesen Vortrag allein schon als Lehrstück für exaltierte Moderatoren nehmen möchte, die ihre eigene Person wichtiger nehmen als das Werk.

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Um die Entstehung von Mozarts Requiem ranken sich bis heute Mysterien, trotz mittlerweile klarer Quellenlage scheinen immer noch nicht alle Fragen zu diesem Werk und zu Mozarts Tod beantwortet zu sein. Fakt ist, als Mozart starb, war sein Requiem nicht vollendet. Wink benennt die wichtigsten Punkte zur Entstehungsgeschichte. Im Sommer 1791 bestellt ein „grauer Bote“ bei Wolfgang Amadeus Mozart eine Totenmesse. Der Auftraggeber ist ein Mann, der unerkannt bleiben will. Die Gage beträgt 50 Dukaten, das entsprach in der damaligen Zeit einem halben Opernhonorar. Im Herbst 1791 befürchtet der angeschlagene Komponist, dass man ihn vergiften werde. Im Winter erkrankt Mozart schwer, wird bettlägerig und stirbt am 5. Dezember 1791 im Alter von 35 Jahren, mitten in der Arbeit an seinem Requiem. Die Abfolge dieser Ereignisse führt in kürzester Zeit zu wilden Spekulationen: War der Komponist tatsächlich vergiftet worden? Wer war der mysteriöse Auftraggeber? Hatte der Tod selbst an Mozarts Tür geklopft oder hatte gar sein Rivale Antonio Salieri die Hände im Spiel? Und wer den mit acht Oscars ausgezeichneten Film Amadeus von Miloš Forman aus dem Jahr 1984 noch im Kopf hat, der sieht natürlich in Salieri sowohl den geheimnisvollen Boten als auch den unbekannten Auftraggeber, der Mozart in den Tod getrieben haben soll. Zahlreiche unbeantwortete Fragen verknüpfen also das Lebensende des Komponisten mit seinem letzten Werk, dem wohl berühmtesten Fragment der Musikgeschichte. Eine entscheidende Antwort kennen wir heute. Der ominöse Auftraggeber war Graf Franz von Walsegg, der das Requiem zum Tod seiner Frau als sein eigenes ausgeben wollte.

Zwar gibt es in der Musikliteratur einige unvollendete Werke, eines trägt sogar den Beinamen Unvollendete, nämlich Franz Schuberts Symphonie in h-Moll. Anton Bruckners 9. Symphonie und Gustav Mahlers 10. Symphonie gehören ebenso zu den nicht vollendeten Werken. Beide Symphonien wurden durch andere Komponisten komplettiert. Die wohl bekannteste, vom Komponisten zu Lebzeiten nicht vollendete Oper ist Giacomo Puccinis Turandot, die nur bis zu der Sterbeszene der Liu im dritten Akt ausgearbeitet war. Den nicht unumstrittenen Schluss hat Puccinis Schüler Franco Alfano geschrieben. Die Uraufführung war am 25. April 1926 in der Mailänder Scala, also etwa 1 ½ Jahre nach Puccinis Tod. Der Dirigent Arturo Toscanini beendete diese Uraufführung nach der Sterbeszene der Liu mit den Worten: „Hier endet das Werk des Meisters! Danach starb er.“ Erst ab der zweiten Aufführung wurde das Werk mit dem Alfano-Schluss gespielt.

Doch zurück zum unvollendeten Requiem Mozarts. Vollständig notiert hatte Mozart, bevor er starb, nur den ersten Satz, alles weitere war fragmentarisch geblieben. Interessant ist dabei auch die spezielle Instrumentierung des Requiems. Flöten, Oboen und Hörner, die Mozart sonst gerne verwendete, fehlen vollständig, dafür kommen Posaunen und Bassetthörner zum Einsatz. Der eigentümliche Klang des Bassetthorns, der dunkler, zarter und mischfähiger als der der Klarinette ist, wurde im Übrigen nur von wenigen Komponisten eingesetzt.

Mozart aber soll dieses Instrument besonders geliebt haben. Neben Bassetthorntrios in den Divertimenti, KV439b, und -duos komponierte er auch dreistimmige Kanzonetten für Gesang und Bassetthörner und setzte das Instrument im Orchester gerne für religiöse Inhalte ein. Im Requiem trägt es zur dunklen Orchesterfarbe bei, und in der Zauberflöte wird es mit Sarastro und seinen Priestern in Verbindung gebracht.

Im weiteren Verlauf der Einführung kommt Wink auch auf die kompositorischen Besonderheiten des Werkes zu sprechen. Während die feierlichen Posaunen in einem geistlichen Kontext durchaus Tradition haben, sind vor allem für sie die schon erwähnten Bassetthörner eine Besonderheit. Ihr dunkler Ton, der sich durch das gesamte Werk zieht, sorgt für eine ernste, gedeckte Grundstimmung. Den inhaltlichen Rahmen des Requiems, das der Liturgie der katholischen Totenmesse folgt und sich in acht Abschnitte gliedert, bildet die Bitte der Gläubigen um ewige Ruhe für die Verstorbenen. Dazwischen werden die Vorstellung vom „Jüngsten Gericht“, die Hoffnung auf den Eingang in das Paradies und der Lobpreis Gottes hörbar. Mozarts Werk bleibt keine rein funktionale Musik, sondern er übersetzt den zugrunde liegenden lateinischen Text in eine plastische musikalische Sprache. So erklingt zum Dies Irae, dem Tag des Zorns, tonmalerisch ein Sturm von Trompeten und ein wildes Streichertremolo. Im Rex tremendae majestatis, dem König von gewaltiger Hoheit, spiegelt sich die Herrscherwürde nach alter musikalischer Tradition in punktierten Rhythmen. Und immer wieder findet Mozart auch zu unerwarteten Deutungen des Textes. Die Posaune, welche im Tuba mirum die Toten zum „Jüngsten Gericht“ ruft, klingt überraschend lieblich. Wenn die Toten ihrem Ruf folgen, dann tun sie es eher vertrauensvoll und zuversichtlich als ängstlich und zagend.

Das Werk bezeugt auch Mozarts sehr persönliche Sicht auf die menschliche Endlichkeit. Hoffnung und Trost wiegen für ihn schwerer als Zweifel und Angst. In einem Brief an seinen Vater Leopold vom 4. April 1787 schreibt Mozart: „Nun höre ich aber, dass Sie wirklich krank seien! Wie sehnlich ich einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegen sehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen; und ich hoffe es auch gewiss – obwohl ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, mir immer in allen Dingen das Schlimmste vorzustellen. Da der Tod der wahre Endzweck unsers Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. – Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht, so jung als ich bin, den andern Tag nicht mehr sein werde – und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre – und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen.“ Was für eine Weitsicht für einen Menschen, der gerade erst Anfang Dreißig ist.

Nach Mozarts Tod setzte seine Witwe Constanze alles an die Vervollständigung des Requiems. Der erste Komponist, den Constanze um Hilfe bat, war Joseph von Eybler. Er orchestrierte die Musik nach dem Kyrie, mehr schafft er aber nicht und gab daher das unvollendete Requiem an Constanze zurück. Auf seinen Rat hin übergab Mozarts Witwe das in Arbeit befindliche Werk an Franz Xaver Süßmayr, der die Ausarbeitung des Werkes nach eigenen Angaben noch selbst mit Mozart besprochen hatte. Süßmayr war Schüler von Antonio Salieri und einer Aussage Constanze Mozarts zufolge ab 1790 auch Schüler Mozarts. Mit Süßmayr diskutierte Mozart in seinen letzten Tagen angeblich sein Requiem, so dass Süßmayr sich aufgrund dieser mündlichen Angaben und einiger hinterlassenen als „Zettelchen“ bezeichnete Notizen in der Lage gesehen haben soll, das Stück nach Mozarts Tod zu vervollständigen. Süßmayr komponierte oder instrumentierte die letzten fünf Teile und wiederholt in der abschließenden Communio, dem Lux aeterna, die beiden Eröffnungssätze aus der Feder Mozarts. Mit dem bewegten Doppelfugen-Chorsatz des Kyrie mündet die Totenmesse schließlich in den eigentümlich offenen, traditionell als besonders rein geltenden Klang einer leeren Quinte. Obwohl häufig kritisiert, gehören Süßmayrs Ergänzungen heute bei Aufführungen zum Standard.

Mareike Wink – Bildschirmfoto

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und der Chor der Oper Frankfurt unter der Leitung von Thomas Guggeis musizieren kein schwermütiges, sondern vom Klang her ein transparentes Requiem. Das Introitus mit dem Requiem aeternam beginnt verhalten, fast zärtlich. Lyrisch und klar setzt hier der schöne Sopran von Florina Ilie ein. Schon mächtiger kommt der Chor im Kyrie bei, um dann im Dies irae passend zum forte des Orchesters wie ein Sturm anzuschwellen, als ob das „Jüngste Gericht“ wahrhaftig bevorstehe. Fast schon beruhigend das kurze, ja fast liebliche Posaunenvorspiel zum Tuba mirum, in dem Thomas Faulkner mit schon fast balsamischem Bass und Michael Porter mit ausdrucksstarkem Tenor über das Gericht singen. Cecilia Hall mit warmem Mezzosopran und Florina Ilie ergänzen zum Quartett, das in einigen Passagen an ein Thema aus der Zauberflöte erinnert. Gewaltig wieder der Chor zu Beginn im Rex tremendae majestatis, um dann in ein harmonisches Quartett im Recordare, Jesu pie zu münden. Wie schon im Dies irae setzt der Chor im Confutatis maledictis gewaltig ein, um dann, nach dem kurzen Part der Solisten, in das tränenreiche Lacrimosa einzustimmen, das thematisch das Introitus des ersten Satzes mit dem Requiem aeterna wieder aufnimmt. Nach einer kurzen Atempause stimmt der Chor gewaltig in das Offertorium ein. Beeindruckend ist, dass die zweiunddreißig Choristen in einer Art Setzkasten aufgereiht sind. Jeweils vier Reihen á acht Sängern stehen übereinander, aber jeder Sänger ist in seinem Holzraum, was für eine markante akustische Verstärkung des Chores sorgt.

Dieser Aufbau stammt von dem Bühnenbildner Karoly Risz und ist der Frankfurter Produktion Le vin herbé entliehen. Neben diesem markanten Bühnenaufbau sind es auch immer wieder Bildeinblendungen aus der Natur, die thematisch mit dem Requiem in Verbindung stehen.      Ein einsamer Waldweg, ein Baum, eine Hand, aus der Sand rieselt. Es sind starke Bilder, die passend zum musikalischen Thema ein- und überblendet werden, ohne den Eindruck des Requiems in irgendeiner Art zu verfälschen. Überhaupt sind es die vielen verschiedenen Kameraeinstellungen, die unterschiedliche Perspektiven auf Solisten, Chor, Orchester und den Dirigenten erlauben und dieses Requiem auch optisch zu einem Erlebnis machen.

Das Sanctus kommt schon majestätisch her und strahlt Größe und Zuversicht aus und nimmt dem Gläubigen die Angst vor dem Tod. Dieses Sanctus hat nichts mehr von einer Totenmesse, es steht mehr für ein Pontifikalamt zur Feier der Auferstehung. Dem gliedert sich das schon fast heitere Benedictus mit Chor und Solisten mit beeindruckender Stimmenharmonie nahtlos an. Das Agnus Dei, in den ersten Takten an Don Giovanni erinnernd, kommt zunächst im Chor düster, um dann leise und zart zu enden. Die eingeblendeten Hände, die vorhin noch den Sand haben niederrieseln lassen, waschen sich nun in Unschuld im Wasser. Das abschließende Communio mit dem Lux aeterna eröffnet Ilie mit glockenhellem Sopran, der Hoffnung und Erlösung verspricht, bevor der Chor noch einmal gewaltig einfällt, die Stimmen des Kyrie aus dem ersten Satz wiederholend, um dann feierlich am Schluss in der offenen Quinte und in Dur in Zuversicht zu enden.

Der Chor der Oper Frankfurt, von Tilman Michael bestens einstudiert, musiziert mit großer Leidenschaft und viel Ausdruck. Die Sopranistin Florina Ilie, die Mezzo-Sopranistin Cecelia Hall, der Tenor Michael Porter und der Bass Thomas Faulkner singen mit einer wunderbaren Stimmharmonie. Das alles hält der junge Dirigent Thomas Guggeis zusammen und führt Solisten, Chor und Orchester bei seinem Haus- und Werkdebüt zu einem kraftvollen und doch immer transparenten Gesamtklang voller Harmonie. Guggeis ist mit vollem körperlichem Einsatz dabei, er singt voller Emphase mit, und schafft es, dass diese Leidenschaft sich auch auf Chor und Orchester übertragen. Für Guggeis zeigt Mozart in diesem Requiem alle Facetten seines Könnens, vom rein kirchlichen Aspekt bis hin zur Oper im Dies Irae, vom Geistlichen bis hin zum Weltlichen.

In einem Gespräch mit Wink wertet er die Möglichkeit, das Requiem statt der Wiederaufnahme der Salome aufzuführen, als ein positives Zeichen in der noch immer schweren Zeit, vermittelt das Requiem doch Hoffnung und Trost und als starkes Zeichen der Hoffnung, dieses Projekt mit Orchester, Chor und Solisten, natürlich unter Wahrung der gegebenen Hygienevorschriften, zu realisieren. Guggeis hat selbst im Kirchenchor und in semiprofessionellen Chören die Tenorstimme gesungen, hat eine große Liebe zum Chorgesang und zu den Chorwerken, und erlebt jetzt das Requiem zum ersten Mal von „der anderen Seite“. Diese Liebe zum Chorgesang ist bei Guggeis vom ersten Takt an zu spüren. Für ihn sei es „ein großes Geschenk“, das alles, Chor, Orchester, Solisten zu vereinen.

Auf die Frage, was für ihn die wichtigste Stelle im Requiem sei, antwortet Guggeis, „das Lacrimosa als zentrale Stelle und das letzte, was noch fast ausschließlich von Mozart stammt, aber auch der Übergang vom Agnus Dei zum Lux aeterna, den Süßmayr verfasst hat, wo die Zeit fast stillsteht und man in eine andere Welt hinüberblicken kann.“ Diese Stelle sei für ihn besonders intensiv. Den offenen Schluss charakterisiert Guggeis als Übergang vom Weltlichen ins Sakrale, mit einem Fragezeichen. Was kommt danach? Niemand hat ja die Reise je zurückgemacht. Dieses Requiem steckt für ihn voller Leben, ist nicht abgeklärt und distanziert, kein musikalisches Moment, dem man sich emotional nicht nähern kann. Für Guggeis bildet Mozart die Grundlage für vieles, die Phrasen, die Harmonik, aber auch die Menschlichkeit in der Musik. „Es ist immer reinigend, für das Orchester und für einen selbst“, aber man muss auch bei Mozart „immer schnell die Hosen runterlassen“, quasi ein Lippenbekenntnis, wenn man mit einem neuen Orchester Mozart machen darf. Es sind diese so offenen und ehrlichen Antworten, die den Youngster so sympathisch machen. Seine persönliche Tendenz ist das „Wagner- und Strauss-Repertoire“, mit dem er aufgewachsen sei, und weil bei Wagner die großen philosophischen Grundfragen gestellt werden, nicht nur in der Musik, sondern auch im Text. Und Guggeis vermisst wie alle das Publikum. Klang ist für ihn ein physisches Erlebnis, der überwältigt, der Energie gibt, aber auch die Energie des Publikums wiederum aufnimmt. Aber eigentlich wollte Guggeis gar kein Dirigent werden, wie er offenherzig verrät. Anfangs war er mehr den Naturwissenschaften zugetan und hat Physik studiert. Natürlich hat er auch viel Klavier gespielt, aber jeden Tag sieben bis acht Stunden im „stillen Kämmerlein“ zu üben, um Pianist zu werden, das war nicht sein Ding. Er hatte immer den großen Wunsch zum gemeinsamen Musizieren. Und so studierte er doch Dirigieren, wurde Assistent bei Barenboim, dann der überraschende Durchbruch als Einspringer für Dohnányi. Seit der Spielzeit 2018/19 als Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart engagiert, ist er nun Berliner „Staatskapellmeister“ Unter den Linden und wird dort neben dem Falstaff im November seinen ersten Lohengrin dirigieren.

Von Thomas Guggeis wird man in Zukunft sicher noch vieles hören. Und der Oper Frankfurt ist mit dieser Produktion von Mozarts Requiem nicht nur eine wunderbare Aufführung gelungen, deren Stream auf dem YouTube-Kanal der Oper Frankfurt weiterhin gesehen und gehört werden kann, sie hat damit auch ein deutliches Zeichen der Hoffnung und des Trostes in diesen schweren Zeiten gesendet.

Andreas H. Hölscher