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Wenn es Mozart nicht gäbe …

L’ITALIANA IN LONDRA
(Domenica Cimarosa)

Besuch am
26. September 2021
(Premiere)

 

Oper Frankfurt

Zwei Minuten nach 18 Uhr wird das Licht im Zuschauerraum der Oper Frankfurt zur Premiere von Domenico Cimarosas L’Italiana in Londra gedimmt – gerade spät genug, um doch noch einen Blick auf die allererste Prognose der deutschen Wahlnacht zu erhaschen. Egal, ob man da erleichtert oder entsetzt ist, kann der Zuschauer dieser Aufführung sich dann glänzend amüsieren und der Welt eine Weile abhandenkommen.

Die 1778 in Rom uraufgeführte Oper war international zu Lebzeiten des Komponisten sehr erfolgreich. Heute steht sie im Repertoire der Opernhäuser im Schatten von Cimarosas häufiger gezeigtem Werk Il Matrimonio segreto. Die Handlung des Intermezzo in Musica weist die typischen Verirrungs- und Verwirrungsmerkmale der musikalischen Komödie jener Zeit auf. Eine Gruppe von fünf Personen trifft zufällig in einer Pension in London aufeinander. Es kommt zu surrealen, dunklen, traurigen, vor allem aber lustigen Begegnungen. Die Charaktere kommen sich näher und zwei Liebespaaren steht wohl bald die Hochzeit ins Haus.

Der Aberwitz der Handlung auf dem Weg dahin, inklusive eines magischen Steins, der Polidoro vermeintlich unsichtbar macht, ist für den amerikanischen Regisseur R. B. Schlather wie eine surreale romantische Oper, die von Jean Genet und Monty Python in einem Billighotel geschrieben wurde. Das Bühnenbild von Paul Steinberg ist durch eine runde Fachwerkkonstruktion in der Mitte geprägt, die sich je nach Dynamik der Aktion zu drehen beginnt und äußerlich in etwa wie das Globe Theatre in London anmutet. Auch die Kostüme der Sänger von Doey Lüthi ändern sich je nach Spiel- und Verwirrungslage der Handlung und steigern sich mitunter in ihrer bizarren Farblichkeit und Form.

Längere Probenphasen des Ensembles konnten wegen der Pandemie nur online stattfinden. Umso erstaunlicher das frappierende Ergebnis, die Exaktheit des Handwerks, die präzise sitzenden Überraschungseffekte. Man könnte fast fragen, ob diese unfreiwillige Arbeitstechnik nicht zu dem bestechenden Ergebnis beigetragen hat und wenn ja, was das wohl über unsere Zeit aussagen mag.

Schlather arbeitet mindestens in Teilen mit Sängerpersönlichkeiten, die er bereits aus vorangegangenen Arbeiten kennt. Er entwickelt mit dem Team jeweils individuelle, psychologische Porträts, die bei aller Unterhaltung und Komik doch ganz differenzierte Charaktere sind. So ist der holländische Kaufmann Sumers ein erfolgreicher Geschäftsmann, aber egozentrisch, narzisstisch und vor allem einsam. Und diesen Ring seiner Einsamkeit vermag er nicht zu durchbrechen. Das wird auch so bleiben, vielleicht der dunkelste und traurigste Moment des Abends. Theo Lebow singt die schwierige Tenorpartie mit beispielloser Spielfreude und der Fähigkeit, die melancholischen und traurigen Elemente der Rolleninterpretation in einer makellosen Stimmgestaltung umzusetzen.

Nicht weniger überzeugend wissen sich auch die anderen Mitglieder des Ensembles zu präsentieren. Angela Vallone beherrscht die anspruchsvollen stimmlichen Voraussetzungen der hohen Dame Livia bestens und kann darstellerisch durch eine hinreichende Prise arroganten Anspruchs ihren verliebten Milford Arespingh lustvoll auf die Palme bringen. Der wird vom jungen Bariton Iurii Samoilov gegeben, der in englischem Outfit mit Melone ebenso bella figura macht wie in einem späteren Moment in der Begegnung mit seiner Angebeteten in Unterhose.

Nicht zu unterschätzen Bianca Tognocchis Madame Brillante, die Hausherrin und vielfältige Strippenzieherin im Hotel. Sie selbst verfällt Don Polidoro, dem italienischen Touristen, der allerdings in der bizarren Drastik nur von einem Engländer selbst, der mit Faulty Towers und John Cleese aufgewachsen ist, so urkomisch vertreten werden kann, wie das Gordon Bintner auf unfassbare Weise gelingt. Auch diese beiden jungen Sängerdarsteller bewegen sich stimmlich auf höchstem Niveau.

Man kann lange darüber diskutieren, an welche Komponisten genau man sich beim Anhören der Musik erinnert fühlt. Da ist zunächst Mozart. Viele musikalische Phrasen und rhythmische Eigenarten erinnern nicht nur vage an seine großen Opern, vielmehr meint man mitunter bei Polidoro doch auch Gugliemo aus Così fan tutte zu hören. Das Paar Livia und Milord Arespingh gibt einen Ausblick auf Graf und Gräfin aus Le nozze di figaro. Dann aber mag man auch das unerbittlich federnde Räderwerk eines Rossinischen Finalschlusses zu hören, wie wir es unter anderem auch aus der Reise nach Reims kennen, eine Oper, die ebenfalls in einem Hotel und unter unterschiedlichen europäischen Reisenden spielt. Man fragt sich, wie der Stellenwert Cimarosas heute im Repertoire der Opernhäuser wohl wäre, wenn es Mozart nicht gegeben hätte, der doch alle noch einmal übertrifft.

Leo Hussain mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester meistert die Partitur durch durchsichtig-prickelndes, aber ebenso exaktes Spiel der Musiker, als wolle das gesamte Orchester den Abend nur Champagner ausschenken angesichts der Freude, dass man wieder Musik spielen und Theater machen darf.

Großer Jubel im wegen des Wahlabends nur mäßig besetzten Haus – die aber dort sind, denen ergeht es mit Sicherheit besser als vor dem Fernseher daheim.

Achim Dombrowski