O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Hanna Schörken, Robert Beck, Daniela Petry und Maria Trautmann (v.l.n.r.) - Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Einander unbekannt

UNTERBRECHUNG
(Improvisation)

Besuch am
15. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Rabbit-Hole-Theater, Essen

Man darf wohl ohne Zweifel behaupten, dass Daniela Petry zu den kreativsten Kontrabass-Spielern der Gegenwart gehört. Neben und mit ihrem eigenen Ensemble Gruppe Moment ist sie ständig auf der Suche nach neuen musikalischen und theatralischen Begegnungsformen. Mal geht es darum, Tanz, Theater und Musik in nicht gekannter Weise zu kombinieren, immer aber darum, zeitgenössische Musik zu präsentieren. Petrys neues großes Projekt wird am 24. Juni auf Zeche Zollverein stattfinden: Beim Festival Extraschicht wird es eine Konzert-Performance mit elektroakustischer Beschallung der Umgebung geben. Eine öffentliche Probe ist bereits am 14. April ebenda vorgesehen. Bis dahin ist noch viel Zeit für Konzerte. Und so können die Berliner Petry während des Performing Arts Festivals erleben, das vom 30. Mai bis zum 4. Juni stattfindet.

Daniela Petry – Foto © O-Ton

Jetzt aber gibt es erst mal eine neue Folge ihrer Laborbegegnungen. Für die Laborbegegnungen ist das Rabbit-Hole-Theater am Viehofer Platz in Essen das „Wohnzimmer“. Nach den Vorstellungen von Kassandras Fall am vorangegangenen Wochenende ist der kleine Saal wieder in gewohnter Weise hergerichtet. Nur dass sich dieses Mal nicht so viele Zuschauer einfinden. Aber wen wundert das an einem Mittwochabend? In den Laborbegegnungen, die Petry als Experimentierfeld sieht, treffen Künstler aufeinander, die sich bislang nicht kannten, sofern sie nicht der Gruppe Moment angehören. Hier wird eine Musik gefeiert, die in Deutschland abseits der Jazz-Szene wenig bekannt ist. Unter einer musikalischen Improvisation versteht man eine Form musikalischer Darbietung, die in der Ausführung selbst entsteht. Der spontane Einfall und die Inspiration stehen im Vordergrund.

Dass sich die Improvisation unter Musikern keiner sonderlich hohen Beliebtheit erfreut – und deshalb vom Publikum vergleichsweise selten zu erleben ist – hängt damit zusammen, dass eine Improvisation zwar grundsätzlich von jedem geleistet werden kann, aber um daraus ein Fest zu machen, erfordert es dann doch Qualifikationen, die nicht jeder Musiker zu leisten im Stande ist. Neben der Beherrschung des eigenen Instruments einschließlich der Stimme ist auch die Kenntnis der musikalischen Parameter und ihrer Gesetzmäßigkeiten im geforderten Genre erforderlich sowie, und das ist wohl das entscheidende Kriterium, das Potenzial, damit kreativ umzugehen.

Damit scheiden Improvisationen im Orchester quasi aus, wird hier – gerade im klassischen Betrieb – doch eher so etwas wie Werktreue zum bestehenden Repertoire verlangt. Da wird Improvisation schnell zum fehlerhaften Spiel abqualifizert. Ganz anders am heutigen Abend, den Petry unter dem Titel Unterbrechung veranstaltet. Eingeladen hat sie dazu drei weitere Musiker. Hanna Schörken studierte zunächst englische und französische Literatur in Bonn, verlegte sich aber schnell auf die frei improvisierte Musik, setzte ihre Studien in Holland, Osnabrück, Lyon und Köln fort. Heute arbeitet sie als Sängerin im Bereich der frei improvisierten Musik, Jazz und elektronischer Musik. Mag ein Kontrabass und Stimme noch zusammengehen, wird es schon bei der Posaune ungewöhnlich. Maria Trautmann studierte Jazz-Posaune an der Folkwang-Universität der Künste in Essen. Ebenfalls an der Folkwang-Uni erwarb Robert Beck sein Wissen um das Spiel der Klarinette. Sein Masterstudium absolvierte er in Berlin. Seither beschäftigt er sich auch mit der elektronischen Musik. Ein ungewöhnliches Quartett, das hier heute Abend mit einer Improvisation antritt. Und vielleicht noch ungewöhnlicher: Die vier haben zuvor nicht geprobt. Beck haben die Frauen erst an diesem Abend kennengelernt.

Robert Beck – Foto © O-Ton

Auch für die Improvisation ist ein Konzept hilfreich. Das gibt Petry denkbar vage vor. Schön wäre, wenn sie es auch im Vorfeld dem Publikum erklärte. Das aber bleibt im Ungewissen darüber, dass hier Klangflächen erarbeitet werden, die von den Solisten immer wieder durchbrochen werden und damit eine Richtungsänderung erfahren. Das klingt in der Theorie recht trocken, wird aber in der Praxis zu einem Erlebnis, bei dem eine halbe Stunde wie im Flug vergeht. Hier entsteht tatsächlich neue Musik, von der man sich wünschte, dass sie erhalten bliebe. Einen wesentlichen Teil bestreitet Schörken, die aus ihrer Stimme tatsächlich ein Instrument macht, das im Wesentlichen ohne Worte auskommt. Dass die vier über ausreichend Erfahrung auf dem Gebiet der Improvisation verfügen, wird schnell klar. Keiner drängt sich hier in den Vordergrund, stattdessen versuchen Beck auf B- und Bass-Klarinette, Trautmann mit gekonnter Zurückhaltung und Petry unter Einbeziehung aller Teile ihres Kontrabasses, eine Balance herzustellen, in der die Instrumente einschließlich der Stimme gleichberechtigt erscheinen.

Ein wunderbares Erlebnis, das eigentlich schon beendet ist, als Katina, ein Gast, interveniert. Was wäre, wenn der Kontrabass die Führung in der Improvisation übernimmt? Will sie per Zwischenruf wissen. Petry lässt sich darauf ein, verwendet ihr Instrument nun nicht mehr zum Saitenspiel, sondern als Resonanzkörper für die Perkussion, Schörken und Trautmann ziehen nach einigem Zögern mit, während Beck mit seiner Elektronik kämpft, die er eigentlich hinterherschieben wollte. Am Ende aber ist er es, der den Gig zum überzeugenden Schluss bringt.

Wie im Kaninchenloch am Viehofer Platz üblich, verweilen die Gäste noch lange, um über die so hervorragende wie ungewöhnliche musikalische Leistung des Abends zu diskutieren, so kurz sie aus Sicht des herzlich applaudierenden Publikums auch gewesen sein mag. Den nächsten Besuch des Rabbit-Hole-Theaters sollte man sich für Karfreitag vormerken, wenn Dominik Hertrich den Monolog des Judas nach dem Text Lot Vekemans‘ in Klavierbegleitung von Danny-Tristan Bombosch vorträgt.

Michael S. Zerban