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UNTER GASLICHT
(Jens Dornheim)
Besuch am
23. November 2023
(Uraufführung)
Dass sein Stück einmal solche Folgen haben würde, hat sich Patrick Hamilton vermutlich nicht träumen lassen, als 1938 Gas Light in London erschien. Stark verkürzt erzählt, versucht ein Mann durch die Manipulation der Gasbeleuchtung in der Wohnung seine Frau in den Wahnsinn zu treiben. Ein netter Einfall, zumal die Geschichte letztlich gut ausgeht. Das Stück erschien in den USA unter dem Titel Angel Street, wurde 1940 unter dem Titel Gaslight und 1944 als Das Haus der Lady Alquist verfilmt. 1974 wurde Martha von Rainer Werner Fassbinder erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt – mit nicht ganz so glücklichem Ausgang. Inzwischen hat der Begriff Gaslighting als Phänomen nicht nur Eingang in die Psychologie gefunden, sondern zieht als Modeterminus gleichauf mit Burnout. Das Internet quillt über zu dem Thema, lassen sich dazu doch Beziehungsgeschichten ohne Ende erzählen und erfinden. Seit den 1960-er Jahren wird Gaslighting in englischsprachigen Ländern und in der Psychologie beschrieben als der Versuch, „eine andere Person an ihrer Wahrnehmung der Realität zweifeln zu lassen“. Damit lässt sich das Muster, das ursprünglich ja private Beziehungen beschrieb, auch auf die politische Ebene heben.
Anke Stemberg und Hans Feind – Foto © O-Ton
In seinem 20. Theaterstück hat sich Jens Dornheim ebenfalls des Themas angenommen. Der Autor, Schauspieler, Regisseur und bildende Künstler war ursprünglich von der Idee getrieben, ein „Stück über eine krankhafte Beziehung“ schreiben und verwirklichen zu wollen. So landete er bei Gaslighting und konsequent heißt sein Stück, dass am 24. November seine Uraufführung im Rabbit-Hole-Theater am Viehofer Platz in Essen erleben wird, Unter Gaslicht. Gregor hat seine Ehefrau Martha mehr oder minder unter Kontrolle. Er hat sie sozial komplett isoliert, füllt sie mit Medikamenten ab und lässt sich so einiges einfallen, um ihre Wahrnehmung, Erinnerung und ihr Selbstwertgefühl gegen die Wand fahren zu lassen. Das funktioniert im Allgemeinen ganz gut, verlangt aber von Gregor eine Menge Einfallsreichtum und Rhetorik. Um Martha von ihren Sehnsüchten abzulenken, den Haushalt wenigstens vorübergehend für Einkäufe und Unterhaltung zu verlassen, schenkt er ihr ein Terrarium voller Termiten, das nun vollends ihre vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Als die Termiten aus dem Terrarium in das komplett aus Holz bestehende Haus ausbrechen, ist die Aufregung groß. Der Kammerjäger-Notfalldienst wird bestellt. Es erscheint Zoé, eine abgebrochene Psychologie-Studentin und drogenverliebte junge Dame, die die Termiten eher nebenbei beseitigt und sich vor allem um Martha kümmert. Eine Entwicklung, die für Gregor anders ausgeht, als von ihm erwartet.
Neben einer runden und schlüssigen Geschichte, glaubhaften Dialogen und interessanten Wendungen sorgt Dornheim als Regisseur auch für die Umsetzung. Im Mittelpunkt stehen Möbel von Carl Bruchhäuser, die gleich mal zeigen, dass es an diesem Abend ziemlich schräg zugehen wird. Ein schiefer Tisch und zwei asymmetrisch gebaute Stühle im Mittelpunkt der Guckkastenbühne lassen keinen Zweifel aufkommen. Sie finden ihren Platz in der Bühne von Sabine Bachem, die im Hintergrund Fotowände aufgestellt hat, in deren Mitte eine kleine Projektionsfläche angebracht ist. Die Requisiten hat Gesa Gröning liebevoll zusammengestellt. Noch mehr Fantasie hat Gröning für die Kostüme aufgewendet. Gregor trägt die Farbe des Alters: Beigefarbener Pullover und farblich abgestimmte Hose. Martha ist komplett in schwarz, fast nonnenhaft gekleidet, und Zoé kommt im Blaumann daher. Das ist alles andere als aufregend, passt aber gut in die Atmosphäre, die Dornheim aufbaut. Musikalisch unterstützt wird er dabei vom „Hauskomponisten“ Danny-Tristan Bombosch. Beim Licht setzt Yannis Deden starke Effekte, bei denen er allerdings noch ein wenig ungestüm an den Reglern zieht. Hier wird man sich bei der Uraufführung auf weichere Übergänge freuen dürfen.
Selina Koenen und Anke Stemberg – Foto © O-Ton
Sich als Regisseur auf Gaslighting einzulassen, heißt, viel Arbeit in die Personenführung zu stecken, will man nicht an der Oberfläche hängen bleiben, sondern die psychologischen Tiefen einer Beziehung ausloten. Dornheim gelingt das, weil er drei exzellente Schauspieler auf der Bühne hat. Hans Feind verkörpert genau den Typen, von dem man sich immer nicht vorstellen kann, wie Frauen sich in Abhängigkeiten von solchen Männern begeben. Ungepflegt ist sein Äußeres von den Haaren über die Kleidung bis zum Betragen. Dass er nicht in der Lage ist, mit seinen Gesprächspartnerinnen Augenkontakt aufzunehmen, macht ihn vom ersten Augenblick an zu dem Unsympathen, den er darstellen soll. Herrlich widerwärtig. Anke Stemberg hat als Martha ein ganz anderes Problem. Sie stand in ihrem Leben nämlich erst einmal auf der Bühne, und das war im Kindertheater als Schaf. Nun also soll sie als erwachsene Person nicht nur als Schauspielerin wirken, sondern auch gleich noch eine außerordentlich anspruchsvolle Rolle übernehmen. Dornheim, gibt er selbst zu, musste sie überreden. Welch ein Glück, dass er auch da erfolgreich war. Stemberg erweist sich als Naturtalent, wie es nicht viele gibt. Textsicher, intonationsstark und selbstsicher bei jeder Bewegung überzeugt sie vom ersten bis zum letzten Moment. Das ist schon dann eindrucksvoll, wenn man noch gar nicht weiß, dass sie mit diesem Stück ihr Bühnendebüt feiert. Gratulation zu einer solchen Leistung!
Es dauert eine Weile, bis man die Rolle der Zoé versteht. Warum kommt eine Kammerjägerin zugekifft und vollkommen übermüdet zum Kunden? Der Auftritt entwickelt sich trotz aller Widersprüche zur Sternstunde für Selina Koenen. Unglaublich, wie sie trotz überbordender Bewegungsfreude ihren Text der Kategorie „eigentlich nicht fehlerfrei zu bewältigen“ locker-lässig und glaubwürdig wie ein Gespräch unter Marktfrauen über die Lippen bringt, wenn sie etwa mal eben sieben Termitenfamilien mit ihren lateinischen Namen wie nebenbei aufsagt.
Nach dieser Generalprobe ist klar: Die Uraufführung wird ein Fest. Am 25. November wird es eine weitere Aufführung im Rabbit-Hole-Theater geben, ehe es am 1. Dezember nach Duisburg geht.
Michael S. Zerban