Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
UNDER BRIGHT LIGHT
(Forced Entertainment)
Besuch am
25. März 2022
(Uraufführung)
Forced Entertainment kann man übersetzen mit „verschärfte Unterhaltung“. Ein Erfolgsmodell, mit dem das gleichnamige Ensemble aus dem englischen Sheffield seit über 30 Jahren auf der Bühne aktiv ist. Seit vielen Jahren ist die Truppe auch mit PACT Zollverein eng verbunden, führt dort nicht nur auf, sondern entwickelt auch neue Arbeiten auf der Essener Bühne.
Die neueste Arbeit, die heute unter Leitung von Tim Etchells zur Uraufführung kommt, hat das Ensemble Under Bright Light genannt – unter hellem Licht. Bereits vor zwei Jahren hätte die Aufführung stattfinden sollen, jetzt ist es endlich so weit. Das Publikumsinteresse ist enorm. Möglicherweise liegt es daran, dass das 80-minütige Stück als Slapstick angekündigt ist. Mit zehnminütiger Verspätung beginnt der „Klamauk“, der sich alsbald als etwas anderes herausstellen wird. Die Bühne von Richard Lowdon zeigt eine Lagerhalle, in der verschiedene Stationen aus Kartons, Leitern, Tischen oder Stühlen aufgebaut sind. Nigel Edwards taucht die Bühne in das namengebende grelle Weißlicht, das den wesentlichen Teil der Aufführung über unverändert bleiben wird und die Gnadenlosigkeit der Geschehnisse noch unterstreichen wird.
Foto © Hugo Glendinning
Robin Arthur, Jerry Killiok, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Noden und Terry O’Connor betreten ihren Arbeitsplatz. Die älteren Darsteller mit den ungepflegten Frisuren wirken in ihren dunkelblauen Overalls herrlich authentisch. Sie nehmen sofort ihre Arbeit auf. Permanent werden die Gegenstände auf der Bühne transportiert. Das macht keinen Spaß, ist eben Arbeit. In einer Gesellschaft, die vorspiegelt, sie bestehe im Wesentlichen aus jungen Menschen, die „irgendwas mit Medien oder Computer machen“, wirkt die Bühnensituation aus der Welt gefallen. Zunächst. Die Lagerarbeiter schaffen unentwegt. Jeder Versuch, ein Muster oder Regeln in den Abläufen zu erkennen, läuft fehl. Zwar scheinen die Namenlosen irgendwelchen Anweisungen unsichtbarer Entscheider zu folgen, aber welche das sind, wissen sie wohl selbst nicht. Hin und wieder erklingen Klingelzeichen, die dafür sorgen, dass einzelne Mitarbeiter ihren Arbeitsrhythmus vorübergehend erhöhen. Hin und wieder zeigt die fein gezeichnete Choreografie Bewegungsabläufe, die an Videospiele längst vergangener Zeiten erinnern. Derweil prasselt die Minimal Music von Graeme Miller aus den Lautsprechern. Der ewig gleiche Rhythmus, der sich nur so wenig verändert, dass die Variationen kaum wahrnehmbar sind. Nach rund zehn Minuten gibt es eine Pause, in der sich die Arbeiter, die den Abend über sprachlos bleiben, in einem Gruppenbild erholen können. Später erhöht sich die Arbeitsintensität, die Pausen fallen weg. Klaglos setzen die Menschen die immer unsinniger wirkenden Transporte fort, fallen immer häufiger erschöpft um.
Aus Publikumssicht gibt es keine großen Änderungen auf der Bühne, keine Pointe, auf die das Geschehen hinausläuft. Vielleicht der Trend des zunehmenden Unsinns. Und genau darin liegt die Wirkung dieses hervorragenden Abends. Da wird es nicht nur einen Angestellten unter den Zuschauern geben, der sich zunehmend Gedanken über die eigene Arbeitssituation macht. Soziologisches Bewegungstheater, das Assoziationen auslöst. Eine interessante Erfahrung. Während im Fernsehen am Abend Beiträge über „Work Life Balance“ laufen, geht am Morgen die Maloche wieder los. Fünf Tage die Woche, wenn du Glück hast. Wenn nicht, ist Schichtdienst. Die Entscheidungen über die Arbeitsabläufe kommen „von oben“, von den Unsichtbaren, bleiben undurchschaubar, sind einfach ebenso durchzuführen wie ihre Änderungen oder gar schlicht ihre Umkehr. Millionen Menschen verbringen so einen gut Teil ihres Lebens. Ist es eine kleine Revolution, die das Licht am Ende des Abends verändert, die Stationen auflöst und das Material so aufschichtet, dass die eine Hälfte der Bühne freigeräumt ist? Wer weiß das schon. Die Blicke bleiben leer, die Erschöpfung ebbt nicht ab.
Freude wird auf den bis dahin unbewegten Gesichtern erst erkennbar, als das Publikum den Darstellern herzlich applaudiert. Zwei Folgeabende sind geplant.
Michael S. Zerban