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Aktuelle Aufführungen

Nah am Wasser gebaut

IL TRITTICO
(Giacomo Puccini)

Besuch am
22. Januar 2022
(Premiere)

 

Aalto-Musiktheater, Essen

Giacomo Puccinis Il Trittico zählt gewiss zu den interessantesten Experimenten der Operngeschichte. Drei jeweils etwa einstündige Opern denkbar unterschiedlicher stilistischer Machart, die auch thematisch auf den ersten Blick nur wenig Gemeinsames verbindet, als zusammenhängendes Triptychon verstehen und aufführen zu sollen, bringt mit seinen Anforderungen an die unterschiedlichen Besetzungen nicht nur manchen Theaterleiter in Bedrängnis, sondern fordert auch dem Publikum viel Sitzfleisch und Einfühlungsvermögen ab. Obwohl Puccini aufgrund der praktischen Aufführungsprobleme am Ende von seiner hartnäckigen Forderung nach geschlossenen Aufführungen des gesamten Dreierpacks abgerückt ist und seitdem häufig herausgelöste Einzelstücke wie Suor Angelica oder Gianni Schicchi mit anderen Kurzopern verknüpft werden, hat Puccini mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt recht: Ihre volle Wirkung erzielen die drei Werke nur als Gesamtpaket.

Davon kann man sich jetzt am Aalto-Theater in der Essener Erstaufführung des kompletten Tritticos überzeugen. Die Besetzungsprobleme halten sich dort angesichts des vorzüglichen Ensembles in Grenzen, und Regisseur Roland Schwab bemüht sich redlich um eine konzeptionelle Verknüpfung der drei Stücke: des realistisch düsteren Eifersuchtsdramas Il Tabarro – der Mantel – im Pariser Hafenviertel des frühen 20. Jahrhunderts, des grenzwertig anrührenden Rührstücks Suor Angelica um eine verstoßene Nonne und ihre Trauer um ihr totes Kind in einem italienischen Kloster Ende des 17. Jahrhunderts und der bitterbösen Erbschleicher-Komödie um das bauernschlaue Schlitzohr Gianni Schicchi aus dem Florenz der Renaissance.

Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt ist der Tod, der alle drei Werke überschattet. Der Kindstod des einst glücklichen Ehepaares Giorgetta und Michele in Tabarro, der zur Entfremdung und letztlich zu einem Eifersuchtsmord führt. Der Tod ihres unehelichen Kindes und der Suizid der Suor Angelica und in Gianni Schicchi der bigotte Kampf um das Erbe des reichen Donati. Der Tod erklingt bei Puccini in unterschiedlichen Farben: im Tabarro düster, herb und schroff, in Suor Angelica zart und am Ende verklärend, in Gianni Schicchi als grotesk verzerrte Grimasse.

Aspekte, die Schwab im Einheitsbühnenbild von Pietro Vinciguerra verknüpfen möchte, was angesichts der unterschiedlichen atmosphärischen Profile der Stücke nur teilweise aufgeht. Die Bühne ist zum größten Teil überflutet, so dass die Darsteller zumindest in den pausenlos aufeinanderfolgenden ersten Teilen ständig durch knöcheltiefes Wasser stapfen müssen, was das Bewegungstempo einschränkt. Eine Kinderleiche schwimmt auf der Oberfläche und ein gleich großer Spiegel an der Decke reflektiert das Geschehen im Teich. Mit verblüffenden Effekten, wenn zu Angelicas Suizid die Wasserfläche mit schwimmenden Kerzen überzogen wird, die im Spiegel wie Sterne an einem imaginären Firmament wirken.

Während Il Tabarro auf einer nahezu völlig leeren, lediglich je nach Tageszeit unterschiedlich farbig ausgeleuchteten Bühne spielt, begrenzen weiße Schleier das Gewässer in Suor Angelica, wobei sich der Bühnenhintergrund zum verklärenden Ende hin öffnet. Nach der Pause ist der See zu einem kleinen Swimming Pool für die Schickeria der geldgierigen Erbengemeinschaft geschrumpft. Unbequeme, aber hypermoderne Sitzmöbel machen es der Gesellschaft nicht leicht, deren Oberflächlichkeit in Schwabs Inszenierung den alten Donati offenbar so abstößt, dass er nicht an Altersschwäche stirbt, sondern sich selbst erschießt.

Der weitgehend trockene Bühnenboden in Gianni Schicchi erlaubt dem vielköpfigen Ensemble, sich in diesem Stück virtuoser zu bewegen als in den tragischen ersten Teilen. Wobei Schwab die Turbulenz bisweilen überdreht. Das glatte Luxus-Szenario strahlt eine gewisse Kühle aus, der das in der Partitur verankerte Kolorit des florentinischen Spielorts abgeht. Aber lokales Kolorit steht ohnehin nicht im Fokus der Inszenierung. Schwab möchte den Blick auf die Protagonisten lenken, wozu das Gewässer in Il Tabarro und Suor Angelica durchaus taugt, wenn etwa Schwester Angelica ihre Seelenqualen im See austrägt, umgeben von ihren auf dem angrenzenden Festland lauernden Mitschwestern und ihrer hartherzigen Tante.

Einen kleinen, aber feinen Beitrag zur thematischen Verknüpfung der drei Teile leistet auch die Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht, indem sie drei weibliche, zum Teil zentrale Figuren in rosafarbene Gewänder steckt, mit denen sie sich von den dunklen oder grauen Kostümen des restlichen Personals abheben. Das betrifft Giorgetta in Il Tabarro, die Suor Angelica und die Lauretta in Gianni Schicchi.

Musikalisch verleiht Roberto Rizzi Brignoli am Pult der üppig besetzten Essener Philharmoniker allen drei Stücken das angemessene Profil. Mit klanglich fein abgestufter Akkuratesse, Spürsinn für die unterschiedlichen Stimmungslagen, treffsicheren Tempi und genügend Rücksichtnahme auf die Sänger, die sich unter Brignolis Dirigat sicher entfalten können.

Heiko Trinsinger muss als Michele in Tabarro und als Gianni Schicchi gleich hohe Anforderungen als tragischer Held und als Komödiant erfüllen, was ihm mit seinem wandlungsfähigen und substanzreichen Bariton stimmlich als auch darstellerisch vollauf gelingt. Jessica Muirhead gibt der Suor Angelica mit ihrer großen Stimme eine tragische Größe, die beeindruckt, auch wenn der Rolle dadurch etwas an mädchenhafter Unschuld verlorengeht. Dadurch gewinnt sie allerdings an Stärke in der Auseinandersetzung mit der eiskalt agierenden Fürstin von Bettina Ranch, die zuvor in Tabarro der Frugola skurril-komische Züge verleiht.

Annemarie Kremer als Giorgetta und Sergey Polyakov als Luigi, das unheilvolle Liebespaar im Tabarro, erfüllen ihre Partien vokal mühelos mit dramatischer Intensität. Auf gleichem Niveau gefällt mit seinen leichteren Stimmen das junge Liebespaar in Gianni Schicchi mit Lilian Farahani als Lauretta und Carlos Cardoso als Rinuccio. Die Besetzung der allein auf 15 Solopartien ausgerichteten Komödie unterstreicht die vorzügliche Ensemblepflege des Aalto-Theaters.

Insgesamt eine Produktion, die die originäre Qualität des originellen Werks zum Ausdruck bringt. Wenn auch, im Unterschied zur emphatischen musikalischen Darstellung, in einem ungewohnten, bisweilen unterkühlten Ambiente. Langanhaltender Beifall des Premieren-Publikums.

Pedro Obiera