O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Jung

Aktuelle Aufführungen

Wagner in Spielfilmlänge

TRISTAN XS
(Richard Wagner)

Besuch am
2. Oktober 2020
(Premiere)

 

Aalto-Theater, Essen

Dass Richard Wagner einer der großen Verlierer der Pandemie werden könnte, mit dieser Befürchtung möchte sich das Essener Aalto-Theater nicht abfinden. Der opulente Saisonauftakt mit einem neuen Tannhäuser fiel zwar der Krise zum Opfer, aber ganz auf den Bayreuther Meister muss das Publikum nicht verzichten. Begnügen muss man sich allerdings mit einer Bearbeitung des Tristan in Spielfilmlänge mit einem 34-köpfigen Orchester. Was die musikalische Leistung des Tristan-XS-Projekts angeht, kommen auch eingefleischte Wagnerianer auf ihre Kosten. Mit Musiktheater hat der von Hans-Georg Wimmer geschickt arrangierte Verschnitt allerdings nichts zu tun. Tristan XS ist eine Notlösung.

Immerhin können sich Daniel Johansson und Daniela Köhler als Tristan und Isolde prominent in Szene setzen. Als kleiner, aber anspruchsvoller und kräftezehrender Ersatz für den ausgefallenen Tannhäuser, auf den sie sich besonders freuten. Für die „szenische Einrichtung“ wird zwar Marijke Malitius im Programmheft erwähnt. Aber zwei kaum genutzte Podeste und ein paar Video-Projektionen des Liebespaars und des Liebestranks können nicht kaschieren, dass es sich um eine konzertante Aufführung im Kostüm handelt, zumal das Orchester den größten Teil der Bühne besetzt.

Wimmer stellt einige Schlüsselszenen der Titelhelden zusammen und fokussiert den Blick auf die rein private Liebesgeschichte. Durch den Verzicht auf die restlichen Figuren werden die gesellschaftlichen Konflikte und Spannungen dieser „verbotenen Liebe“ eliminiert, was die dramatische Schlagkraft des Werks mildert.

Zu hören sind mehr oder weniger vollständig das Vorspiel, Isoldes Monolog aus dem ersten Akt, das Liebesduett, das Vorspiel zum dritten Akt, die Sterbeszene Tristans und natürlich Isoldes Liebestod. Eine in dieser Konzentration gewaltige Herausforderung für die beiden Darsteller, was man Daniel Johansson im Liebesduett auch anhört. Dennoch grandios, mit welcher Kondition er noch die Kraftakte der Sterbeakte umsetzen kann. Stimmlich und emotional bringt er alles für die Partie mit. Dennoch sollte er sie im Interesse seiner Stimme noch nicht zu oft singen.

Ein Rat, den auch Daniela Köhler beherzigen sollte, die die Isolde mit frischer, mächtiger, völlig unverbrauchter Stimme und druckvoller Emphase mühelos stemmt. Bisher hat sie allerdings nur kleinere Wagner-Rollen gesungen, und leichte Schärfen in der Höhe könnten sich bei zu vielen Auftritten verstärken. Gleichwohl kann von rundum gelungenen Rollen-Debüts gesprochen werden, die eine Menge der sinnlichen Stimmung des Werks spürbar werden lassen.

Dass die Leidenschaften glühend aufleuchten können, dazu trägt Generalmusikdirektor Tomáš Netopil wesentlich bei. Bei der direkten Nähe der Solisten zum Orchester verliert die von Armin Terzer für Kammerorchester eingerichtete Fassung erheblich weniger an Volumen und Kolorit als befürchtet. Mit einfach besetztem Holz, Englischhorn, Bass-Klarinette, zwei Hörnern, Pauke, Harfe und einem reduzierten Streicherensemble kommt das Orchester der auf die private Liebesbeziehung zugeschnittenen Version durchaus entgegen. Allerdings ist der Orchesterklang sehr höhenbetont. Die Bass-Register könnten eine Verstärkung brauchen.

Das Publikum im mäßig besetzten Aalto-Theater reagiert begeistert auf diesen behelfsmäßigen Ausflug in die scheinbar verlorengegangene Welt Richard Wagners. Es überträgt sich zwar manches von der einmaligen Aura des Stücks, was aber eher den Wunsch nach Wagner in komplettem Gewande verstärkt.

Pedro Obiera