O-Ton

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Viel Verwirrung, wenig Klarheit

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)

Besuch am
24. September 2022
(Premiere)

 

Aalto-Musiktheater, Essen

Begeisterter Beifall für die musikalische Crew, der sich bei Generalmusikdirektor Tomáš Netopil zu Standing Ovations steigert, ein munterer Wettstreit zwischen Bravo- und Buh-Rufen für das szenische Team: Reaktionen auf die Premiere des neuen Tannhäuser im Essener Aalto-Theater, wie man sie bereits von der letzten Produktion des Stücks vor vierzehn Jahren mit Hans Neuenfels und Stefan Soltesz kennt.

Dem plötzlich verstorbenen Dirigenten ist die Premiere gewidmet. Und sein Nachfolger Tomáš Netopil zeigt sich dem Anliegen vollauf würdig. Netopil nimmt sich zwar mehr Zeit als sein vorwärtsdrängender Vorgänger, scheut sich auch nicht vor einer dicken Prise Pathos in den choralartigen Passagen, verwöhnt aber, vor allem in den zarteren Partien des dritten Akts, mit kammermusikalischer Delikatesse vom Feinsten.

Szenisch hinterlässt die Inszenierung von Paul-Georg Dittrich mehr Fragen als Antworten, was angesichts der Problematik des Stücks nicht verwundert. Die Verknüpfung von Religions-, Gesellschafts-, Künstler- und Erlösungsdrama überfordert selbst die dramaturgische Genialität eines Richard Wagner, der trotz einiger gravierender Umarbeitungen bis zu seinem Tod unzufrieden mit seinem Tannhäuser war.

Die Wahl der Fassung ist dabei zweitrangig. Wie vor zwölf Jahren entscheidet man sich für die Dresdner Urversion, wodurch man sich das große, meist ohnehin kitschig choreografierte Bacchanal-Ballett erspart. Warum sich aber Regisseure durch die Bank gezwungen sehen, die bereits vorhandenen werkimmanenten Probleme durch eigene, oft abstruse Ideen bis zur total entstellenden Verwirrung zu verschärfen, gehört zu den Geheimnissen des heutigen Regie-Theaters.

Dass Wolfram von Eschenbach am Ende über Elisabeth herfällt, sie erwürgt und dem Wahnsinn verfällt, zeugt von reiner Willkür ohne jeden erhellenden Nutzen. Dittrich will Tannhäuser als rebellierenden Künstler herausstellen, der durch verschiedene Phasen der Kunstgeschichte wandelt. Allerdings wird gerade die Titelfigur durch Nebenhandlungen und diverse Exkurse geradezu an den Rand gedrängt. Er entzieht sich zwar, wie gehabt, den Reizen der Venus, poltert gegen die verklemmte Moral der Rittergesellschaft und verfällt am Ende in zerknirschte Reue. Überlagert wird diese Biografie jedoch durch Dittrichs Versuch, die Frauengestalten mythologisch zu verknüpfen: den Hirten als altgriechische Göttin Holda mit der antiken Venus und der christlichen Elisabeth als Marien-Inkarnation. Dazu bedarf es Erläuterungen im Programmheft und sogar als eingeblendete Texte auf der Bühne, die aber eher in einen Volkshochschulkurs gehören als in eine Opernproduktion.

Für seine Idee seziert Dittrich das Werk in drei letztlich zusammenhanglose Akte. Beherrscht zu Beginn der gewaltige Torso der 3000 Jahre alten Venus von Milo die Bühne, kühlt der erotische Reiz bereits in der Ouvertüre ab, wenn ausgerechnet mit dem Einsatz der Venusberg-Musik der Bauch der Skulptur per Video einer Ultraschall-Untersuchung unterworfen wird. Es folgen Bilder aus einem klinisch sterilen Besamungs-Labor, die die sinnliche Atmosphäre des ersten Akts auf den Gefrierpunkt sinken lassen.

Im zweiten Akt mit einem munter inszenierten Sängerkrieg gruppiert sich die Rittergesellschaft zu einem lebenden Standbild von Raffaels Schule von Athen aus dem 16. Jahrhundert. Ein Bild, das im dritten Akt auf den Hintergrund projiziert und von einem Kind mit weißer Farbe überstrichen wird. Dabei erstarrte die Inszenierung zu einem szenisch angedeuteten Oratorium. Die Hauptfiguren sitzen auf einer Bank, treten ab und zu hervor, der Chor tönt mächtig von den Emporen. Die zentrale Korrektur des unbarmherzigen Papstes und der damit verbundenen Bigotterie der christlichen Gesellschaft findet auf der Bühne kein Echo. Stattdessen Ablenkungen aller Art. Kinder wuseln über die Bühne, ein Kinderwagen rollt auf die Venus zu, auf Monitoren werden Skulpturen zerschlagen, aktionistische Mätzchen vor allem im zweiten Akt. Viel Verwirrung, wenig Klarheit.

Zum Glück entschädigt das hörenswerte Gesangsensemble für die szenische Konfusion. David Johansson beeindruckt in der Titelrolle mit seinem konditionsstarken, nicht nur in der Rom-Erzählung rundum überzeugenden Tenor, auch wenn er von der Regie stiefmütterlicher behandelt wird als etwa Astrid Kessler, die als Elisabeth mit ihrem strahlenden, mühelos ansprechenden Sopran und ihrer agilen und charismatischen Bühnenpräsenz das Ensemble anführt. Schwerer hat es Deirdre Angenent als Venus, die in den heiklen dramatischen Passagen an ihre Grenzen stößt und szenisch wenig Gelegenheit bekommt, sinnliches Kolorit zu verströmen. Vorzüglich singt der immer zuverlässige Bariton Heiko Trinsinger den Wolfram von Eschenbach. Karl-Heinz Lehners Landgraf, Mathias Frey als Walther von der Vogelweide und Andrei Nicoara als Axt-schwingender Biterolf runden das Ensemble hochwertig ab. Dazu gehört auch Mercy Malieloa in der zum Rausche-Engel aufgewerteten Rolle des Hirten. Der verstärkte Chor des Aalto-Musiktheaters beeindruckt durch vokale Energie, wobei die diffizilen Passagen noch an Präzision gewinnen können.

Eine problematische Inszenierung eines problematischen Werks, auch wenn sich der Regisseur, die Ausstatterinnen Pia Dederichs und Lena Schmid sowie der Video-Künstler Vincent Stefan viel Gedanken gemacht haben. Allerdings nicht mit dem Ertrag einer plausiblen theatralischen Umsetzung zumindest eines der brisanten Themen des Werks.

Pedro Obiera