O-Ton

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Foto © Matthias Jung

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Große Stimmen in der Gruft

LUCIA DI LAMMERMOOR
(Gaetano Donizetti)

Besuch am
26. November 2021
(Premiere)

 

Aalto-Musiktheater, Essen

Die Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper Lucia di Lammermoor am Essener Aalto-Theater erfüllt die meisten Anforderungen des schwierigen Werks auf durchweg hohem Niveau. Die drei Hauptrollen sind gut bis hervorragend besetzt, der Dirigent sorgt für einen zügigen Ablauf und die Regie deutet die Geschichte nach einem Roman von Walter Scott nicht als klischeebeladenes Schauerdrama, sondern als abendfüllendes Requiem auf zwei sich gegenseitig zerfleischende schottische Clans.

Johannes Leiacker kleidet den großen Bühnenraum als rabenschwarze Gruft aus, in der Regisseur Dietrich W. Hilsdorf die Oper als effektvolle Bestattungs-Zeremonie präsentiert. Selbst der Souffleurkasten muss als Sarg dienen. Die Hochzeitstafel lädt eher zu einem Leichenschmaus als zu einem Fest ein. Der Chor trägt Trauerkleidung und selbst unter den Solisten sticht lediglich die Titelheldin zunächst in blütenreinem Weiß, nach ihrer Mordtat mit grellen Blutflecken aus dem Dunkel der unheilvollen, schwarz gekleideten Schicksalsgemeinschaft hervor. Auf schottisches Kolorit der Vorlage verzichtet Hilsdorf, sieht man von drei letztlich eher verwirrenden Hexengestalten ab, die einen Bezug zu Shakespeares Macbeth herstellen sollen.

Hilsdorf verfügt über genügend Erfahrung und Routine, um den Chor in Bewegung halten zu können, wobei er bisweilen mit überflüssigen Nebenhandlungen einzelner Choristen vom zentralen Geschehen ablenkt. Das ist schade, denn Hilsdorf versteht es natürlich, die Solisten so professionell zu führen, dass sie sich in gleichem Maß gestalterisch und gesanglich effektvoll in Szene setzen können.

Und damit hat Sopranistin Hila Fahima in der Titelrolle eine Menge zu bieten. Sie ist vom ersten Takt an präsent, durchlebt alle Fassetten ihrer unglücklichen Liebe zum verfeindeten Edgardo und der Zwangsehe mit dem verachteten Arturo ebenso packend wie ihren großen Wahnsinns-Auftritt nach dem Mord an dem aufgezwungenen Gatten. Stimmlich bleibt sie der Rolle an Ausgeglichenheit, Klarheit, Intensität, Höhensicherheit und Koloraturgeläufigkeit so gut wie nichts schuldig. Donizettis pfiffigen Einfall, der Wahnsinns-Arie durch eine magisch tönende Glasharmonika einen irrealen Schleier zu verleihen, greift die Sängerin dankbar auf, um sich stimmlich dem exotischen Instrument anzupassen.

Sir Edgardo Ravenswood, ihr Geliebter, findet in Carlos Cardoso einen fast ebenbürtigen Interpreten. Ausgestattet mit einem Tenor voller Strahlkraft lässt er es nicht an dramatischem Nachdruck vermissen. Allerdings wirkt seine Stimme stets leicht angestrengt und kann sich nur selten entspannt entfalten. Das Problem hat Ivan Krutikov in der unsympathischen Rolle von Lucias rücksichtslosem Bruder Enrico nicht. Er forciert, ohne an die Grenzen seines Baritons zu stoßen und überbetont damit die dramatischen Akzente der Partie.

Dass es klanglich recht robust, bisweilen zu robust zugeht, ist dem Dirigenten Giuseppe Finzi zuzuschreiben, der die Essener Philharmoniker, nicht immer sängerdienlich, zu dynamischen Höchstleistungen antreibt. Auch bei den Tempi lässt er es immer wieder an der nötigen Rücksichtnahme vermissen, so dass es bisweilen zu Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben kommt. Zum Glück trägt er die Titelheldin in ihren großen Auftritten geradezu auf Händen. Und auch die von Hilsdorf aufgewertete Partie des Raimondo Ashton, der mäßigend auf den Krieg der Clans einwirken will, unterstützt Finzi so einfühlsam, dass Baurzhan Anderzhanov seinen Bass wohltönend klingen lassen kann.

Große Oper mit großen Stimmen: Das Essener Premierenpublikum reagiert begeistert und überschüttet alle Beteiligten, auch das szenische Team, mit Ovationen.

Pedro Obiera