O-Ton

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Foto © Saad Hamza

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Frauenliebe und -leben

LIEDERABEND DIANA DAMRAU – HELMUT DEUTSCH
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
14. Mai 2021
(Einmalige Aufführung/Livestream)

 

Philharmonie Essen

Ein betont emotionsgeladenes Programm stellten die Sopranistin Diana Damrau und ihr Pianist Helmut Deutsch für ein Lieder-Recital zusammen, das die Essener Philharmonie im Rahmen ihrer Online-Konzerte präsentiert. Dass die leere Kulisse des großen Saals die Intensität und Vitalität der Interpretationen beeinträchtigen könnte, dafür agieren sowohl der Opernstar als auch der renommierte Klavierpartner zu professionell. Zumal beide froh sind, überhaupt wieder ein leibhaftiges Konzertpodium betreten zu dürfen. Für Diana Damrau blieben die Tore der Opern- und Konzerthäuser bis auf einen Auftritt in Zürich verschlossen und Helmut Deutsch nutzte die Karenzzeit wenigstens für einige CD-Aufnahmen.

Als Liedgestalter kennen sich die beiden seit 20 Jahren, und beide stehen auch neuen Erfahrungen stets offen. So überraschen sie in Essen nicht nur mit Liederfolgen von Clara und Robert Schumann sowie von Richard Strauss. Ein Drittel des Abends widmen sie spanischen Komponisten, und Damrau ist von den Canciones von Enrique Granados, Joaquín Turina und vor allem Fernando Obradors so begeistert, dass sie sogar einen ausschließlich spanischen Abend in Erwägung zog, wovor Deutsch allerdings warnte. Ein spanisches Programm mit deutschen Musikern in Deutschland hält er für zu riskant. Im Augenblick wenigstens. Womit das letzte Wort über den Wunsch von Damrau also noch nicht gesprochen ist.

Foto © Saad Hamza

Schade, dass man vom Text der ausgewählten spanischen Gesänge nichts versteht. Die Sängerin macht aus ihrer Begeisterung keinen Hehl und interpretiert die Lieder mit einer derartigen Energie und Ausdruckskraft, dass der spanische Teil zum überraschenden Höhepunkt des Abends gerät. Vor allem eine Serie von Canciones Fernando Obradors‘ hinterlässt starke Eindrücke. Obradors war einer der wichtigsten katalanischen Komponisten und Förderer des spanischen Volksguts. In vier dicken Bänden hinterließ der 1945 in Barcelona verstorbene Musiker brillante Bearbeitungen spanischer Volklieder, die sich nicht nur durch ihr reizvolles spanisches Kolorit auszeichnen, sondern die es mit ihrer differenzierten emotionalen Tonsprache mit dem Liedgut der deutschsprachigen Romantiker durchaus aufnehmen können.

So wirken Obradors Gesänge über Liebesleid und Liebesfreud‘ wie iberische Geschwister von Robert Schumanns noch immer unterschätztem Zyklus Frauenliebe und -leben. Die acht Lieder nach Texten von Adelbert von Chamisso gestalten das Gefühlsleben einer Frau von der ersten Begegnung mit dem umschwärmten Liebhaber über die Ehe und Mutterschaft bis zum schmerzlichen Tod des Gatten nach. Man wirft dem Zyklus immer wieder ein antiquiertes Frauenbild vor. Aber Schumann gestaltet die Empfindungen der Frau mit einem so filigranen, von hohem Respekt getragenen Einfühlungsvermögen, dass von einer Reduzierung der Frau auf Kochtopf und Babywiege nicht die Rede sein kann. So wie auch manche zweifelhaften Bemerkungen über die Frau in Così fan tutte und der Zauberflöte Mozarts hohe Meinung von den Frauen nicht schmälern können. Bei ihm wie bei Schumann rückt die Musik manche verbale Schieflage zurecht.

Es bereitet Freude, Diana Damrau in absolutem Einvernehmen mit dem äußerst subtil, aber hörbar mitgestaltenden Klavierpartner das Gefühlsleben der fiktiven Frau in Schumanns Zyklus miterleben zu dürfen. Mit ihren reichen stimmlichen Mitteln vermag Damrau klug zwischen feinen, zurückhaltenden Tönen und heftigen Ausbrüchen zu balancieren, ohne in manierierte Übertreibungen zu verfallen. In dem Zyklus hat sie sich auch völlig frei gesungen, so dass die tremolierenden Schwankungen, mit denen sie in den Liedern von Clara und Robert Schumann zu Beginn des Abends noch ein wenig zu kämpfen hatte, überwunden sind. Davon profitiert am Ende auch ein Quartett meist bekannter Lieder von Richard Strauss, darunter die Zueignung und das Ständchen. Merkwürdig, dass diese Gesänge trotz ihrer Meisterschaft nach dem spanischen Block erstaunlich konventionell wirken.

Insgesamt ein erfrischender und hochwertiger Liederabend, dem in der Essener Philharmonie möglicherweise in besseren Zeiten vor leibhaftigem Publikum ein reines spanisches Programm folgen wird. Zu wünschen wäre es.

Pedro Obiera