O-Ton

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Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Zwei Operetten in (k)einer

DAS LAND DES LÄCHELNS
(Franz Lehár)

Besuch am
12. Dezember 2019
(Premiere am 7. Dezember 2019)

 

Aalto-Musiktheater, Essen

Ein Suppen-Eintopf kann vieles vertragen. Doch wenn man gleich zwei Operetten, die politischen Wirren der Entstehungszeit und noch zusätzlich eigene Ingredienzen in den Topf wirft, wird die künstlerische Suppe nicht unbedingt schmackhafter, sondern verliert am Ende den letzten Rest an Eigengeschmack. Dieser Eindruck stellt sich in der Essener Neuinszenierung von Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns ein, mit der sich Sabine Hartmannshenn viel vorgenommen hat. Wie sich herausstellt, zu viel.

Lehárs bekanntem Endprodukt aus dem Jahre 1929 ging sechs Jahre früher eine Version voraus, die unter dem Titel Die gelbe Jacke ein Flop wurde. Es ist sicher interessant, dass sich das ungetrübte Happy End der Gelben Jacke, in dem Pedro und Lea glücklich zueinander finden, im Land des Lächelns nicht einstellen will. Die kulturellen Barrieren zwischen dem chinesischen Prinzen Sou-Chong und der Wienerin Lisa sind zu groß. Es mag sein, dass die politische Entwicklung Ende der 1920-er Jahre mit der Weltwirtschaftskrise und dem wachsenden Antisemitismus Lehár zu dem nachdenklichen Schluss bewogen hat. Wegen seiner jüdischen Frau und den vielen jüdischen Kollegen gerade im Operetten-Genre bekam auch der prominente und von Hitler geschätzte Lehár die bösen Entwicklungen zu spüren. Wenn auch viel glimpflicher als etwa Fritz Löhner-Beda, der Co-Librettist des Land des Lächelns und damit auch des Hits Dein ist mein ganzes Herz, der, wie viele seiner Kollegen, in Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern ermordet wurde.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Der Versuch von Sabine Hartmannshenn, Die gelbe Jacke mit dem Land des Lächelns zu verknüpfen und darin die politische Stimmung der Entstehungszeit einfließen zu lassen, zeugt von Ehrgeiz, schafft aber mehr Verwirrung als Klarheit, von der spezifischen Atmosphäre des Stücks ganz zu schweigen. Wobei viele politisch gefärbte und bewusst auf persönliche Distanz gehaltene Inszenierungen des Genres das Vorurteil durchblicken lassen, Operetten gaukelten eine heile Welt inmitten Katastrophen aller Art vor und trieften vor Sentimentalität. Hört man sich Aufnahmen mit Lehár am Pult und Richard Tauber als Tenor der Sonderklasse an, ist von Sentimentalität nichts zu spüren. Ein Vorurteil, das sich in der Nachkriegszeit entwickelte, in der die Operette lange Zeit als Musiktheater zweiter oder dritter Klasse allenfalls als flache Unterhaltungskiste akzeptiert wurde. Die musikalisch hochwertig besetzten Operetten-Aufnahmen der EMI bildeten eine Ausnahme, die sich auf den Bühnenalltag jedoch nicht auswirkten.

Wenn man also Lehár nicht traut und Angst davor hat, dass es auf der Bühne allzu gefühlvoll und nicht immer tiefgründig genug zugehen könnte, muss gepuscht werden: So findet in Essen die China-Revue  Die gelbe Jacke als Gastspiel des Berliner Metropoltheaters Eingang in die Handlung des lächelnden Landes, wobei die Figuren mit zwei Namen auftreten. Nicht genug damit: Onkel Chang tritt auch noch als Gauleiter auf. Der Chor flankiert das Ganze als Zuschauer und es kommt zu braun gefärbten Störungen mit wilden Prügelattacken. Selbst Prinz Sou-Chong alias Pedro wird nach seinem Ohrwurm Dein ist mein ganzes Herz grob abgeführt. Am Ende ziert die von Lukas Kretschmer durchaus eindrucksvolle Theaterfassade neue, mit den geschwärzten Namen der jüdischen Librettisten versehene Plakate, die jetzt zum Land des Lächelns einladen. Große Hakenkreuzfahnen zieren die Mauern.

Der Sänger des Prinzen verlässt mit einem einfachen Flüchtlings-Koffer die Szene. Auf dem Theater im Theater, also während der Präsentation der Gelben Jacke, kam es zuvor schon zur Trennung von Lisa alias Lea, die aus dem fremden China nach Wien zurückkehrte. Und damit man auch den kulturkritischen Ansatz des Stücks und die fremdenfeindlichen Zeichen der Zeit erkennt, streut die Regisseurin in das Tingeltangel der Show Überzeichnungen ein, wenn auf allen vieren kriechende Frauen an Hundehalsbändern geführt werden und mit dem Hinweis auf die niedrige Stellung der Frau im China des Prinzen auch noch Lehárs Einstellung zur Frau auf den Prüfstein gelegt wird.

Das alles ist gut mit gemeint und wird auch detailliert ausgearbeitet. Letztlich verstellt das thematische Sammelsurium jedoch den Blick auf wesentliche Teile der Handlung, zu denen auch die problematischen Liebesbeziehungen zwischen dem Prinzen und Lisa sowie zwischen dem Grafen Gustl alias Claudius und Mi aka Martha gehören, die in diesem Umfeld nur unscharf zum Ausdruck gebracht werden.

Als Dirigent war der äußerst Genre-kundige Fachmann Friedrich Haider vorgesehen, der kurzfristig absprang. Aus „gesundheitlichen Gründen“, wie offiziell verlautbart wurde. Eine Version, die hinter den Kulissen kräftig angezweifelt wird. In der Tat lassen sich die Qualitäten der Partitur in diesem szenischen Umfeld kaum überzeugend zur Geltung bringen. Und so prescht Stefan Klingele mit recht harter Hand durch das Stück: kräftig und alles andere als charmant. Das führt dazu, dass Jessica Muirhead die Partie der Lisa mit ihrer druckvollen Stimme mit mehr scharfen und forcierten Tönen ausstattet als nötig. Auch Carlos Cardoso als Prinz Sou-Chong muss sich mit einiger Anstrengung gegen das robust aufspielende Orchester durchsetzen. Sein weicher Tenor verfügt zwar über genügend Stehvermögen, wirkt ohne metallischen Glanz jedoch etwas eindimensional. Auch Christina Clark als Mi alias Martha hat schon oft bewiesen, dass sie über eine differenziertere Ausdrucksskala verfügt als sie im Land des Lächelns erkennen lässt.

Vorzüglich die recht geschlossene Ensembleleistung, zu der auch Albrecht Kludszuweit als Graf Gustl, Karel Martin Ludvik als Onkel Tschang und Gauleiter, Rainer Maria Röhr als Obereunuch und Spielleiter sowie der gut disponierte Chor des Aalto-Theaters gehören.

Insgesamt eine gut gemeinte, aber sich im Fassungs- und Deutungsdickicht verzettelnde Produktion, die beim Publikum auf begeisterten Beifall stößt.

Pedro Obiera