Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DRAUßEN VOR DER TÜR
(Wolfgang Borchert)
Besuch am
15. Januar 2023
(Premiere im August 2021)
Gerade wollte man sich an den Namen AmVieh-Theater für das kleine Theater am Viehofer Platz in Essen gewöhnen, da ist schon wieder alles anders. Ob alles besser wird, wird man sehen. Die Zuversicht der neuen Betreiber – Dominik Hertrich, Jens Dornheim und Christian Freund – ist groß, auch wenn sich der Hang zur Größe nicht unbedingt im neuen Namen ausdrückt. Aus dem Theater ist nun ein Kaninchenbau geworden – und damit die Essener es nicht gleich merken, hat man sich für den englischen Begriff rabbit hole entschieden. Das Rabbit-Hole-Theater hat nun seinen Betrieb aufgenommen. Zur Eröffnung unter neuem Namen gibt es eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2021. Damals, im Juli oder August, dazu gibt es unterschiedliche Angaben, fand die Premiere eines geschichtsträchtigen Stücks statt.
Foto © O-Ton
Am 13. Februar 1947, einem Donnerstag, strahlte der Radiosender NWDR das Hörspiel Draußen vor der Tür aus und traf mit dem Stück vom Kriegsheimkehrer Beckmann den Nerv der Zeit. Der bis dahin unbekannte Autor Wolfgang Borchert war fortan in aller Munde. Viel Glück sollte es ihm nicht bringen. Einen Tag vor der Uraufführung am 21. November desselben Jahres in den Hamburger Kammerspielen starb er im Alter von 26 Jahren. Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will lautete der Untertitel des Werks – und da sollte Borchert gründlich irren. In den Folgejahren gab es weltweit eine Unmenge von Aufführungen und Interpretationen. Nie zuvor hatte sich jemand nach einem Krieg darum gekümmert, was aus denen wurde, die als Kinder in den Krieg zogen und als junge Männer, häufig genug nach einer jahrelangen Kriegsgefangenschaft, heimkehrten. Und plötzlich gab es diesen einen, der aus Sibirien zurückkehrte. Nicht mehr in eine Gesellschaft hineinfand, die längst mit dem Wiederaufbau beschäftigt war und keine Zeit hatte für Menschen, die aus einer Vergangenheit auftauchten, die alle verdrängten, und eigentlich dringend der Hilfe bedurft hätten. Und der stellt Fragen über Fragen, klagt an, verlangt, seiner Verantwortung im Krieg entbunden zu werden. Wie soll man mit so einem umgehen? Da hat doch niemand Antworten.
Beinahe wäre das Stück in Vergessenheit geraten. Nach so vielen Jahren Frieden. Aber es gibt in Europa keinen Frieden mehr. Weil ein Irrer in Russland glaubt, er könne seine Allmachtsfantasien ausleben, sterben täglich Menschen in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Wird der Krieg eines Tages beendet sein, werden wieder viele junge Männer in ihr Heimatland zurückkehren und versuchen, einen angestammten oder neuen Platz in der Gesellschaft zu finden. Wieder wird die Antwort lauten: Sie werden keinen finden. Als Christian Freund und Dominik Hertrich damit begannen, sich mit dem Stück zu beschäftigen, konnte noch niemand wissen, dass Präsident Wladimir Putin eine „militärische Sonderaktion“ plante. Ein Glücksfall. Denn so konnten auch keine aktuellen Bezüge in ihre Inszenierung einfließen.
Foto © O-Ton
Die Umbenennung des Theaters hat an den Räumlichkeiten nichts geändert. Gut, die Wände sind ein wenig schwärzer geworden, aber nach wie vor gibt es Platz für rund 40 Besucher und die Bühne ist so groß wie zuvor. Da ist kein Platz für all die Personen, die Beckmann begegnen. Auch für große Ortswechsel, sprich Umbauten ist kein Raum vorgesehen. Also erinnert die Bühne eher an ein Wohnzimmer mit einem bequemen Lehnsessel und einem Klavier. Allein eine weiße Folie mit einem Erdhaufen wird den Elbestrand symbolisieren. Sofern die Personen nicht imaginär bleiben, werden sie von Hertrich verkörpert. Freund bleibt Beckmann, und das ist gut so. Das Spiel ist ausgewogen, intensiv, übertreibt aber nicht und berührt genau so die Zuschauer. Abgerundet wird der Abend durch musikalische Einlagen an Klavier und Gitarre. Da gibt es den Walzer für Niemand von Sophie Hunger aus dem Jahr 2008, der das Stück ebenso im Kern trifft wie Marek Grechuta, der 1972 Wichtig sind Tage, die unbekannt sind komponierte. Prinzipiell begrüßenswert ist auch, dass der Universal Soldier von Donovan in deutschsprachiger Fassung angeboten wird, allerdings ist hier in der Interpretation an diesem Abend noch deutlich Luft nach oben.
Man darf wohl getrost davon ausgehen, dass Draußen vor der Tür in der kommenden Zeit wieder häufiger aufgeführt werden wird. Hertrich und Freund haben hier schon mal gezeigt, wie man es überzeugend mit kleinem Aufwand, aber viel Fantasie auch auf eine kleine Bühne bringen kann. Im Rabbit-Hole-Theater ist das Stück erst mal abgespielt. Hier geht es am kommenden Wochenende mit Amsterdam weiter, einer nach eigenen Angaben der bisher aufwändigsten Produktionen am Viehofer Platz. Und am 3. Februar wartet mit Kassandras Fall das nächste Stück von Christian Freund auf die Zuschauer.
Michael S. Zerban