O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Requiem zu Didos Ehren

DIDO AND AENEAS
(Henry Purcell)

Besuch am
16. Januar 2022
(Premiere am 2. Januar 2022)

 

Aalto-Musiktheater, Essen

Das neue Jahr leitet das Essener Aalto Theater mit Henry Purcells kleiner, aber feiner Oper Dido and Aeneas ein. Wenn auch mit pandemiebedingter Verspätung. Die stark reduzierte Besucherzahl erinnert allerdings daran, dass von normalen Verhältnissen an unseren Theatern noch bei weitem nicht die Rede sein kann. Dennoch kann sich das Publikum an einer einstündigen, hoch konzentrierten und musikalisch über weite Strecken ergreifenden Umsetzung des 1689 uraufgeführten Werks erfreuen.

Die Handlung basiert auf der bekannten Geschichte um die karthagische Königin Dido und den Trojaner Aeneas, der in Liebe zu Dido entflammt, bevor ihn die Götter auffordern, nach Italien zu ziehen und dort Rom zu gründen. Mit dem Ergebnis, dass die Königin den Trennungsschmerz nicht überlebt. Abweichend von den gängigen mythologischen Vorlagen hindert Dido in Purcells Oper Aeneas nicht daran, sie zu verlassen, sondern bestärkt ihn darin, seine Pflicht zu erfüllen und abzureisen. Auch um den Preis, in ihrem eigenen Leben keinen Sinn mehr zu sehen. Diese geschickte Akzentverschiebung vergrößert die tragische Dimension des Schicksals der Königin, die Purcell in besonders einfühlsam tönende Klagegesänge kleidet, wodurch die Figur menschliche Züge erhält, die in der jungen, erst um 1600 einsetzenden Geschichte der Oper bis dahin kaum, selbst bei Monteverdi nicht, so plastisch zum Ausdruck kamen.

Regisseur Ben Baur inszeniert das Stück auf der weitgehend leeren Bühne als düsteres Requiem, in dem vom ersten gesungenen Ton an auf das tragische Ende der Protagonistin eingestimmt wird. Der Damenchor, die Zofen und Dido erscheinen in den Kostümen von Ute Meenen in tiefem Schwarz und noch tiefer verschleiert. Man bewegt sich geradezu gestaltlos wie Schatten aus einer mythischen Unterwelt.

Im zweiten Akt, beginnend mit dem Auftritt des Aeneas, setzt Baur mit dem grell weiß angestrahlten Hintergrund einen scharfen Kontrast. Aeneas als Symbol des Lebens erscheint allerdings alles andere als ein strahlender Held: blutverschmiert, ein Skelett auf Händen tragend, sichtlich gezeichnet von der letzten verheerenden Schlacht des Trojanischen Krieges. Gleichwohl entflammt die Liebe zur Karthagerin. Eine Liebe, die jedoch von der bösen Zauberin argwöhnisch beäugt und letztlich durchkreuzt wird, indem sie Aeneas nachdrücklich daran erinnert, nach Italien aufzubrechen. Interessant, dass Baur die Zauberin als Double der Dido in identischer schwarzer Robe mit goldenem Strahlenkranz auftreten lässt, so dass sich die Figuren optisch kaum unterscheiden lassen. Dadurch verliert die Zauberin ihre Bösartigkeit und erscheint wie ein zweites, der Realität angepasstes Gewissen Didos. Letztlich erfüllt die Zauberin mit ihrer Erinnerung an Aeneas Aufgabe eine göttliche Fügung. Wenn auch aus bösem Antrieb, was Baur aber weniger interessiert.

Es verwundert nicht, dass unter diesem Aspekt die Szenen der beiden Frauen noch eindringlicher wirken als die des Liebespaars. Aeneas zappelt recht passiv zwischen seinen Gefühlen, der Anziehungskraft Didos und den Forderungen der Götter. Und noch weniger verwundert es, dass in diesem sensibel bestellten Umfeld Didos Abschied von der Welt mit der ergreifenden Arie When I am laid in earth umso tiefer anrührt.

Der am Cembalo äußerst agil agierende Dirigent Andrea Sanguineti sorgt mit seinem leidenschaftlichen Dirigat dafür, dass das Werk nicht zum sentimentalen Rührstück zerfließt. Auch die dunkelsten Klagen Didos lassen die Kraft und Stärke der Frau erahnen und Sanguineti gelingt es, die feinen psychischen Fieberkurven der Partitur markant, aber feinfühlig und klanglich farbig zum Ausdruck zu bringen. Wobei die Essener Philharmoniker in Sachen historischer Klangtreue eine Menge zu bieten haben.

Die anspruchsvollen Aufgaben der weiblichen Titelpartie erfüllt Jessica Muirhead stimmlich nuancenreich mit intensiver, gleichwohl verinnerlichter Emphase. Ein vokaler Ansatz, dem sich Bettina Ranch als Zauberin nahtlos anpasst, was die Unterscheidung der beiden Figuren, durchaus im Sinn der Inszenierung, noch zusätzlich erschwert. Trotz seines markanten Baritons kann Tobias Greenhalgh als Aeneas die Eindringlichkeit seiner Kolleginnen nicht erreichen, was allerdings auch auf die musikalische Gestaltung durch Purcell zurückzuführen ist, der den Fokus primär auf die Damen richtet.

Giulia Montanari und Christina Clark erfüllen die kleineren Nebenrollen adäquat und der Chor der Essener Oper verleiht dem Werk mit seinem sauber und weich intonierten Vortrag einen weihevollen, oratorienhaften Klangschleier.

Begeisterter Beifall des Publikums für eine spannende Opernstunde auf leisen Pfoten.

Pedro Obiera