O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Fantastischer Abgang

ABSCHLUSSFEIER
(Dominik Hertrich, Christian Freund)

Besuch am
30. November 2023
(Uraufführung)

 

Rabbit-Hole-Theater, Essen

Es war ein Experiment, das nun zu Ende geht. Unter der Federführung von Dominik Hertrich hatte seit Mai dieses Jahres ein Ensemble auf eigene Kosten im Essener Rabbit-Hole-Theater eine Theater-Serie mit dem Titel Abschlussfeier auf die Bühne gebracht. Jeweils zum letzten Donnerstag eines Monats gab es eine neue Folge, die in der Woche zuvor geschrieben und geprobt wurde. Analog zu den Fernsehserien dauerte eine Folge rund 45 Minuten.

Man muss kein Freund von Science-Fiction sein, damit einem die Geschichte gefällt. Außerirdische rotten die Menschheit aus, ein Theater leistet verzweifelten Widerstand. Die Chancen scheinen sich zum Guten zu wenden. Wenn die Anführerin der Außerirdischen sich bei einer Theateraufführung amüsiert, ist das Überleben gesichert. In der vorletzten Folge sterben die Menschen im Theater. Da die Menschheit inzwischen ausgerottet ist, stellt sich die Frage, was aus den Toten wird, die niemand mehr unter die Erde bringen kann. In der letzten Folge muss es also konsequent um Erlösung gehen.

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Dominik Hertrich und Christian Freund schreiben dazu einen Text, der so etwas wie abgeklärter Rückblick auf die Menschheit sein will, gleichzeitig Abschied ist, aber so verquast, dass es schwerfällt, ihm zu folgen. Nein, einfach macht es einem das Ensemble an diesem letzten Abend wahrlich nicht, selbst wenn man die vorangegangenen Folgen miterlebt hat. Zum ersten Mal ist die Bühne leergeräumt, im Wortsinn wurde hier offenbar tabula rasa gemacht. Wer sich auskennt, entdeckt, dass Ensemble-Mitglieder im hinteren Zuschauerraum Platz genommen haben, die sich erst allmählich durch Wortäußerungen zu erkennen geben. Auf der leeren Bühne räumt Hertrich auf, sieht nach dem rechten. Das funktioniert so gut, dass einer der Zuschauer gar nicht bemerkt, dass das schon zum Stück gehört und lustig zur Bar geht, um Getränkenachschub zu bestellen. Tja, das nennt man wohl das Glück des Tüchtigen. Erst später wird man dem Gast erklären, dass er sehr zur Erheiterung des übrigen Publikums beigetragen hat. Und er wird es mit Humor nehmen. Derweil versammelt sich das zehnköpfige Ensemble zu einem Kreis auf der Bühne. War der Raum in den ersten Folgen geradezu überfüllt mit Requisiten, kann man es schon nachgerade mutig nennen, jetzt in die Leere zu gehen. Aber es funktioniert ganz wunderbar. Hier ist so viel Text und Bewegung, die Regisseur Hertrich sehr gelungen im Raum verteilt, dass die Kahlheit unbemerkt bleibt – und letztlich zur Endzeitstimmung maßgeblich beiträgt.

Was die Darsteller angeht, hätte man erwartet, dass sie zum Finale alle wieder auftreten. Zwei Krankheitsfälle verhindern das. Und so müssen die Besucher auf den liebgewonnenen Raymond Papadopoulos Mc Theater alias Danny-Tristan Bombosch ebenso verzichten wie auf Claudia Fidorra. Christina Binta wirbelt allerdings wieder als Tochter des Theaterbesitzers über die Bühne. Jens Dornheim arbeitet als Tom Markward viel mit brüchiger und geheimnisvoller Stimme. Mit bloßem Oberkörper unter dem Sakko verzweifelt Christian Freund glaubwürdig. Ein Wiedersehen gibt es mit Katina Kamke, die die Justitiarin Mara Böhm-Duvel darstellte. Salamanca Kronenberg hat den Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs endgültig verloren, was Selina Koenen nicht davon abhält, weiter auf der Bühne herumzutoben, wenngleich mit weniger Text und etwas zurückhaltender in der Bewegungsfreude. In den weiteren Rollen sind Alexander Kupsch – inzwischen als Rick Maelstrom alter Bekannter – Valentin Bukovskyy, Jesse Krauß, Christian Quitschke als nicht erkennbarer Ersatz für Bombosch und Praktikant Yannis Deden, der nun auch erstmals auf der Bühne wirken darf, zu erleben. Dass hier jeder mit ein wenig Text versehen ist, trägt vor allem zur akustischen Belebung des Geschehens bei. Der Vollständigkeit erwähnt seien hier auch Dirk Gerigk und Stefan Bahl, die die Serie wie auch am letzten Abend mit Videomaterial versorgt haben.

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Hertrich spart dieses Mal nicht mit musikalischen Einspielungen und fährt zum Schluss noch einmal alles auf, was die Technik in dem kleinen Theater zu bieten hat. So gelingt ein perfektes Finale, ein fantastischer Abgang, das sich schließlich in einer zwanglosen Feier von Darstellern und Besuchern auflöst. Und damit ist an diesem Abend auch Gelegenheit, auf die Serie im Theater statt im Fernsehen kritisch zurückzublicken. Da steht am Anfang Warnung und Ermunterung für andere Theatermacher zugleich. Wer eine solche Serie in Angriff nimmt, muss nicht nur improvisationsfreudig, sondern auch arbeitswillig sein. Der Aufwand ist immens. Angefangen beim Buch, bei dem, wie in jeder Fernsehserie auch, extrem auf Anschlüsse und Rückbezüge geachtet werden muss – hier haben Hertrich, Binta und Freund, so weit erkennbar, keine Blöße gezeigt, und das verdient schon ein besonderes Kompliment. Dass die Autoren sich ein wenig zu sehr auf das Gedächtnis ihres Publikums verließen, erwies sich bei monatlichen Abständen allerdings als dringend verbesserungsbedürftig, zumal die Brüche der letzten beiden Folgen auch ohne Kenntnisse der Vorgeschichte kaum für jemanden nachzuvollziehen waren, der sich im Theater unterhalten lassen will. Als goldrichtig hingegen zeigte sich die Entscheidung, den Ernst der Geschichte nicht zu weit zu treiben, sondern immer auch ein Quäntchen Humor zuzulassen, ohne deshalb in Slapstick oder Comedy-Manier zu verfallen. In der Ausstattung verließ sich Hertrich nicht auf den Gewohnheitseffekt eines immergleichen Settings, sondern sorgte für ausreichend Abwechslung, eine Entscheidung, die sich rückblickend als unbedingt richtig herausgestellt hat. Man lockt die Besucher nicht mit der Erwartungshaltung vor die Bühne, sieben Monate lang das Gleiche zu sehen, wie die Diskussionen vor den Aufführungen zeigten, in denen die Besucher sehr die Spannung genossen, was das Team im Rabbit-Hole-Theater sich diesmal hatte einfallen lassen.

Ein wenig überraschend war, dass viele Besucher tatsächlich häufig wiederkamen – sofern es ihre Zeit zuließ, aber wohl kaum einer unter ihnen ist, der alle Folgen gesehen hat. Und das war sicher das größte, wenngleich vielleicht unauflösbare Manko der Theater-Serie. Von den Menschen zu verlangen, sieben Mal über das Jahr verteilt an einem Ort für eine kurze Dreiviertelstunde zu erscheinen, trauen sich nicht einmal Sportvereine. Hier könnte eine Überlegung sein, die einzelnen Aufführungen zu verlängern und damit auf weniger Termine zu kommen, bei denen dann jeder Besucher bei gutem Willen die Möglichkeit hat, sie wahrzunehmen. Außerdem könnte eine intensivierte kommunikative Begleitung – zum Beispiel, indem man den Besuchern Erinnerungsmails zukommen lässt, natürlich nur, wenn sie es wünschen – für mehr Teilnahme sorgen. Aber das liegt in der Entscheidung der Theatermacher.

Wer fehlte, und das stimmt sehr nachdenklich, waren die Kollegen anderer Theater. Immerhin bot das Rabbit-Hole-Theater hier ein neues Format an. Da wirft eine solche Ignoranz schon einen besonderen Blick auf eine Branche, von der man eigentlich erwartet, dass sie für Neues offen ist. Und das Experiment wäre auch für Dramaturgen und Intendanten der Stadttheater sicher spannend zu beobachten gewesen, die so etwas nicht „mal eben so“ ausprobieren können. Lernen konnten in diesem Jahr mit diesem Versuch sicher alle viel, die das wollten. Und so gebührt dem Ensemble am Viehoferplatz Respekt für seinen hohen Arbeitseinsatz und Dank für viele Stunden guter Unterhaltung. Hertrich übrigens hat schon eine Wiederholung des Formats versprochen, wenn er ausreichende Förderungsmittel einwerben kann.

Michael S. Zerban