O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Daniel Senzek

Aktuelle Aufführungen

Fantasie auf einfachem Niveau

DER NUSSKNACKER
(Demis Volpi et al.)

Besuch am
31. Dezember 2022
(Premiere am 17. Dezember 2021)

 

Deutsche Oper am Rhein, Theater Duisburg

Es gehört zur guten Tradition bei O-Ton, am letzten Tag des Jahres eine Aufführung zu besuchen, bei der die Ansprüche nicht allzu hochgesteckt werden sollen. Gute Unterhaltung soll es sein, um das Jahr zu einem harmonischen Abschluss zu bringen. In diesem Jahr fällt die Wahl auf die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg. Im Theater Duisburg steht eine alte Produktion aus dem Jahr 2006 des Choreografen Demis Volpi auf dem Programm, die er mit den Arbeiten von Nachwuchschoreografen kombiniert hat.

1816 veröffentlichte E.T.A. Hoffmann sein Märchen Nussknacker und Mäusekönig. 1892 wurde das Ballett Der Nussknacker von Pjotr Iljitsch Tschaikowski in St. Petersburg uraufgeführt. Während man dem Märchen vorwarf, es tauge nicht für Kinder, weil es zu komplex sei, entwickelte sich das Ballett zu einem der am meisten aufgeführten Bühnenstücke für den klassischen Tanz. Der fantasievolle, um nicht zu sagen fantastische Inhalt und die Musik Tschaikowskis machen es jedem Choreografen leicht, mit seiner Arbeit zu glänzen, so lange er nur die Wünsche des Publikums im Blick behält. „Schöne“ Kostüme, viel Spitzentanz, eine bezaubernde Clara und ein Nussknacker, der immer menschlicher wird – viel mehr braucht es nicht, um das Publikum in Verzückung zu versetzen. So ist es auch heute Abend.

Katharina Schlipf hat großartige Arbeit geleistet. Die Kostüme könnten der Zeit Hoffmanns entspringen, Clara im entzückenden Nachthemd, der Nussknacker wirkt soldatisch, Drosselmeier vor allem im schwarzen Umhang ein wenig unheimlich. Die Mäuse allerdings sind so schön gestaltet, dass von einer Bedrohung keine Rede sein kann – jede einzelne von ihnen möchte man knuddeln. Ausreichend kitschig sind die Schneeflocken gestaltet, die Glieder der Lichterkette einfallsreich und überbordend farbenfroh die Cupcakes. Einen Hauch weniger Glück zeigt sie bei der Bühnengestaltung. Denn die Idee eines Türentanzes ist zwar gut gemeint, aber in der geforderten Präzision – jedenfalls an diesem Abend – nicht zu leisten. Sitzt der Besucher nicht ganz zentral, durchschaut er zudem sogleich die Mechanik – und damit verliert der Eindruck zusätzlich. Aufgewogen wird das allemal mit der Arbeit der Choreografen. Demis Volpi, Wun Sze San, Michael Foster, Bahar Gökten, Yeliz Pazar, Nashama Nashman und James Nix liefern auf einem Kenntnisstand, der immerhin 16 Jahre zurückliegt, profunde Arbeit ab. Es gibt viel Spitzentanz, insbesondere Futaba Ishizaki hat als Haushilfe hier ein ordentliches Pensum zu absolvieren, im Duett von Clara und Nussknacker auch ein paar Hebungen, insgesamt kann man aber nicht übersehen, dass sich die Zeiten auch für die Tänzer weiterentwickelt haben.

Foto © Daniel Senzek

Emilia Perdo Aguirre brilliert als genau die Clara, die man gerne sieht. Das kleine, entzückende Mädchen, das sich auf eine Traumreise begibt. Begleitet von einem Vinicius Vieira, der es als Nussknacker besonders leicht hat, das Publikum zu begeistern. Und die Gelegenheit dazu auch nutzt. Dukin Seo ist als Drosselmeier eine stattliche Erscheinung, wirkt allerdings dank der Choreografie ein wenig schaumgebremst, weil ihm wenig Bewegungsmaterial zugestanden wird. Aus den zahlreichen übrigen Rollen sticht Doris Becker als Mutter heraus. In einer kurzen, aber schönen Szene kommt der Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor unter Leitung von Ricardo Navas Valbueno und Melanie Schüssler zum Einsatz.

Dass der Musik hier nur eine Begleitfunktion zugedacht ist, ist ungewöhnlich. So taucht der Name Tschaikowski nur einmal in der Besetzungsliste auf. Wer unter der Empore sitzt, bekommt den Klang der Duisburger Philharmoniker unter Leitung von Vitali Alekseenok ohnehin nur wattegedämpft mit. Immerhin aber laut genug, um sich nicht das entgehen zu lassen, was sich den Abend über auf der Bühne und im Graben permanent nachvollziehen lässt. Immer wieder gibt es Patzer bei den Einsätzen, bei den Flöten hat anscheinend an diesem Abend der Nachwuchs Platz genommen. Aber wer will sich am letzten Abend des Jahres mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen?

Das Publikum jedenfalls nicht. Das bedankt sich bei den Akteuren mit stehendem Applaus, zumal es die Belohnung noch dazu gibt. Der Cancan im glitzernden, vom Bühnenhimmel herunterfallenden Konfetti bietet ein wunderbares Abschlussbild, mit dem man sich gerne in eine rauschende Silvesternacht entlassen lässt.

Michael S. Zerban