O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Europäische Barockmusik vom Feinsten

LES NATIONS
(Diverse Komponisten)

Besuch am
5. April 2023
(Premiere)

 

Philharmonie Mercatorhalle, Duisburg

Postpandemisch ließ die Qualität von Programmheften, warum auch immer, durch die Bank weg genreunabhängig nach. Umfang, geltende Rechtschreibregeln und vor allem Inhalte scheinen für auffällig viele Veranstalter immer uninteressanter zu werden. Vielleicht steht dahinter die Vorstellung, dass Besucher das Heft ohnehin am Aufführungsabend nur in Empfang nehmen, um es zur Erinnerung ins heimische Wohnzimmerregal zu legen. Die Duisburger Philharmoniker gehen den entgegengesetzten Weg. Sie bieten ein Programmheft an, das alle wünschenswerten Informationen enthält – wenn man davon absieht, dass der oder die Autoren der umfangreichen Texte respektive die Quellen nicht genannt werden. Und sie sorgen dafür, dass die Besucher das Heft auch rechtzeitig bekommen. Auf ihrer Website kann man das Heft nämlich bereits fünf Tage vor dem Konzert herunterladen. Wenn das die Vorfreude nicht steigert.

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So zum Beispiel beim neunten philharmonischen Konzert dieser Spielzeit unter dem Titel Les Nations, das an diesem Abend im Philharmonie-Saal der Duisburger Mercatorhalle stattfindet. Einmal in der Spielzeit widmet sich das Orchester der „historischen Aufführungspraxis“, und deshalb ist heute eine ausgewiesene Spezialistin für alte Musik eingeladen, die Aufführung zu leiten. Dorothee Oberlinger hat sich bereits im Vorfeld mit den Orchestermitgliedern getroffen, um mit ihnen „Aspekte der Spielweise, der barocken Phrasierung und Stilistik“ zu erarbeiten. So können sich die Musiker entspannt aufstellen, um die Besucher in das musikalische Europa des 17. und 18. Jahrhunderts zu entführen. Aus dieser Zeit stammen die Werke der sieben Komponisten aus vier Ländern, die das Programm bereichern. Veranstalter wissen ja immer sehr genau, dass sie möglichst bekannte Namen oder zumindest Werke auf das Programm setzen müssen, damit die Säle gefüllt sind. Und so verfahren auch die Duisburger Philharmoniker nach bekanntem Rezept. Gleich drei Werke von Johann Sebastian Bach müssen auf den Zettel, vorsichtshalber noch Händel, Vivaldi und für Freunde alter Musik Lully. Dann kann man risikolos noch einen Alessandro Marcello und einen Jacob van Eyck hinzusetzen, das fällt kaum auf. Und es funktioniert ja. Der Saal ist vergleichsweise gut besucht.

Mit zwei Sätzen aus dem Oster-Oratorium beginnt die Europäische Barockmusik zu Ostern, so der Untertitel des Abends. Das bietet der Oboistin Clara Blessing Gelegenheit, sich als Solistin zu präsentieren. Auch das zweite Brandenburgische Konzert bietet Raum für Soli. Hier können sich zusätzlich Trompeterin Laura Vukobratović und Geigerin Mayu Nihei einbringen. Das dritte, umfangreichste, deshalb aber nicht zwingend aufregendste Werk von Johann Sebastian Bach an diesem Abend ist die Orchestersuite Nummer 3 in D-Dur. Zwischen den ersten beiden Werken findet das Concerto in d-moll für Blockflöte, Streicher und Basso continuo in drei Sätzen von Marcello Platz. Vor der Pause gibt es noch die Passacaille aus der Oper Armide von Jean-Baptiste Lully.

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Dorothee Oberlinger ist als Dirigentin alter Musik gefragt, und hier zeigt sie einmal mehr, wie berechtigt das ist. Es herrscht eine fast familiäre Atmosphäre auf der Bühne. Angenehm kurz bleiben ihre Moderationen. Warum man sie immer wieder gern als „Königin der Blockflöte“ bezeichnet, offenbart sie nach der Bachschen Orchestersuite. Da geht es fast spaßhaft zu in Engels Nachtegaeltje aus Der Fluyten Lusthof von Jacob van Eyck, wenn sich Blessing mit einer Sopranflöte auf den Seitenbalkon begibt, um Oberlinger ein Echo zu bieten. Es ist wie ein lächelndes, entspanntes Durchatmen vor dem Coup des Abends.

Der ist eindeutig das Concerto für Flautino, Streicher und Basso continuo in C-Dur RV 443 von Antonio Vivaldi. Hier kann Oberlinger ihre ganze Virtuosität bis zur Atemlosigkeit des Publikums entfalten und erntet anschließend vollkommen zu Recht Bravo-Rufe. Mit der instrumental vorgetragenen Arie Eternal source of light devine aus der Ode for the Birthday of Queen Anne von Georg Friedrich Händel, bei der die Solisten noch einmal einen Auftritt bekommen, die Trompete erneut vom Balkon, geht das offizielle Programm zu Ende.

Mit dem Prélude aus dem Te Deum von Marc-Antoine Charpentier bringen die Duisburger Philharmoniker noch einmal ein Stück zu Gehör, das nun wirklich jeder kennt. Es wird nämlich als Fanfare bei Fernsehübertragungen im Rahmen der Eurovision verwendet. Weitaus weniger bekannt, aber deshalb nicht weniger schön, ist die zweite Zugabe. In der Abschlussarie der Bellezza in Händels Oper Il trionfo del tempo übernimmt Oberlinger die Singstimme. Nach zwei Stunden geht ein Konzert zu Ende, das nicht nur Anhänger der alten Musik begeistert und vom Publikum begeistert gefeiert wird.

Michael S. Zerban