O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernhard Weis

Aktuelle Aufführungen

Absurdes mit und ohne Patina

AD ABSURDUM
(Flemming Flindt, Andrey Kaydanovskiy)

Besuch am
17. November 2021
(Premiere)

 

Ballett der Deutschen Oper am Rhein, Theater Duisburg

Eugène Ionesco, der Meister des „absurden Theaters“, der Verfechter des „Anti-Theaters“, steht im Mittelpunkt des jüngsten Ballettabends der Deutschen Oper am Rhein. Unter dem Titel Ad absurdum werden choreografische Deutungen seiner Stücke The Lesson – die Unterrichtsstunde – und Die kahle Sängerin gezeigt. Choreografien, die 60 Jahre voneinander trennen.

Auf den ersten Blick muten tänzerische, also wortlose Auseinandersetzungen mit Ionescos Werken widersprüchlich an, beziehen seine Stücke doch ihre „absurde“ Energie aus dem bizarr-hintergründigen, bisweilen clownesken Umgang des Dramatikers mit der Sprache. Gleichwohl war Ionesco von der Zusammenarbeit mit dem dänischen Choreografen Flemming Flindt angetan, der unter anderem 1963 The Lesson tänzerisch umdeutete. Diese Arbeit wird im Ballettabend der Rheinoper einer brandneuen Choreografie des jungen Andrey Kaydanovskiy gegenübergestellt.

Interessant, dass die pantomimische Aufbereitung der Unterrichtsstunde durch Flindt erstaunlich realistisch, logisch und alles andre als „absurd“ wirkt. Zu sehen ist eine geradezu klassische „Me-too“-Szenerie, die allerdings tödlich endet: Ein Ballettlehrer wird einer jungen Elevin zudringlich, gerät letztlich außer Kontrolle und erwürgt sie. Die Pianistin, die vom Treiben des „Professors“ weiß, beseitigt die Spuren und empfängt die nächste Schülerin.

Mit der filmreif gruseligen Musik von George Edlere und den konventionellen Bewegungsformationen der Choreografie ist ein Mini-Krimi mit gewissem Unterhaltungswert entstanden, aber keine Verdrehung der Realität und keine Abrechnung mit den Grenzen menschlicher Vernunft und Logik. Immerhin darf man sich an den glänzenden Leistungen der anmutigen Elisabeth Vincenti als Studentin, der Strenge von Virginia Segarra Vidal als Pianistin und den psychopathischen Entgleisungen von Orazio Di Bella als Lehrer erfreuen.

Foto © Bernhard Weis

Clownesk-überdrehte Verrenkungen bestimmen dagegen die Abläufe in Andrey Kaydanovskiys Choreografie der Kahlen Sängerin. Zu einem turbulenten, betont burlesk-collagenhaft tönenden Musik-Mix aus Werken Alfred Schnittkes trifft das Ehepaar Smith, das sich nichts mehr zu sagen hat, auf die Eheleute Martin, die in scheinbarer Harmonie leben, was sich durch die absolute Identität ihrer Erscheinung und ihres Verhaltens ausdrückt. Mrs. Smith versucht zumindest gedanklich, der Leere zu entfliehen und sieht in einem bunt dekorierten Feuerwehrmann vorübergehend die Erfüllung. Was sich natürlich als Illusion entpuppt.

Kaydanovskiy lässt die Figuren wie mechanisch fremdgesteuerte Puppen agieren, bringt viel Bewegung auf die Bühne und auch eine Prise skurrilen Humors, der Flindts älterer Arbeit weitgehend fehlt.

Auch wenn sich Kaydanovskiy modernerer Mittel als Flindt bedient, kann auch er nicht überspielen, dass die Absurditäten Ionescos – also sexuelle Übergriffe und ausgeleierte Beziehungen – auf der Bühne heute ihren provokant überraschenden Stachel verloren haben. Dafür sind sie zu präsent in der Realität angekommen.

Bleiben neben den vorzüglichen Leistungen des Ballettensembles die in kleiner Besetzung aufspielenden Duisburger Philharmoniker unter Leitung von Maria Seletskja zu nennen.

Das Premieren-Publikum reagiert sichtlich amüsiert mit langanhaltendem Beifall.

Pedro Obiera