O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sandra Then

Aktuelle Aufführungen

Hyperaktive Weihnachtsstimmung

WEIHNACHTSORATORIUM
(Johann Sebastian Bach)

Besuch am
XX. Monat 2017
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf

Nur eine Woche nach dem Gelsenkirchener Musiktheater im Revier stellte die Deutsche Oper am Rhein im voll besetzten Düsseldorfer Opernhaus eine szenische Darstellung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach zur Diskussion. Die teilweise hysterische Begeisterung der Premieren-Besucher zeigt, dass an dramatischen Aufbereitungen spiritueller Werke wie der Kantaten und Oratorien Bachs durchaus Bedarf besteht. Verbunden mit der Bereitschaft, die Werke nicht als Gegenentwurf zur Hektik und Oberflächlichkeit des Alltags zu nutzen, sondern als theatralische Reflektion.

Inmitten des weihnachtlichen Trubels zur Besinnung kommen zu können: Dazu gibt die Inszenierung von Elisabeth Stöppler nur wenig Gelegenheit. Aktionismus bestimmt den dreistündigen Abend. Entstanden ist die Idee, alle sechs Kantaten szenisch aufzubereiten, im Lockdown des vergangenen Frühjahrs. Zusammen mit der Dramaturgin Anna Melcher, Chordirektor Gerhard Michalski und Generalmusikdirektor Axel Kober entstand innerhalb kurzer Zeit ein Fundus an Ideen, mit denen man sich von der aufgezwungenen Passivität befreien wollte. Nicht zuletzt auch im Interesse des Chors, der sich endlich wieder mit einer großen Aufgabe bewähren darf. Warum allerdings ausgerechnet der Eröffnungschor und einige Choräle nur mit einem teilweise extrem forcierenden Solistenquartett betraut werden, gehört zu manchen musikalischen Ungereimtheiten des Abends. Wie etwa die Aufteilung der Nummern auf vierzehn qualitativ alles andere als gleichwertig agierende Gesangssolisten. Vokale Ausgeglichenheit ist kaum möglich. Dafür heben sich Spitzenleistungen wie die des Countertenors Terry Wey und des Tenors Cornel Frey zu stark von Beiträgen etwa des Baritons Torben Jürgens ab.

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Szenen einer schlaflosen Nacht nennt Stöppler ihre szenische Collage, für die sie eine detailreiche Rahmenhandlung konstruierte: Eine schwangere Frau platzt in die Weihnachtsfeier einer heutigen Familie, die beschließt, das Neugeborene als Messias und die Mutter als heilige Jungfrau auszugeben. Bald setzt sich ein Touristenzug in Bewegung, der das Wunderkind sehen und verehren möchte. Die Bewunderung schlägt in Skepsis und Hass um, als das „Christuskind“ nicht verhindern kann, dass die Gastgeberin unheilbar erkrankt. Für die Skepsis genügen der Regisseurin Bachs Beiträge allerdings nicht. Dafür werden noch eigens von Hannah Dübgen verfasste, akustisch nicht sonderlich gut zu verstehende Texte rezitiert. Am Ende versammeln sich Ensemble und Chor unvermittelt doch noch zu einem Happy Meeting. Ausgestattet mit Botschaften zu Liebe und Frieden bis zu Bekenntnissen wie „Jesus lebt“ und „I like Bach“.

Es ist ständig viel los auf der Bühne. GMD Axel Kober hört man die Freude an, mit der er, als Kontrast zu seinen Wagner-Aktivitäten, seine Erfahrungen im Umgang mit barocker Musik einbringen und kreativ mit der Instrumentierung mancher Nummer experimentieren kann, wenn etwa auf der Bühne die Mitglieder eines Streichquartetts, ein Pianist, ein Organist und eine Oboistin szenisch in das Geschehen integriert werden. Nicht zu vergessen der wohltönende Bariton Jake Muffett, der sich auch als exzellenter Klarinettist bewährt. Annika Haller schuf für all das einen komplexen Bühnenaufbau mit vielen munter rotierenden Spielflächen auf mehreren Ebenen.

Der Chor singt nach der langen Zwangspause wie befreit. Die Solistencrew, die mit ihren Rollen einen Querschnitt durch die Bevölkerung von der Barkeeperin und einem Bauarbeiter bis zur Geschäftsfrau und einem Atheisten abdeckt, zeugt von der nach wie vor guten Ensemblepflege der Rheinoper. Das gesangliche Niveau der Solistenschar, darunter bewährte Kräfte wie Anke Krabbe, Susan Maclean und Morenike Fadayomi sowie junge Leute wie Ekaterina Aleksandrova und Andrés Sulbarán, kann durchweg überzeugen. Wie auch die engagiert aufspielenden Düsseldorfer Symphoniker.

Das Premieren-Publikum überschlägt sich teilweise vor Begeisterung für eine hyperaktive Auseinandersetzung mit Bachs Weihnachts-Hit.

Pedro Obiera