O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Nachruf auf eine schöne Leich‘

VISSI D’ARTE
(Johannes Erath, Wolfgang Wiechert)

Besuch am
11. Oktober 2020
(Premiere am 2. Oktober 2020)

 

Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf

Die oft totgesagte Oper hat auch die Pandemie nicht umbringen können. Die Oper lebt, der Betrieb läuft wieder an, wenn auch noch nicht mit Volldampf auf der Überholspur. Einen berechtigten Grund zum Jammern haben allenfalls die vielen Solokünstler und kleinen Theater, die weitgehend ohne Subventionen auskommen müssen und derzeit schmählich im Regen gelassen werden. Die Deutsche Oper am Rhein ist da wesentlich besser aufgestellt, und sie hat mit einer beeindruckenden und fantasievollen Inszenierung von Viktor Ullmanns Oper Der Kaiser von Atlantis bewiesen, dass man auch mit einer schlichten Kammeroper unter Corona-Bedingungen spannendes Musiktheater liefern kann. Den Verzicht auf Knaller wie Tannhäuser und Co. kompensieren solche Produktionen zwar nicht dauerhaft, mildern aber immerhin die Entzugserscheinungen, mit denen wir noch einige Zeit leben müssen.

Ein nennenswerter Grund, Trauerelegien auf die brachliegende Gattung anzustimmen, besteht nicht. Erst recht nicht für große Häuser wie die Deutsche Oper am Rhein. Die Enttäuschung von Regisseur Johannes Erath über den Ausfall oder die Verschiebung seiner Inszenierung von Bellinis Sonnambula ist zwar verständlich, seine Ersatzproduktion, Vissi d‘arte, entpuppt sich aber weniger als die angekündigte „Liebeserklärung an die Opernbühne“ denn als Nachruf auf eine schöne, aber offenbar völlig abgedankte Leich‘. Fünf Sängerinnen und Sänger schreiten wie geheimnisvolle Wiedergänger über die mit zugehängten Requisiten dekorierte Bühne und erinnern an entschwundene Glanzzeiten, die offenbar mindestens so weit zurückliegen wie die Blütezeit der Pharaonen.

Wenn die schlafwandelnden Sänger allmählich beginnen, Ohrwürmer des Repertoires anzustimmen, erinnern sie in der Tat eher an aufgeweckte Mumien. Dabei hat der Lockdown den Opernbetrieb bisher doch nur wenige Monate zum Erliegen gebracht.

Deshalb mutet es schon recht pathetisch, wenn nicht weinerlich an, wenn zum Auftakt das Lohengrin-Vorspiel in einer Aufnahme der Düsseldorfer Symphoniker wie aus weiter Ferne eingespielt wird, als läge die letzte Lohengrin-Aufführung vor der Pandemie-Zäsur Jahrhunderte zurück.

Immerhin kann man sich an etlichen liebgewonnenen Höhepunkten des Repertoires und an einigen schönen Stimmen erfreuen, auch wenn die dürre Begleitung durch die maximal elf Instrumentalisten so angelegt ist, als wolle man der Oper eine chronische Anämie attestieren. Grandios die Auftritte der charismatischen Mezzosopranistin Maria Kataeva mit ihrer substanzreichen Stimme, die unter anderem als Niklausse in Hoffmanns Erzählungen und mit einem lasziven Song von George Gershwin begeistert. Kaum weniger Heidi Elisabeth Meier als Königin der Nacht und immer noch beeindruckend Morenike Fadayomi in ihren Paraderollen Tosca und Salome, auch wenn die Klavierbegleitung durch Cécile Tallec und Wolfgang Wiechert recht dünn wirkt. Das gilt auch für Wotans Abschied aus der Walküre, den Stefan Heidemann mehr deklamiert als singt. Kaum zum Zug kommt Tenor Andrés Sulbarán, wobei die Ausschnitte ohnehin wie Steinchen in einem unvollendeten Mosaik anmuten, gipfelnd in einer kurzatmigen Collage von Arien-Fetzchen aus gleich sechs Opern, die von der Traviata bis zum Parsifal reicht. Der Opernchor darf Corona-gerecht Lehárs Lippen schweigen summen. Am Ende kommt es dann noch mit allen Solisten, Instrumentalisten und dem außerhalb des Zuschauerraums postierten Chor zu einem mächtigen Showdown mit dem Finale aus Hoffmanns Erzählungen.

Geboten wird damit erheblich mehr als mit der Song-Revue Comedian Harmonists in Concert. Aber ein wenig mehr Optimismus und Aufbruchstimmung hätte man diesem Grabgesang schon gewünscht. Denn alles hat ein Ende. Auch die Pandemie.

Pedro Obiera