O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Hans Jörg Michel

Aktuelle Aufführungen

Hoheitliches Happy End

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
8. April 2023
(Premiere am 4. März 2017)

 

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, Oper Düsseldorf

Es hilft alles nichts. Weder endlose Debatten in Fachkreisen, wie die Oper zu retten sei, ein Regietheater, das immer verwegenere Ansätze braucht, um sich selbst zu rechtfertigen, noch graue Anzüge, Gestapo-Mäntel oder gar Trainingsanzüge, mit denen Kostümbildner dem „verstaubten“ Image entgegenwirken wollen. In dem Moment, in dem du eine plüschige Oper auf die Bühne bringst, rennen dir die Leute die Hütte ein. Von alten Leuten mit Rollator bis zu den Jungen in Jeans und Turnschuhen besetzen sie die Stuhlreihen. Da reibt man sich die Augen und beginnt, nachdenklich zu werden.

So geschehen jetzt bei einer Folgevorstellung der Wiederaufnahme einer Inszenierung aus dem Jahr 2017 im Opernhaus Düsseldorf der Deutschen Oper am Rhein. Anderthalb Jahre zuvor feierte dieselbe Regie-Arbeit am Theater Duisburg ihre Premiere. Regisseur Huan-Hsiung Li wollte sich mit den Brüchen im Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni zur Oper Turandot von Giacomo Puccini nicht zufriedengeben. Also interpretiert er den Stoff als Traum – und im Traum sind Ungereimtheiten erlaubt. Sieht man von ein paar Projektionen ab, wirkt sich das auch nicht allzu sehr auf die Aufführung aus, und das geht in Ordnung. Auch ein weiterer Einfall, die zusätzliche Rolle einer jungen Frau einzuführen, schmerzt nicht weiter. Dass es sich hier um die vergewaltigte Ur-Ahnin der Turandot handeln könnte, die nun die Entwicklungen mit Interesse verfolgt, die der Rache-Gedanke der lebenden Prinzessin bewirkt, klingt schlüssig, aber ist von Li so nicht gemeint. Vielmehr soll sie stellvertretend den aktuellen Bezug herstellen, der Chinas Aufstieg zur Weltmacht mit Skepsis und als Chance betrachtet.

Foto © Andreas Etter

Ist vielleicht auch nicht so wichtig, wenn man sich von Bühnenbild und Kostümen verführen lassen kann. Die Bühne von Jo-Shan Liang ist wahrhaft eines Märchens oder eben Traums würdig. In der Ferne vulgo im Hintergrund die Zinnen der alten Stadt Peking, vorn eine Rampe für die erhöht stattfindenden wichtigen Einzelszenen, neben der sich die Chöre sammeln können. Von Hsuan-Wu Lai stammen die fantasievollen Kostüme, bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie tatsächlich einer Epoche entsprechen. Aber die folkloristischen Adelskleider, die fantasievollen Bekleidungen der Minister, das martialische Kostüm Kafals, der Kaiser als englischer Gentleman, die Schergen ganz in Schwarz, der Chor in Weiß mit Masken, die die Augen bedecken, alles hier atmet Traum und Märchen zugleich. Da möchte man fast das Seufzen der Sitznachbarin vernehmen. In der Handlung wird deutlich, dass Li das Libretto studiert hat. Geradlinig wird hier erzählt bis zum großen Schlussduett, an dem jeder ambitionierte Regisseur mit seinen Einfällen scheitern muss. Es gibt hier keine andere Lösung als die, auf die Puccini zwei Stunden lang hingearbeitet hat: Turandot und Kalaf stehen nebeneinander an der Rampe. Und wenn es, wie an diesem Abend, gut gelaufen ist, ist das ebenso wenig ein Problem wie die Schlussszene, in der das „Happy End“ hoheitsvoll gefeiert wird.

Ja, die Geschichte mit der einzigen Oper, die Puccini mit einem glücklichen Ende bedacht hat, ist relativ. Schließlich ist gerade eben noch Liù in den Freitod gegangen. Besonders beglückend ist das nicht, vor allem, wenn hier eine solch prachtvolle Rolle so brutal beendet wird. Um nicht zu sagen, die emotional einnehmendste Rolle. Luiza Fatyol, eine der wichtigsten jungen Stimmen im Ensemble der Rheinoper, überzeugt an diesem Abend weniger durch Lautstärke, denn mit Spielfreude und Feingeist. Und bleibt damit immer noch im Vorteil. Denn der Sopran der Turandot, wenn er denn gut besetzt ist, lässt ja Wohlklang missen. Oksana Kramareva meistert die schrillen, um nicht zu sagen, arroganten Spitzen sehr überzeugend. Teodor Ilincăi präsentiert einen in jeder Hinsicht vollkommenen Kalaf, spätestens, wenn er seine Feuertaufe mit Nessun dorma mit Bravour absolviert. Kein Schmalz, kein Schmelz, dafür ganz Stimme, die die Geschichte erzählt. Wunderbar. Eine Geradlinigkeit, die nur für die Musik da ist und damit für Tränen sorgt.

Foto © Andreas Etter

Für Sami Luttinen ist die Rolle des Timur, Kalafs Vater, auf den Leib geschrieben, der in ein großartiges Pilgergewand gekleidet ist und seinen Bass gebührend erklingen lässt. Altoum, Kaiser von China, kann man sich Tenor nicht so recht vorstellen. Ist das nicht wenigstens ein Bariton? Nun, Puccini hat entschieden, und Johannes Preißinger macht das Beste daraus. Die Minister Ping, Pong und Pang, gern häufig als etwas verhuscht dargestellt, geraten mit Jorge Espino, Nathan Haller und Florian Simson tatsächlich fast schon staatsmännisch, was letztlich gerade noch die Kostüme verhindern können. Und durch alle Reihen geistert, huscht und wuselt Yasha Wang als besagte junge Frau. Chor und Extrachor der Rheinoper, verstärkt von der Akademie für Chor und Musiktheater, sind von Gerhard Michalski in bewährter Form bestens einstudiert und spielfreudig.

Vitali Alekseenok sorgt für einen sauberen, packenden Zugriff bei den Düsseldorfer Symphonikern. Häufig die Arme erhoben, um den Sängern ihren Einsatz zu signalisieren, gelingt es ihm, alle Beteiligten zu größtmöglichem Einsatz zu motivieren.

Das Publikum ist hingerissen. Mit dem Klang der letzten Note zwingen die vorderen Reihen die hinteren, sich zum Applaus zu erheben, und so verklingt der Abend im rauschenden Beifall für alle Beteiligten. Wenn Plüsch und Schönklang die Mittel sind, das Publikum zu begeistern, mag sich der eine oder andere Regisseur vielleicht doch mal Gedanken darüber machen, ob Straßenanzüge und „Entmystifizierung“ die richtigen Wege sind, die Oper weiterleben zu lassen.

Michael S. Zerban