O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Birgit Hupfeld

Aktuelle Aufführungen

Zwei Stunden Statik

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
6. Januar 2022
(Premiere am 16. Februar 2002)

 

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, Oper Düsseldorf

Eisern halten die Opernhäuser am jahrhundertealten Repertoire fest. Und die Zuschauerzahlen scheinen ihnen Recht zu geben. Verdi, Wagner, na schön, auch Offenbach und zu Weihnachten Humperdinck sorgen auch in den Folgevorstellungen bis heute für volle Häuser. Unter den Besuchern wiederum gibt es zwei Lager. Die einen können es gar nicht „plüschig“ genug haben, weil hier „die gute alte Zeit“ aufzuleben scheint, die anderen verlangen, den alten Werken immerhin neue Aspekte abzugewinnen, die wieder und wieder eine Aufführung rechtfertigen. Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg eröffnet das neue Jahr mit einer ganz speziellen „Wiederaufnahme“. Formal ist der Begriff richtig, auch wenn viele Besucher darunter womöglich eine Inszenierung verstehen, die mit den gleichen Darstellern erneut gezeigt wird. Das ist am Düsseldorfer Opernhaus glücklicherweise nicht so, denn die Premiere fand vor knapp 20 Jahren statt, ehe die Inszenierung von Andreas Homoki bereits 1996 an der Oper Leipzig in Kooperation mit dem Theater Bonn gezeigt worden war.

Was bewegt einen Intendanten, eine 20 Jahre alte Inszenierung aus der Schublade zu kramen? Der Name des Regisseurs, der sich offenbar nicht dagegen wehren kann, dass Werke von ihm, die er vor zwei Jahrzehnten entwickelt hat, wieder hervorgezogen werden? Nur wenige Werke sind so zeitlos geraten, dass die Weiterentwicklung des Regisseurs unmerklich an ihnen vorübergegangen ist. Und dazu gehört die Regie-Arbeit von Homoki zweifelsohne nicht. Giuseppe Verdis La traviata ist zugegebenermaßen schwierig zu inszenieren. Es gibt nichts, was nicht schon dazu gesagt worden wäre – ja, ja, nur noch nicht von jedem – und dazu eine „Handlung“ auf die Bühne zu bringen, scheint bis auf wenige Szenen geradezu unmöglich. Homoki allerdings ist damals so gut wie gar nichts dazu eingefallen, außer „eine Gesellschaft auf dem glatten Parkett“ zu zeigen. Es gibt also neben ein paar Blümchen, Stühlen und Masken kaum etwas zu sehen. So dass man tatsächlich geneigt ist zu fragen: Wo ist eigentlich die Inszenierung? Der mit Spiegelstreifen versehene Bühnenboden wird vor dem dunkelblauen bis changierend schwarzen Bühnenhintergrund routiniert von Volker Weinhart ausgeleuchtet. Da gibt es immer wieder schöne Effekte ohne große Überraschungen. Wenn Homoki damals davon sprach, sich der „historischen Kostümsilhouetten“ zu bedienen, zieht ihm Gabriele Jaenecke einen kräftigen Strich durch die Rechnung, wenn etwa der Zigeunerinnenchor in schwarzen Kleidern auftritt. Entworfen hat sie allerdings eine prächtige Robe, mit der Violetta eingangs beeindruckt. Das alles hätte man in einer konzertanten Aufführung ebenfalls verwirklichen können. Und wenn Homoki sein Personal von einer statischen Position in die andere wirft oder besser schiebt, bleibt vom Gesamtkunstwerk Oper tatsächlich kaum mehr als Gesang und Musik übrig.

Also noch einmal: Was bewegt einen Intendanten, solch einen Abend wiederaufleben zu lassen, anstatt einen jungen, „wilden“ Regisseur mit einer neuen Sichtweise auf die Klassengesellschaft, auf das Krankheitsbild oder auf den Vater zu beauftragen? Im besten Fall, weil man mit einer solchen Inszenierung jungen Stimmen den Boden gibt, sich ohne große darstellerische Anstrengungen zu präsentieren. Und damit ist wohl am ehesten die Berechtigung für den heutigen Abend gegeben.

Allen voran ist Adela Zaharia als Violetta Valéry zu nennen. Darstellerisch muss sie dank der Regie auf Mittelmaß bleiben, ihr Einstandskostüm ist eine Wucht, sängerisch vermag sie in dieser Mammut-Anstrengung über den ganzen Abend zu fesseln. Bogdan Baciu ist mit Frack und Gehstock die Rolle des Giorgio Germont auf den Leib geschrieben. Auch er bleibt in typischen Opernposen verfangen, lässt sich aber nicht davon abhalten, den Vater Alfredos trotz aller Widersprüche, die in der Rolle begründet liegen, überzeugend zu singen. Der dritte, der den Abend mit seinem Gesang adelt, ist Ovidiu Purcel, dem ebenfalls darstellerisch viel zu wenig zugemutet wird. Allesamt großartige Künstler, die ihren fantastischen Abend mit Rampengesang vertrödeln müssen. Die kleineren Rollen, ob Annina, Flora Bervoix oder Marchese d’Obigny sind mit Ensemble- oder auch Opernstudio-Mitgliedern wie Carmen Artaza, Maria Boiko und Günes Gürle mehr als luxuriös besetzt. Im Chor der Deutschen Oper am Rhein in der Einstudierung von Patrick Francis Chestnut läuft es nicht ganz so rund. Da gibt es noch ein paar unterschiedliche Auffassungen über den Einsatz.

Anders als bei den Düsseldorfer Symphonikern, die unter Leitung von Antonino Fogliani wunderbare Verdi-Musik abliefern und nur selten über das Geschehen auf der Bühne hinausgehen. Fogliani lässt es eher ruhig und gelassen angehen, wohlwissend, dass das Orchester seine Aufgaben beherrscht.

Das Publikum ist begeistert von den Stimmen und der Musik, die an diesem Abend erklingen. Mit dem Applaus-Auftritt von Zaharia stehen dann auch die letzten von den Stühlen auf, um Sängern und Instrumentalisten zu applaudieren. Wem also Oper als Gesamtkunstwerk nicht so wichtig ist, der ist in dieser 20 Jahre alten Traviata-Aufführung mit wunderbar frischen Stimmen bestens aufgehoben. Schade um die Kinder, die an diesem Abend mitkommen durften. Die haben einen ganz falschen Eindruck von Oper bekommen.

Und was es sonst noch gab. Die Deutsche Oper am Rhein sollte möglicherweise etwas ernsthafter an einst geübter Disziplin arbeiten, auch wenn Regeln inzwischen bei Kulturschaffenden so etwas wie Ekel auslösen. Da ist ein pünktlicher Beginn inzwischen relativ. Während der Aufführung klappern mehrfach die Türen. Auch wenn es vielleicht für den Abendspielleiter, der sich außerhalb des Publikumssaals aufhält, nicht ganz nachvollziehbar ist: Es stört die Konzentration. Früher brauchte man das nicht näher zu erklären. Und weil Überwachung gerade so modern ist: Wer in der Pause vor die Tür will, muss jetzt seine Eintrittskarte lochen lassen. Also ein Signal an alle, die sich mit ihrer alten Karte zu einem zweiten Besuch in der Pause einschmuggeln wollen: Bringt einen Locher mit. Offenbar gibt es da eine ganze Menge Leute. Sonst wären solche Maßnahmen ja wirklich albern.

Michael S. Zerban