O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Ungehört verhallt das Wort

SZENEN AUS GOETHES FAUST
(Robert Schumann)

Besuch am
3. Juni 2021
(Premiere)

 

Robert-Schumann-Hochschule im Palais Wittgenstein, Düsseldorf

2016 kam Juliane Banse als Professorin an die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Mit ihrer Berufung versprachen die Verantwortlichen sich wohl einige Außenwirkung. Allein, es blieb still um die sonst so kommunikative Opernsängerin. Auch dass sie die Hochschule – offiziell – zum Ende des Semesters verlässt, um dem Ruf nach Salzburg zu folgen, wäre außerhalb der Hochschule beinahe unbemerkt geblieben. Aber ganz so leise wollten ihre Kollegen sie dann doch nicht davonschleichen lassen. Und fassten einen Plan, in den Banse einstimmte.

Denn eigentlich ist momentan gar nichts lustig an der Hochschule, mindestens für die angehenden Sänger nicht. Allmählich verblasst die Erinnerung an die letzte Aufführung der Opernklasse von Thomas Gabrisch. Im April 2019 durften sie zum letzten Mal gemeinsam vor Publikum auftreten. Benjamin Brittens Sommernachtstraum sorgte in der Regie von Marcus Lobbes für großen Eindruck. Aber das hält ja nicht für alle Ewigkeit. Jetzt mit einem Oratorium oder Ähnlichem, bei dem wenigstens ein paar Sänger beteiligt hätten sein können, vor die Öffentlichkeit zu treten – nein, bitte nicht. Mit eisernem Willen, man kann das nicht anders ausdrücken, weil es so viel Mühen kostete, gelang es den Professoren und ihren Studenten, ein „Abschiedskonzert für Juliane Banse“ zu organisieren. Und so kann Gabrisch am Donnerstagmorgen um elf Uhr vor ein Publikum treten, das knapp 50 Personen umfasst, und fragen: „Was kann man einem Menschen zum Abschied schenken, der schon alles hat?“ Ein Konzert, ist doch klar.

Juliane Banse – Foto © Susanne Diesner

Die richtige Auswahl des Werkes und die Kooperationsfreude des Schumannfestes hat es ermöglicht, dass im Palais Wittgenstein in Düsseldorf die Aufführung der Szenen aus Goethes Faust von Robert Schumann in einer eigenen Fassung der Hochschule stattfinden kann. Eigentlich ein Orchesterwerk mit Chören und Solisten, das so momentan ohnehin kein Gesundheitsamt abnickte. Das haben Gabrisch und sein Kollege Konrad Jarnot mal ganz ordentlich eingeschmolzen in eine Fassung für Klavier und elf Sänger. Ja, solch unkonventionelle, kreative Lösungen erwartet man von Professoren einer Musikhochschule. Und man erwartet noch mehr von ihnen. Sie liefern ab. Gabrisch hat sich ein raffiniertes Auf- und Abgangsszenario ausgedacht, das nicht nur irgendwelche Hygienerichtlinien berücksichtigt, sondern auch für Abwechslung sorgt. Außerdem wurde der Schauspiellehrer der Hochschule, Peter Nikolaus Kante, eingebunden, der dem Nachwuchs das nötige Rollen- und Auftrittsverständnis einpaukte. Und Kante hat fabelhafte Arbeit geleistet. Wie von einem Uhrwerk gesteuert, erscheinen die Darsteller auf der engen Bühne des Saals im Palais Wittgenstein – oder eben auf dem Rang des Saals. Hier gibt es keinen, der nervös am Rocksaum nestelt oder nicht weiß, wohin mit den Händen. Ganz klar, aufrecht und selbstbewusst, na ja, zumindest geben sie sich den Anschein, stehen die Jungen und Alten auf der Bühne, während Gabrisch, dessen Flügel in der Mitte der Bühne platziert ist und einen zusätzlichen Hindernisparcours erfordert, einen kraftvollen Schumann interpretiert, der den Sängern keine Schwächen erlaubt.

An dieser Stelle darf man innehalten und sich dem Genuss der Situation hingeben. Der eigentlich wunderbare Konzertsaal im gediegenen Ambiente, durch die geöffneten Fenster hört man das Rauschen des Regens am Vormittag eines Feiertags. Romantischer geht es kaum. Ganz wunderbar. Die Tücke liegt im Detail. Denn der ansonsten für seine Akustik gepriesene Saal ist ausgeräumt. Da regiert ganz furchtbar der Hall. Und so tropfen die Worte der Sänger erbarmungslos an der Rampe herab, rinnen vom Rang herunter, ohne die Besucher zu erreichen. In aller Lautstärke ist kaum ein Wort zu verstehen, so sehr sich die Beteiligten auch anstrengen – oder gerade deshalb. Nein, es gibt kaum Text an diesem Vormittag, egal, von wo aus die Sänger sich bemühen. Aber, jetzt mal ehrlich, wen interessiert das? Der Programmzettel gibt ein paar dürre Worte zum Inhalt her, die man bei den wechselnden Besetzungen gleich wieder vergessen kann. In der Pause wird klar, warum die Besucher hier sind. Nach anderthalb Jahren wieder Menschen auf der Bühne sehen, Gesang hören, Freude empfinden. Und das können die Akteure vermitteln.

Dass auch die Professoren mit auf der Bühne sind, ist zusätzliche Motivation. Konrad Jarnot tritt, wie er selbst sagt, gefühlt alle zehn Jahre noch einmal auf. Mehr will er nicht. Nur, um zu beweisen, dass er immer noch dieselben Fähigkeiten besitzt, mit denen er einst den ARD-Wettbewerb gewann. Und das gelingt ihm mühelos. Die Stimme sitzt, die Technik begeistert in einer selten zu erlebenden Perfektion – und die Hörer sind sprach- und atemlos. Dass auch ihm die Textverständlichkeit nicht gelingt, quittiert er nach dem Konzert mit Humor. Gabrisch beeindruckt am Klavier. Natürlich gehört die Korrepetition zum täglichen Brot des Dirigenten, der er eigentlich ist. Aber ein selten aufgeführtes Werk Schumanns in dieser Dimension zu absolvieren, gereicht so manchem Klaviersolisten zur Ehre, der sich damit hauptberuflich beschäftigt. Chapeau für Mut, Energie und Arbeitsaufwand. Juliane Banse verabschiedet sich hier mit einem klingenden Gruß. Man möchte es wohlwollend als ein Farewell an ihre Schüler verstehen, für die hier stellvertretend die Sopranistin Pauline Gropp auftritt. Ein bisschen aufgeregt ist sie schon, lässt aber manches Mal, vor allem in den weniger forcierten Passagen, aufhorchen. Einen Gruß aus dem Saal entsendet auch Gesangslehrerin Anja Paulus, die die Sopranistin Lara Grote auf die Bühne schickt. Unter den Schülern von Jarnot treten besonders die Herren hervor. Und da gibt es endlich auch ein Wiedersehen mit Tomas Kildišius, der längst souverän an die ganz Großen heranreicht, ohne die Bodenhaftung zu verlieren. George Clark ist ein junger Bariton, der im Aussehen an junge Komponisten der Wiener Romantik erinnert und stimmlich unglaublich viel verspricht.

Es ist nicht die ganz große Kunst, die an diesem Morgen geboten wird, und der eine oder andere Kiekser ist auch darunter, aber es ist ein Freudenfeuer, das hier in Goethes Namen abgefeuert wird. Und das ist doch, was das Publikum hören will. Na, und den Champagner gibt es auch. Der Schlusschor, den man auch auf dem Programmzettel mitlesen kann, ist dann auch in allen Zeilen wortverständlich und verzeiht alle Entbehrungen. Wie befreit und mit glückstrahlenden Gesichtern verlassen die Besucher nach langanhaltendem, intensivem Applaus das Palais Wittgenstein. Die Studenten haben ihr Bestes gegeben, Konrad Jarnot wird jetzt bedrängt, vielleicht doch wieder häufiger aufzutreten – er winkt ab – und Juliane Banse wird in guter Erinnerung bleiben.

Wie es mit den jungen Sängern weitergeht, weiß man nicht. Aber Thomas Gabrisch bleibt dran – wie es seine Art ist. Er plant für September in der Ratinger Stadthalle eine stark erweiterte Version des heutigen Konzerts. Das wird dann im besten Fall ein weiteres Fest. Im Sternzeichen muss er wohl Terrier sein. Gut, wenn es solche Sternzeichen an den Musikhochschulen gibt.

Michael S. Zerban