O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ingo Schäfer

Aktuelle Aufführungen

Durchwachsene Ergebnisse

STEP BY STEP
(Diverse Choreografen)

Besuch am
23. Juni 2023
(Uraufführung)

 

Tanzhaus NRW, Düsseldorf

Als Demis Volpi als Chefchoreograf und Ballettdirektor an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg antrat, versprach er, das Ballett der Rheinoper mit der „Tanzszene“ in Düsseldorf zu vernetzen. Der zeitgenössische Tanz fand damals überwiegend im Tanzhaus NRW statt. Das war zu der Zeit bekannt dafür, dass es versuchte, die internationale und zumindest noch halbherzig die städtische Szene des zeitgenössischen Tanzes abzubilden und dafür überregionale Bekanntheit genoss. Und so entstand eine Kooperation zwischen den beiden Institutionen, die inzwischen im Grunde überholt ist, aber überlebt hat.

Und so findet jetzt zum wiederholten Male das „choreografische Labor“ Step by Step, also Schritt für Schritt, statt. Die Idee ist, dass Tänzer der Ballettcompagnie und Tänzer der so genannten Freien Szene sich im Tanzhaus NRW treffen, um sich über künstlerische Arbeit und Methoden auszutauschen und in neuen Konstellationen zu experimentieren. In einem gemeinsamen Programm sollen dann die Ergebnisse dem Düsseldorfer Publikum vorgestellt werden. Das Ganze ist so ein bisschen eine Mogelpackung, denn Compagnien des zeitgenössischen Tanzes sucht man im Tanzhaus NRW schon lange vergeblich. Hier versteht man darunter inzwischen HipHop, den man mittlerweile als urbanen Tanz verkauft. Mit zeitgenössischem Tanz hat er nichts zu tun. Auch Volpi hat nur noch wenig Zeit, sich um solch ein Projekt zu kümmern, wird er doch demnächst Düsseldorf den Rücken kehren, um die Nachfolge der Ballett-Legende John Neumeier in Hamburg anzutreten. Was ihn nicht davon abhält, aus Hamburg anzureisen, um dem Abend beizuwohnen.

Satte sieben Nummern stehen auf dem Programm. Da kann man schon von einem Mini-Festival sprechen. Und mit fast drei Stunden Aufführungsdauer inklusive Pause wird dem Publikum eine Menge abverlangt. Hier allerdings haben alle Beteiligten gute Arbeit geleistet. Der große Saal im Tanzhaus ist überdurchschnittlich gut besucht. Und dabei gibt es nicht einmal Live-Musik. Stattdessen ist sehr laute Musik vorgesehen, auf die Schilder im Tanzhaus genauso wie auf den Einsatz von Stroboskop-Licht hinweisen. Was der Besucher allerdings unternimmt, wenn er das nicht möchte, wird dort nicht verraten. Ob er etwa sein Geld zurückverlangen kann. Da hat die politisch-korrekte Belegschaft bis zum 25-jährigen Bestehen des Tanzhauses Anfang September noch einiges zu tun, wenn dann zahlreiche battles, also Schlachten, auf dem Programm stehen, damit es einigermaßen friedvoll zugeht.

Der heutige Abend beginnt, wie üblich mit etlicher Verspätung, mit einer Choreografie von Dukin Sco. Die Bühne ist leer bis auf ein „magisches Auge“ vor einer weißen Leinwand im Hintergrund. Überschrieben ist die Choreografie mit Eternal Realm, also Ewiges Reich. Sara Giovanelli und Miquel Martìnez Pedro durchtanzen eine Schattenwelt, in der die eigene Existenz fraglich scheint. Versöhnlich schreitet das Paar schlussendlich in eine ungewisse, aber glückversprechende Zukunft. Tänzerisch werden die beiden sicher nicht überfordert. Das gilt auch für die nachfolgende Aufführung, die von der Compagnie Artmann & Duvoisin aus Köln gestaltet wird, wenngleich es hier gegen Ende deutlich artistischer wird. Camilla Agraso, Lotte James und Andrea Tozza aus dem Opernballett zeigen gemeinsam mit Elsa Artmann und Samuel Duvoisin in Love Deluxe (How We Do It) Versprechungen. Kurze Tanzbewegungen werden englisch kommentiert, während Musik von Annie Bloch eingespielt wird. Wenn Artmann und Duvoisin in ihren sonstigen Arbeiten viel Wert auf die Integration des Publikums legen, scheinen sie sich jetzt eher dem Corpsgeist des Projekts verpflichtet. Und so bleibt die Blase geschlossen, das Publikum Kulisse und Beweihräucherungsinstrument. Im Laufe des Abends wird das noch deutlicher werden.

Vorerst beglücken Charlotte Kragh und Kauan Soares mit dem Pas de deux Here and Now von Neshama Nashman zu Fratres von Arvo Pärt die Besucher. Reichlich martialisch kommt Rabak 972 in der Choreografie von Yoav Bosidian, zu der er selbst die Musik geschrieben hat, daher. Bis zur ästhetischen Fragwürdigkeit muskelbepackte Tänzer dominieren in niedliches Bienchengelb verpackte Tänzerinnen. Bosidian entwirft ein großes Tableau, das bis an die Grenzen der Erträglichkeit geht, um darauf hinzuweisen, dass „die Gleichberechtigung der Geschlechter oder der Religionen“ noch längst nicht erreicht sei. Ob das Heraufbeschwören ewig alter Feindbilder da eine Hilfe ist? Da bleibt ein Nachgeschmack bei einer sonst wirklich eindrucksvollen Choreografie.

HartmannMueller, die beiden Choreografen aus Düsseldorf, haben gemeinsam mit Virginia Segarra Vidal den 20-Minüter Let’s Dance entwickelt. Auf einem blau verkleideten Podest bewegen sich vier Tänzer, wenn sie nicht gerade irgendetwas auf Englisch faseln. Dazu gibt es Techno-Musik von Fabian Schulz. Ganze Nächte lang konnte man sich das zu Zeiten der Berliner Love Parade im Fernsehen anschauen, wenn man nicht selbst auf oder neben den Trucks mittanzte oder anderen Unsinn trieb, und es hat sich abgenutzt. Wie damals ist auch heute das zentrale Thema die Liebe. Allerdings wurde das zu Zeiten des Originals deutlicher als hier auf der Bühne. Neben Evan L’Hirondelle, Pedro Maricato und Vinicius Vicira beeindruckt vor allem Clara Nougué-Cazenave mit ihrem hochenergetischen Einsatz. Choreografisch am schlechtesten umgesetzt ist die Imagination of Objects von Daniela Georgieva. Zwei Scheinwerfer-Schränke auf der Bühne, viel Nebel und dazwischen bewegen sich Jack Bruce, Niklas Jondrics und Damìán Torio sinn- und zusammenhanglos. Der englischsprachige Text von Bruce aus dem Off erzählt etwas über drei Jungs. Tänzerisch gibt es hier weder neue Aspekte noch originelle Einfälle, dafür ist die Raumaufteilung laienhaft.

Nelson Lòpez Garlo reißt mit Bad Karma das Ruder noch einmal grandios herum. Zu Bad Karma von Axel Thesleff und Serenity von Ola Gjeilo entwickelt das Ensemble, Männer wie Frauen in weißen Bikinis, eine großartige Vorführung, die mit bildgewaltigen Formationen, überraschenden Wendungen und originellen Einfällen das Publikum für gerade mal dreizehn Minuten in seinen Bann zieht. Ein gelungener Schlusspunkt für eine Veranstaltung mit Schwächen. Trotzdem zeigt der Abend, dass die Idee stimmt. Mit dem designierten Ballettdirektor Raphaël Coumes-Marquet und der neuen Chefchoreografin Bridget Breiner könnte eine solche Veranstaltung sogar noch Aufwind erfahren, weil es dann möglicherweise jemand gibt, der sich ernsthaft darum kümmert. Und den jungen Tänzern, die aus aller Welt nach Düsseldorf kommen, wo sie herzlich willkommen sind, erklärt, welch wichtiges und völkerverbindendes Kulturgut die deutsche Sprache in Deutschland ist. Englisch ist es nicht.

Michael S. Zerban