O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Tanz im Vordergrund

SCHWARZE FLOCKEN/ZARTE ZEILEN
(Yvonne Schweidtmann)

Besuch am
30. Juli 2023
(Premiere am 29. Juli 2023)

 

Weltkunstzimmer, Düsseldorf

Düsseldorf im Goldrausch. Wer am Straßenrand vor dem Malkasten eine Stunde parken will, zahlt 4,65 Euro. Um eine Parklücke auf der Königsallee für eine Stunde zu belegen, sind sechs Euro fällig. Da tönt es im Stadtrat von Umweltschutz. Das ist allzu leicht zu durchschauen. Da wird nun ausreichend Parkraum für Besserverdienende geschaffen, und die Stadt freut sich über satte Mehreinnahmen. Das weckt Begehrlichkeiten. So auch im Weltkunstzimmer, einer ehemaligen Brotfabrik, die für die Kultur umgewidmet wurde. Das liegt zwar außerhalb des Zentrums, aber das heißt ja nicht, dass man da nicht auch ein paar Euro zusätzlich zu den Eintrittskarten verdienen kann. Und so wurde der Benefit, unproblematisch und kostenfrei Parkplätze im Innenhof zu finden, kurzerhand abgeschafft. Der Effekt ist bereits erkennbar. Heute stehen die Parkplätze leer. Ja, der Begriff der Milchmädchenrechnung ist altmodisch. Aber er hält sich im Volksmund noch immer, weil er so manchen vor größerem Schaden bewahrt.

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Yvonne Schweidtmann kann sich glücklich schätzen, dass es im Umfeld des Weltkunstzimmers noch freie Parkplätze gibt, und so sind auch zu ihrer zweiten Aufführung von Schwarze Flocken/Zarte Zeilen die Besucher zahlreich erschienen. 1995 schloss die Künstlerin ihr Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie als Meisterschülerin von Beate Schiff ab. Seither verzeichnet sie zahlreiche Ausstellungen in ihrem Lebenslauf. Jetzt hat sie zu einer Kombination von Ausstellung und Aufführung eingeladen. Im hinteren Teil des ehemaligen Backhauses sind ihre Bilder gehängt. Eine Video-Möbel-Installation von Kai Lehmköster, bei der beim Besuch nur die Möbel zu bestaunen sind, ergänzt die Ausstellung der 19 großformatigen Bilder. In einer Einführung versucht Schweidtmann, den Titel der Veranstaltung zu erklären. Schwarze Flocken ist der Titel eines Gedichts von Paul Celan. Die Malerin erzählt, was über Celan allzu bekannt ist. Wenn sein Name fällt, möchte man eigentlich nur ein Gedicht hören. Das ist die Todesfuge, die ihm zu Weltruhm verhalf. Seine Eltern kamen in einem Arbeitslager der Nationalsozialisten ums Leben. Schweidtmann verweist auch auf die Anekdote, als Celan in der Gruppe 47 sein Gedicht vortrug und jemand sagte: „Der liest ja wie Goebbels.“ Auch sein Freitod im Alter von nur 50 Jahren bleibt nicht unerwähnt. Dem Lyriker wird der Dichter Robert Walser gegenübergestellt. Der Schweizer lebte von 1878 bis 1956, wurde von vielen seiner Kollegen geschätzt, blieb aber der breiten Öffentlichkeit nur schwer zugänglich. Heute gilt er als einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammt der Prosaband Zarte Zeilen, dessen Titel die Überschrift des heutigen Tages vervollständigt. Etwas unglücklich ist, dass diese wenigen Erläuterungen denjenigen entgehen, die sich darauf verlassen, dass die Aufführung um 17 Uhr beginnt. Denn mehr Informationen gibt es nicht, wenn man von einem Flyer absieht, auf dem die Künstlernamen vermerkt sind.

Im Oberlichtsaal, eine Etage höher, beginnt die Aufführung mit wenigen Minuten Verspätung. Ein muskulöser Mann im zerrissenen Handwerkeraufzug fegt den Boden. Es ist der Tänzer Daniel Smith aus der Compagnie von Martin Schläpfer, der sich nach dem Umzug des Choreografen nach Wien selbstständig gemacht hat. Während er sich allmählich auf die Tanzfläche begibt, ertönt aus dem Hintergrund die Stimme des Bassbaritons Thomas Huy. Und damit erfolgt der Einstieg in die Choreografie Darling, die Smith und Huy gemeinsam erarbeitet haben. Erneut wählt Huy den sprachlosen Gesang, in dem die verschiedenen Lagen, Klangfarben, Melodie und Rhythmus in den Vordergrund treten. Er hat das bereits bei einer Aufführung im Mai praktiziert, und damals wie heute kann er damit stark beeindrucken. Sein „Duett“ mit Smith, nachdem der Sänger ebenfalls die Bühne betreten hat, die Kombination von Tanz und Gesang in Berührung, verläuft vollkommen asexuell und damit auch frei von jeglichem erotischen Impuls. Trotzdem mag man sich dem Reiz der Idee kaum entziehen.

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Zwischenzeitlich trägt Ulrich Thiess Gedichte vor. Möglicherweise hätte ein Mikrofon hier geholfen, jedenfalls mag der Vortrag seine rechte Wirkung nicht entfalten. Dabei hätten die rezitierten Werke von Walser und Celan durchaus mehr Gewicht verdient. Sei es, wie es ist. Überlegt haben sich die Tänzer und Huy einen fließenden Übergang, der sich auf der Leitertreppe zum Dachgeschoss abspielt. Eine eindrucksvolle Position im Saal, die bei der gewählten Sitzaufstellung allerdings ins Abseits gerät. Kaum, dass alle Besucher mitbekommen, wenn Huy dem zweiten Tänzer, der sein Gesicht mit Tüll verhüllt und seinen Körper mit Farben übersät, einen Eimer Wasser über den Körper schüttet. Yoav Bosidan fesselt das Publikum mit starken, teils machohaften Gesten, die er in seiner Choreografie Maryam zeigt. Die Musik dazu ist von ihm komponiert und kommt von der Festplatte. Die Sängerin Lena Goldheart Smith unterfüttert die Klänge mit ihrer Stimme.

Eher abgeschnitten wirkt der letzte Teil, in dem Gilad Kaplansky, Dozent an der Düsseldorfer Anton-Rubinstein-Musikakademie, das dreisätzige Werk Music for Violoncello seines israelischen Landsmannes Paul Ben-Haim vorträgt. Was es damit auf sich hat, erfahren die Zuschauer nicht.

Aber dem Publikum gefällt der Gesamteindruck. Und so gibt es langanhaltenden Applaus, ehe die Menschen den Saal verlassen. Schön, dass sich immerhin im Anschluss noch einige finden, die sich der Ausstellung im Erdgeschoss widmen und im überraschend auftretenden Sonnenschein auf dem Hinterhof niederlassen. Die Autofahrer sehen zu, dass sie schnell wegkommen. Und die Verantwortlichen des Weltkunstzimmers können sich derweil überlegen, wie sie den Service für die Besucher weiter einschränken wollen. Das sorgt bestimmt für mehr Interesse am Kulturangebot abseits der Hauptstraßen.

Michael S. Zerban