O-Ton

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Foto © Theater an der Luegallee

Aktuelle Aufführungen

Heimatgeschichte

RHEINBLUT
(Gordon McBane)

Besuch am
2. Dezember 2023
(Premiere am 7. April 2022)

 

Theater an der Luegallee, Düsseldorf

Eine der bis heute aufsehenerregendsten Mordserien in Deutschland begab sich 1929 in Düsseldorf. Peter Kürten, ein gebürtiger Kölner, beging mindestens acht Morde und bis Mai 1930 mehr als 20 Überfälle, die meisten davon in Mordabsicht. Bekannt wurde er als „Vampir von Düsseldorf“ – so betitelte ihn die Presse seinerzeit, nachdem er einem Schwan im Hofgarten den Hals durchtrennt und sein Blut getrunken hatte. Die Ungeheuerlichkeit seines Blutrausches fand auf den Bühnen bislang relativ geringen Widerhall. 1991 erschien das Stück Normal – The Düsseldorfer Ripper von Anthony Nelson, das die These aufstellte, in jedem von uns schlummere ein Mörder. Erst im Jahr 2000 führte das Düsseldorfer Schauspielhaus Schlachtfest oder Wie ich ein brauchbares Opfer werde von Thomas Richhardt auf, das sich mit Peter und seiner Frau Auguste Kürten auseinandersetzte. 2008 wurde das Kammerspiel Wer ist der Mörder? von W. A. Wirringa beim Düsseldorfer Altstadtherbst – heute Düsseldorf-Festival – uraufgeführt, in dem historische Protokolle dramaturgisch verdichtet wurden. Als das Hochschulradio Düsseldorf 2013 eine zehnteilige Hörspielreihe unter dem Namen Rheinblut: Der Vampir von Düsseldorf produzierte, nahm Gordon McBane das zum Anlass, für das Theater an der Luegallee einen „Krimi noir“ aus dem Stoff zu adaptieren. Im April vergangenen Jahres kam es unter dem Titel Rheinblut: Eine Stadt jagt einen Vampir in dem Kellertheater im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel zur Aufführung. Hätte man es doch bei Rheinblut belassen, aber vielleicht braucht ein Boulevard-Theater den reißerischen Zusatz, um Publikum zu locken. In die Irre führt er allemal.

Foto © Theater an der Luegallee

Dabei hat McBane eigentlich sehr gute Arbeit geleistet. Er verdichtet den Stoff personell, so dass es mit vier Personen erzählt werden kann, ohne die wichtigen Fakten außer Acht zu lassen. Dazu erfindet er den ehemaligen Kommissar Kurt Spindler, der in der Handlung als koksender und saufender Privatermittler rege Kontakte zur Unterwelt unterhält und damit glaubhaft eine Rolle bei der Auflösung des Falles spielt. Er wird den Fall nicht überleben und damit in den offiziellen Dokumenten nicht auftauchen. Herrlich der Verweis auf Edgar Wallace, der tatsächlich damals seine Mithilfe bei der Aufklärung anbot, hier allerdings eher erklärt, warum ein Unterweltboss den Beinamen Krake erhält. So entsteht ein rundes Stück, dass dem Zuschauer durchweg unterhaltend und ohne dokumentarischen Anspruch Heimatgeschichte, so düster sie auch in diesem Fall sein mag, näherbringt. Davon dürfte es durchaus mehr geben.

Zwei Tage zuvor fand die Premiere der Wiederaufnahme statt. Aber auch in der Folgevorstellung bleibt kein Platz in den Zuschauerreihen frei. Wer hier für die nächsten Aufführungen noch Karten bekommen möchte, muss mehr als Glück haben. Das Interesse erscheint ungeheuer groß.

Die Bühne ist so kleinteilig wie durchdacht gebaut. Vorne links ist das „Büro“ des Detektivs aufgebaut, ein kleiner Tisch mit zwei Hockern. Dahinter ist ein Bistrotisch mit zwei Stühlen, gefühlt aus den 1930-er Jahren aufgestellt, was sich später als Wohnung der Kürtens entpuppt. In der Mitte sind zwei Baumrinden auf einer Fototapete mit Waldlandschaft aufgebracht, vor der zwei Baumscheiben abgelegt sind. Während der erste Abgang den Wohnungen vorbehalten ist, bietet der zweite die Verbindung zur Außenwelt. Eine dritte Spielstätte ist der Treppenaufgang zu den Toiletten. Das Licht zeigt nicht nur Szenenbeginn und -ende an, sondern leistet sich auch den einen oder anderen dramaturgischen Spot-Einsatz. Musikalische Einspieler gefallen, weil sie einen Hauch von Kriminalfilm vermitteln, gefallen weniger, weil sie nicht ausgeblendet werden, sondern auf den Takt enden. Das wirkt mitunter sehr abgehackt, ist aber nicht mehr als ein Schönheitsfehler.

Foto © Theater an der Luegallee

Christiane Reichert, Chefin des Theaters, ist nicht nur für die gelungene Regie zuständig, sondern übernimmt auch die Rolle der Auguste Kürten und zuvor die Nebenrolle einer Zeugin, die einem Anschlag Kürtens entkommen ist. Obwohl es in dem Stück durchaus Gelegenheit zu dem einen oder anderen dramatischen Auftritt gäbe, verzichtet Reichert vollständig auf solche Ausbrüche und legt sehr viel Wert auf die Natürlichkeit der Dialoge. Glückwunsch dazu, denn den Zuschauern, die hier schon mit dem vorbereiteten Grinsen sitzen und auf die nächste Gelegenheit zu lachen warten, wird der Riegel vorgeschoben. Damit ist ein Schmunzeln an so mancher Stelle ja nicht verboten, und dafür sorgen die Mitdarsteller gern. Dirk Volpert verleiht dem Ermittler den kauzigen Anstrich, ohne in zu übertreiben. Marc-Oliver Teschke übernimmt gleich drei Rollen. Mit Falsett-Stimme mimt er den Unterweltboss Krake, der bestimmungsgemäß schleimig über die Bühne kommt, ohne den Unterton der Gefahr zu vergessen. Sein Bürgermeister könnte so manchem lebendem Original abgeschaut sein. Figürlich scheitert er an Peter Kürten, der in allen Quellen als außerordentlich gepflegter Typ geschildert wird, heute würde man ihn vielleicht als „Blender“ bezeichnen, während Teschke eher den braven Beamten verkörpert. Das allerdings macht er darstellerisch wett. Eine großartige Bereicherung stellt Nadine Karbacher als Marie Butlies dar. Sie ist weder Opfer noch Naivchen, sondern eine selbstbewusste, junge Frau, die trotz oder gerade wegen ihrer Rolle ihren Weg geht. Erfrischend, geradeaus und in jeder Sekunde glaubwürdig.

Solchermaßen aufgestellt dürfen die Darsteller nach eineinhalb Stunden inklusive Pause zurecht den herzlichen Beifall entgegennehmen, den das vollbesetzte Haus ihnen entgegenbringt. Und damit auch die Frage beantworten, ob ein „kleines“ Theater einen derart ernsthaften Stoff überhaupt seriös zeigen kann. Ja, auf jeden Fall. Hier wird dem Publikum mit hohem und emotionalem Unterhaltungswert ein Stück Heimatgeschichte nahegebracht, ohne den Zeigefinger zu erheben oder altklug zu wirken. Vergessen wird den Kern der Geschichte so bald niemand mehr. Einen Überblick über den Blutrausch des Peter Kürten gibt Wikipedia. An der literarischen Aufarbeitung hat sich Susann Brennero empfehlenswert in ihrem Werk Der Vampir vom Niederrhein – Peter Kürten, erschienen bei Gmeiner, versucht.

Michael S. Zerban