O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Kammermusikalische Sternstunde

RAUMSTATION
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. November 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Tonhalle Düsseldorf

Bekanntlich gehört Igor Levit längst weltweit zu den Top-Pianisten. Auf den berühmten internationalen Konzertpodien ist er zu Hause, sei es als Solist, mit Orchester oder auf dem Gebiet der Kammermusik. In dieser Spielzeit ist er Artist in Residenz in der Tonhalle Düsseldorf. Vorab, Anfang Mai dieses Jahres, stellte er sich bereits mit einem Livestream vor. Nun wird er innerhalb von acht Monaten acht Veranstaltungen in Form von Sinfoniekonzerten, Kammermusik und Soloabenden gestalten. Den Anfang macht er mit einem Mammutprogramm: An vier aufeinanderfolgenden Tagen führt er dreimal Ludwig van Beethovens drittes Klavierkonzert mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Adam Fischer auf. Und dazwischen ist er einmal kammermusikalisch im Mendelssohn-Saal mit drei anspruchsvollen Werken präsent, die nicht oft auf Konzertprogrammen stehen. Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser Abend ist ein kammermusikalischer Höhepunkt.

Max Reger schrieb technisch vertrackte Musik. Manche Interpreten haben sich daran die Zähne ausgebissen. Dazu gehört auch sein Oeuvre für Klavier. Gerade die Variationswerke wie die Introduktion, Passacaglia und Fuge für zwei Tasteninstrumente haben es in sich. Der Klaviersatz ist unter anderem geprägt von kompakten, komplizierten Akkordfolgen, aber auch gespickt mit einer weichen, elastischen pianistischen Technik. Die Fuge ist ein kontrapunktisches Meisterwerk in Sachen komplexer Polyphonie. Dem Komponisten war bewusst, was er den Musikern mit seinem Opus 96 abverlangte, indem er offen zugab: „… technisch wahnsinnig schwer. Also Vorsicht!“

Kongenial führen Levit und Markus Becker, der einen exzellenten Ruf als ausgewiesener Reger-Spezialist hat, das rund 20-minütige Werk auf. Bereits zweimal durften sie es in den vergangenen Jahren aufführen: im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr und den „Max-Reger-Tagen“ im oberpfälzischen Weiden, wo Reger seine Jugend verbrachte. Außerdem ist ihr beruflicher Werdegang ähnlich, studierten doch beide Klavier in Hannover, wo sie heute Professoren an der Hochschule für Musik, Theater und Medien sind. So kommt dieses Stück wie aus einem Guss von der Bühne. Jenseits von wuchtigem Pomp oder aufgeblähten Klangkaskaden sind die lauten, hochvirtuosen Stellen zwar dominant, doch stets glasklar durchstrukturiert gehalten. Perlend-zart kommen wie etwa zu Beginn der Fuge die fein ziselierten Passagen im Piano daher. Haupt- und Nebenstimmen sind selbst in den komplexesten Abschnitten deutlich durchhörbar.

Pianistisch äußerst anspruchsvoll sind auch die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn aus der Feder von Johannes Brahms, die er bald nach der Fassung für Orchester für zwei Klaviere transkribierte, die dementsprechend mit der Opuszahl 56b in seinem Werkverzeichnis aufgelistet sind und rund drei Monate nach der ersten Version uraufgeführt wurden.

Auch hier glänzen die beiden Pianisten mit einem äußerst harmonischen, differenzierten Spiel, zeichnen die großen orchestralen Klangfarben und reichhaltigen Kompositionstechniken eindrucksvoll nach. Dabei wird von der Vorstellung des Themas über die acht Veränderungen mit ihren steigenden und fallenden Bewegungen bis hin zu der konzentrierten Chaconne ein packender, großer musikalischer Bogen gespannt.

Béla Bartóks im Januar 1938 aus der Taufe gehobene Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug, unter der Nummer 110 im Szőllősy-Verzeichnis eingetragen, hat die Perkussionsinstrumente in der Klassik hoffähig gemacht. Bis dahin spielten Pauken, Triangel, Becken und Co. keine tragenden Rollen. Ab jetzt sind sie, wie schon längst zuvor im Jazz, genauso wichtig. Hier korrespondiert das Xylophon auf Augenhöhe mit den beiden Flügeln. Der Ungar brachte Klangschätze zu Papier, wie sie vorher nicht vorstellbar waren. Auch die perkussive Verwendung des Klaviers hat es so vorher noch nicht gegeben. Ein weiteres Beispiel dafür ist etwa sein Allegro barbaro, Sz 49 für Klavier solo aus dem Jahr 1911. Genauso wie Reger und Brahms mutet Bartók den Ausführenden ein Höchstmaß an spielerischen Fertigkeiten zu. Hinzu ist ein sicheres Rhythmusgefühl der vier Musiker unabdingbar. Denn die Taktarten und musikalischen Betonungen ändern sich andauernd. Die kleinste Unachtsamkeit würde automatisch zu einem Debakel führen. Auch Bartók war sich der hohen Anforderungen wohl bewusst, als er dem Mäzen und Auftraggeber des Stücks, Paul Sacher, schrieb: „Der Klavierteil ist keinesfalls schwieriger als die Klavierstimme meiner Klavier-Violin-Sonaten. … Die Klavierspieler müssen freilich gut sein; und der Xylophonspieler muss halt seine Partie schön üben.“

Sorgen sind an diesem Abend jedoch fehl am Platz, da neben dem bestens aufeinander eingespielten Klavierduo ebenfalls aus Hannover mit Klaus Reda und Andreas Boettger, wo sie auch beruflich aktiv sind, zwei Spitzen-Schlagzeuger mit auf der Bühne sind. Vom ersten Moment an, mit dem Einsatz des ganz leisen Paukenwirbels, stimmt alles auf den Punkt. Die Interaktion untereinander ist vorbildlich. Jede Phrasierung wird anschaulich herausgearbeitet. Der Wechsel von rhythmischer Dominanz und lyrischen Episoden im ersten Satz wird mustergültig dargestellt. Atmosphärisch-zart wie ein Raunen und Flüstern, erklingt der langsame Mittelsatz. Der finale Tanzsatz sprüht vor unbändiger Ausgelassenheit, bis er ganz leise, kontemplativ ausklingt.

Das interessierte und aufmerksame Publikum honoriert diesen erstklassigen Kammermusikabend mit langanhaltenden, stehenden Ovationen. Einige wünschen sich noch eine Zugabe. Aber wer hat schon ein Werk mit dieser Bartók-Besetzung in petto?

Hartmut Sassenhausen