O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Perkussiver Wohlfühlabend

RALF ZARTMANN UND GÄSTE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
5. Oktober 2022
(Einmalige Aufführung)

 

IDO-Festival, Evangelische Friedenskirche, Düsseldorf

Zum 17. Mal findet das Internationale Düsseldorfer Orgelfestival, abgekürzt IDO-Festival, in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens statt. Vom 30. September bis zum 11. November werden 50 Konzerte angeboten. Orgel-Konzerte? Ja, so ähnlich. Na dann, nein danke, werden viele Menschen denken, denen sich die Musik in ihrer Jugend fest eingeprägt hat. Da hieß es am Sonntagmorgen, mit den Eltern in die Messe zu gehen. An der Wand hingen unverständliche Hinweise auf die zu singenden Lieder im Gesangsbuch. Ein Blick in das Buch des Sitznachbarn half weiter – bis zum Ende der ersten Strophe. Dann verstand man nicht mehr, was die anderen singen, weil es so nicht in dem Buch stand, in dem viel von Unterwerfung und Demut die Rede war. Erst viel später hörte man von der „Königin der Instrumente“, aber da war man schon froh, der Orgel am Sonntagmorgen mit ihren ewig gleichen Melodien entkommen zu sein. Inzwischen ist viel passiert. Und so versucht auch das IDO-Festival, Menschen für die kostbaren Instrumente und ihre Klänge zu begeistern. Fast 200 Orgeln gibt es allein in Düsseldorf. Die bindet das IDO-Festival in ungewöhnliche Kombinationen ein. Und deshalb lohnt es sich, seine Vorurteile über Bord und einen Blick in das Programmheft zu werfen. Auch wenn die Verantwortlichen glauben, sich nicht mehr an geltende Rechtschreibregeln halten zu müssen. Ja, die ideologische Lagerspaltung in Geschlechter ist unerträglich. Aber dafür können die eingeladenen Künstler nichts. Und die zu erleben, lohnt sich. Ganz abgesehen davon, dass es eine gute Gelegenheit ist, die Düsseldorfer Kirchen von innen kennenzulernen. Ob es dem IDO-Festival allerdings in diesem Jahr gelingen wird, vollmundig angekündigte 12.000 Besucher zu verzeichnen, wird man sehen müssen.

Alexander Niehues – Foto © O-Ton

Heutiger Veranstaltungsort ist die Evangelische Friedenskirche im Stadtteil Unterbilk. Sie wurde 1899 im neugotischen Stil erbaut, 1943 zerstört, 1953 in schlichterer Form wieder aufgebaut und präsentiert sich heute frisch saniert. Die Beckerath-Orgel wird sicher den liturgischen Bedürfnissen genügen. Für heute allerdings ist Größeres vorgesehen. Ralf Zartmann hat sich Gäste eingeladen. Längst hat er sich als Schlagzeuger selbstständig gemacht, besitzt in der Nähe der Kirche ein eigenes Studio und hat sich neben eigenen Auftritten ganz der Idee verschrieben, den Nachwuchs zu fördern. Daneben hat er sein eigenes Ensemble, die RZ Percussion Group. Schon vor Beginn der Aufführung erzählt der Musiker, dass er sich für heute Abend ein möglichst breit gespanntes Spektrum vorgenommen hat. Und er soll Recht behalten.

Los geht es im wahrsten Sinn mit einem Paukenschlag in der nicht einmal zur Hälfte gefüllten Kirche. Von Johann Karl Christian Fischer, der von 1752 bis 1807 lebte, stammt die Symphonie mit acht obligaten Pauken, die ursprünglich für Pauken und ein vollständiges Orchester geschrieben wurde. Zartmann hat aus dem ersten Satz ein Arrangement für Pauken und Orgel geschaffen. Alexander Niehues, seit zwei Jahren Lambertuskantor und Chorleiter des Bach-Vereins Düsseldorf, übernimmt die Arbeit am mobilen Orgeltisch, der links vom Altarraum aufgestellt ist. Die Pauken stehen halbkreisförmig im hinteren Teil des Altarraums aufgestellt, davor steht ein Schlagzeug, wie es jede Band im Probenraum stehen hat, das aber vorläufig unberührt bleibt. Zartmann hat genug damit zu tun, die Pauken zu bearbeiten. Schon beim nächsten Stück wartet ein kompletter Bruch. Es geht in das Jahr 1973. Damals komponierte einer der Meister der minimal music, Steve Reich, Music for Pieces of Wood. Höhengestimmte Hölzer werden von fünf Musikern mit dünnen Schlagstöcken bearbeitet. Niehues beginnt das Stück mit einem einfachen Rhythmus. Schon beim zweiten Holzstück dürfte jeder Laie passen. Denn Osia Toptsi findet einen anderen Grundrhythmus. Und so geht es weiter. Bald ist die Kirche erfüllt von den hölzernen Klängen, die das Publikum komplett für satte zwölf Minuten in ihren Bann ziehen. Überdurchschnittlich viele Besucher haben ihre Augen geschlossen, um die Musik ganz tief in sich wirken zu lassen. Das schafft minimal music.

Einen Abendzettel gibt es nicht. Stattdessen übernimmt Zartmann die Moderation. Und erzählt von Harald Heilmann, der von 1924 bis 2018 lebte. Die Karriere des ostdeutschen Komponisten verlief durchaus mit Brüchen, aber letztlich zufriedenstellend. Von ihm gibt es das fünfminütige Stück Consolation für Vibrafon und Orgel aus dem Tanz-Oratorium Der Sündenfall. Dabei geht es eher ruhig zu. Nach dieser „Erholungspause“ hält Zartmann noch ein besonderes Schmankerl parat. Zu Gast ist der Schlagzeuger Tarik Dosdogru mit einer eigenen Komposition. Allahaısmarladık! heißt so viel wie Auf Wiedersehen oder Tschüss auf Türkisch. Dosdogru spricht als Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter selbst kein Türkisch, aber das jazzige Stück mit dem Titel sorgt für frischen Wind.

Ralf Zartmann, Osia Toptsi, Alexander Niehues, Leo Gilcher und Aaron Walther – Foto © O-Ton

Und weiter geht es mit den Kuriositäten. Bernhard Wulff ist Professor für Schlagzeug und interessiert sich besonders für Klanginstallationen und Signalverarbeitung. Der hat für sein Stück Abgesang einer Feldlerche Vogelstimmen aufgenommen und in ein Notenbild für Schlagzeug umgesetzt. Dazu begeben sich Leo Gilcher und Aaron Walther von der RZ Percussion Group auf die Emporen und unterstützen Zartmann am Schlagzeug mit weiteren Rhythmusinstrumenten. Herauskommt ein ganz besonderes räumlich-klangliches Erlebnis.

Ein Konzert in einer evangelischen Kirche scheint tatsächlich nicht ohne Johann Sebastian Bach auskommen zu können. Hier darf es gleich das wohl berühmteste Stück sein. Toccata und Fuge werden selbstverständlich an diesem Abend vom Schlagzeug begleitet. Für Puristen vielleicht nicht das uneingeschränkte Erlebnis, für die Besucher in der Friedenskirche ein Glücksfall. Denn so brillant Niehaus auch an der Orgel spielt, reicht sie einfach klanglich nicht an das Mögliche heran. Und da ist die Unterstützung sehr willkommen.

Nach dem Marimba-Trio von Eric Zak, einem weitestgehend unbekannten, amerikanischen Komponisten, der ebenfalls in der Tradition der minimal music steht, findet der Abend mit dem Grand Choeur Dialogué von Eugène Gigout ein wunderbares Finale. Als Zugabe gibt es dann noch einmal die Fuge von Johann Sebastian Bach. Dazu wird allerdings zusätzlich die Spielzeugkiste mit kleinen Rhythmusinstrumenten ausgepackt, die Gilcher und Walther mit sichtlichem Spaß beisteuern. Vielleicht klingt an diesem Abend die eine oder andere Passage nicht ganz so großartig wie in einem Dom, aber die lockeren Moderationen, das vielfältige Programm und ganz wunderbar entspannte Musiker sorgen für eine intime Atmosphäre, in der man sich so richtig wohlfühlen kann. Auch so kann es beim IDO-Festival zugehen, und der Abend wird sicher zu den unvergesslichen Ereignissen in diesem Jahr gehören.

Michael S. Zerban