O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Freude am Sonntagnachmittag

PFINGSTKONZERT
(Gustav Mahler, Joseph Haydn)

Besuch am
31. Mai 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Tonhalle Düsseldorf

An der Rheinuferpromenade vor der Tonhalle geht es bei herrlichstem Pfingstwetter zu wie bei einer Großkundgebung. So viele Menschen hat man lange nicht mehr auf einen Haufen gesehen. Vor zwei Monaten noch hätte man von einem herrlich bunten Treiben gesprochen, sich darüber gefreut, wie intensiv die Düsseldorfer ihre Rheinwiesen nutzen. Jetzt, nach der Zeit des Shutdowns, ergreift einen eher ein Unbehagen, das, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben, einfach hofft, dass das mal alles gut geht. Und man muss schon seinen gesunden Menschenverstand an den Haaren herbeiziehen, der einem sagt, dass hier natürlich nichts passiert. In der Tonhalle verlässt man sich nicht auf den gesunden Menschenverstand, sondern hält sich an das, was die Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen vorgibt. Schließlich soll das Pfingstkonzert, das für diesen Sonntag als erstes Konzert nach der Schließung angesetzt ist, als Erfolg in die Geschichte des Konzerthauses eingehen und nicht als fieses Malheur.

Man hat sich in den vergangenen Monaten mehr als einmal an den Kopf fassen müssen, was die Vorgaben der Regierung angeht. Allzu leichtfertig wurden immer wieder vorsätzlich Verfassungsrechte der Bürger missachtet, um einen angeblichen Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Und so werden ab dem 30. Mai zwar Versammlungen in geschlossenen Räumen wieder zugelassen, aber einfach mal auf 100 Personen begrenzt, anstatt eine Flächenregelung zu erlassen. Wie unüberlegt eine solche Vorschrift ist, zeigt sich in der Tonhalle, die mit ihren 1.854 regulären Plätzen sicher mehr Gästen den Zutritt hätte erlauben dürfen, was die Größe und baulichen Gegebenheiten angeht. Auch wenn es sich um ein Konzert für die Risikogruppe handelt.

Hundert Eintrittskarten in einer Zeit zu vergeben, in der Millionen von Menschen darauf warten, wieder ihre menschlichen Bedürfnisse nach kulturellen Ereignissen erfüllen zu können, ist eine undankbare Aufgabe. Die Tonhalle hat sich entschieden, unter den Menschen, die sie in den vergangenen Wochen finanziell und moralisch unterstützt haben, diese Karten zu verlosen. Das klingt erst mal nach einem halbwegs fairen Verfahren. Und scheint zu zeigen, dass es überwiegend die über 70-Jährigen waren, die die Tonhalle unterstützt haben. Immerhin haben es auch Oberbürgermeister und Kulturreferent geschafft, erfolgreich aus der Verlosung hervorzugehen. Wie das Leben immer so spielt.

Die Organisation scheint perfekt und funktioniert vor allem, weil sich die Besucher vorbildlich verhalten. Die Eintrittskarten wurden im Vorfeld via Mail zugestellt und von den Besuchern selbst ausgedruckt. So reicht ein schneller Scan beim Einlass, der nach Rangzugängen vorgeordnet ist. An allen Ecken, wo eine Unachtsamkeit genügen könnte, einen „falschen“ Weg zu gehen, steht aufmerksames Personal, das die Richtung weist. Und auch für einen kleinen Scherz ist immer noch Zeit. So erreicht so mancher wohlbehütet und vergnügt seinen Platz, während andere es schwerer haben – denn die Aufzüge dürfen nicht benutzt werden. Da werden 88 Stufen schnell mal zu einer langen Strecke. Was das Hauspersonal an höflicher Aufmerksamkeit ausmacht, verschlampt die Dramaturgie. Da funktionieren plötzlich die einfachsten Dinge nicht mehr. Es hätte ja niemand erwartet, dass ein perfektes Abendprogramm in gedruckter Form vorliegt, aber einen „Abendzettel“ mit den nötigsten Informationen schafft selbst die kleinste Klitsche noch. Wenn ein Dramaturg es nicht für nötig hält, schriftliche Informationen über ein Konzert zu verfassen, womöglich, weil ja „nur“ 100 Personen teilnehmen, sollte er dringend seine Einstellung gegenüber dem Publikum überdenken. Zumal man solche Informationen auch bei der Internetübertragung hätte erwarten dürfen. Dort fehlen sie dann konsequenterweise auch. Ganz schlechter Stil.

So etwas kann man sich nur leisten, wenn der Intendant Michael Becker heißt. „Guten Tag, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen!“ Schon steigt die Stimmung im Saal. Becker gelingt es, mit einer einfachen Begrüßung eine versöhnliche und entspannte Atmosphäre herzustellen. Ich weiß zwar nicht, was hier gespielt wird, aber der Becker wird’s schon richten. Jetzt legen auch die letzten Besucher ihre Masken ab, was durchaus erlaubt ist, weil kein Virus dieser Welt in der Lage ist, die gewählten Entfernungen zwischen Besuchern und Orchester zurückzulegen.

Nach einer kurzen Erläuterung des bevorstehenden Programms überlässt Becker nicht nur die Bühne, sondern auch das Parkett den Musikern. Für Adam Fischer, der den Abend als Reminiszenz an seinen letzten Abend am 1. März mit Haydn 49. und Mahlers 6. Sinfonie versteht, ist ein Podium vor der Bühne aufgebaut worden, so dass er sowohl die Musiker auf der Bühne als auch die im Parkett im Blick haben könnte. Etwas mehr als 30 Musiker betreten die Spielstätte, um das siebte Wort aus Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn und anschließend den letzten Satz Il terremoto – das Erdbeben – zu spielen. Was die vier Streicher an Filigranität im ersten Satz darbieten, wird in der Fülle von den Streichern der Düsseldorfer Symphoniker im zweiten Satz wiederholt. Ein schöner Einstieg, an den sich das Adagietto aus der Fünften Symphonie von Gustav Mahler anschließt, eine Musik, die als Filmmusik zum Tod in Venedig Weltruhm erlangte. Fischer, der auf seinem Podium ohne Noten steht, wirkt etwas überfordert und als Laie ist man froh, diesem Dirigat nicht als Musiker folgen zu müssen.

In der Pause lobt der Dirigent den durch die neue Anordnung ausgeglichenen Klang, der sich so ausgewogen zum Raum verhält, ehe er erzählt, womit er die letzten Monate ohne Dirigate in Wien und Mailand verbracht hat. Der Rückzug in das Wochenendhaus am Elbufer verschaffte ihm Gelegenheit, sich mit der Tierwelt und insbesondere mit den Seevögeln auseinanderzusetzen, die er bislang nicht kannte. Angesichts tausender Solo-Künstler, die immer noch um ihre Existenz kämpfen, wenn sie noch keine Anstellung als Kassierer im Supermarkt angenommen haben, scheint es Unangenehmeres zu geben, als sich mit der maritimen Ornithologie beschäftigen zu müssen.

Zum Abschluss des Konzerts ist die 45. Symphonie von Joseph Haydn vorgesehen, die den Beinamen Abschiedssymphonie trägt. Der Titel ist nicht von Haydn, sondern von einem Verleger verliehen. Und es gibt auch in den ersten vier Sätzen wenig Anhaltspunkte, die auf einen Abschied schließen lassen. Im fünften Satz allerdings verstummen nach und nach die Instrumente, bis auf zwei Geiger niemand mehr übrigbleibt. Das wird von den Düsseldorfer Symphonikern in humorvoller Weise unterstrichen, indem sie nach und nach abgehen, nachdem ihr Part beendet ist. Und so stehen am Ende tatsächlich nur noch die beiden Geiger auf der Bühne. Lacher gibt es, als Adam Fischer vor ihnen das Pult verlässt und in die Dunkelheit des Hintergrundes entschwindet. Eine hübsche Idee, die einen sehr harmonischen Nachmittag zu einem vergnüglichen Ende bringt.

Weniger amüsant verläuft die Sitzung am heimischen Computer, wenn man sich die Übertragung im 360°-Modus anschaut. Zwar funktioniert die individuelle Bewegung der Kamera, die einen Blickwechsel im Raum erlaubt, wunderbar. Nur ist die Bildqualität so miserabel, dass man das Ganze allenfalls als Hörerlebnis genießen kann. Da verzichtet man gern auf den ganzen Schnickschnack, wenn man wenigstens die Gesichter andeutungsweise erkennen kann.

Michael S. Zerban