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Aktuelle Aufführungen

Die Karwoche beginnt

PASSIONSKONZERT
(Charles-Marie Widor, Franz Liszt, Giovanni Battista Pergolesi)

Gesehen am
28. März 2021
(Premiere/Stream)

 

Les Lumières, St.-Peter-Kirche, Düsseldorf

Eigentlich haben die Kirchen in Deutschland gerade ganz andere Probleme. Massenaustritte der Katholiken in Köln sind nur die Spitze des Eisbergs. Da sind hohe Feiertage wie Weihnachten oder jetzt Ostern Strohhalme, an die man sich klammern kann. Persönliche Kontakte zur Kirche sind die besten und wichtigsten Mittel, um Gläubige zu halten. Und dann kommt ein MPK, ein Ministerpräsidentenklub, als Gremium ohne Legitimation daher und kämpft so willkürlich wie vergebens gegen das gefährlichste Virus aller Zeiten. Da fällt den Ministerpräsidenten in christlicher Union mit der Bundeskanzlerin nichts weiter ein, als Osterruhetage zu verkünden und die Kirchen zu bitten, auf „Präsenzveranstaltungen“ zu verzichten. Ja, das haben schon andere Berufsgruppen im Laufe des letzten Jahres erlebt: Dass ihnen mal eben so die Existenzgrundlage entzogen wird. Aber nicht mit der katholischen Kirche. Die schleudert dem Klub ein klares „Nein“ entgegen. Die ach so reformfreudige evangelische Kirche will darüber noch mal reden. Inzwischen sind die Osterruhetage als kompletter Unsinn und Pandemie-Treiber zurückgezogen. Aber die letzten Christen, die der Angstkulisse der Regierung mehr Glauben schenken als Hygienerichtlinien, werden kaum noch zu Ostern in die Kirche gehen. Einmal mehr hat der Klub der Unwissenden ein soziales Umfeld gemetzelt. Jeder Pfarrer, der gerade hinter geschlossener Tür vor Wut schäumt, verdient Empathie, auch wenn er sich eigentlich mehr auf die bevorstehende Karwoche konzentrieren sollte, die in diesem Jahr also ohnehin schon mehr von Themen wie „Wer geht wann einkaufen?“ als mit der christlichen Auseinandersetzung mit dem Leidensweg Jesu besetzt ist.

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Einer derjenigen, die ein Zeichen dagegensetzen, ist das Ensemble Les Lumières aus Köln. Für den Palmsonntag hat der Künstlerische Leiter, Michel Rychlinski, ein Konzert geplant. Was allein in diesen Tagen ja schon Schwerstarbeit ist. Als Spielstätte hat der Organist und Dirigent die Kirche St. Peter in Düsseldorf-Unterbilk gefunden. Die Kirchengemeinde unterstützte sein Anliegen, wohl auch, weil das geplante Konzert einen großen Orgel-Anteil enthält. Im Düsseldorfer Bewusstsein spielt die neugotische katholische Pfarrkirche am Kirchplatz keine besondere Rolle, obwohl es kaum einen Düsseldorfer geben dürfte, der nicht schon einmal am Kirchplatz zwischen Elisabeth- und Friedrichstraße vorbeigefahren ist. Außerdem gehört sie zu den größten Kirchen der Landeshauptstadt. Und, worüber sich Rychlinski besonders freuen dürfte, sie verfügt über eine Orgel. Die baute 2001 Karl Göckel aus Heidelberg und richtete sie im symphonisch-französischen Stil ein.

Rychlinski lässt sich nicht auf das Abenteuer Live-Stream ein, sondern produziert im Vorfeld ein Video. Das Programm wird zeigen, dass er genau das Richtige unternimmt. Denn neben der Komplexität des Programms hat auch die Akustik des Kirchenraums durchaus ihre Tücken. So kann Guido Ogrzewalla sich in aller Ruhe um den Ton kümmern, und Finn Löw hat alle Zeit, Videobilder einzufangen, die vor allem bei der Arbeit des Organisten beeindrucken, aber auch die Besonderheiten des Kirchenraums berücksichtigt. Die Zuschauer müssen nicht mit den Tücken der Technik leben, sondern können sich auch vor dem heimischen Monitor ganz auf das besondere Flair des Konzerts einlassen. Und so wird der rund 70-minütige Auftritt zum Ereignis, das tatsächlich stimmungsvoll die Karwoche einläutet.

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In einer kurzen Ansprache zu Beginn der Aufführung konzentriert sich Rychlinski auf eine straffe, aber interessante Erläuterung des Programms, ehe er zur Orgel schreitet. Auch ohne ein Orgel-Experte zu sein, wird einem anschaulich vor Augen geführt, dass es sich hier um ein hochtechnisiertes Instrument handelt. Allein der Anblick des Spieltisches nötigt Respekt ab. Der Organist gibt sich hier zuhause. Strahlend erklingt das Bach-Memento aus dem Matthäus-Finale von Charles-Marie Widor, einem französischen Komponisten, der hierzulande nicht allzu häufig zu hören ist. Jetzt ärgert man sich doch, dass man bei der Kurzeinführung nur oberflächlich hingehört hat. Denn unter dem Video findet sie sich nicht.

Vollkommen überraschend dann die Evocation à la chapelle Sixtine von Franz Liszt. Ein langsames, düsteres Stück, das häufig in den Piani niedersinkt. Wer sich an seinen letzten Besuch der Sixtinischen Kapelle erinnert und die Bemühungen des Sicherheitspersonals verdrängt, das sich ständig darum kümmert, jede Fotografie zu verhindern, wird diesen verhangenen Klang wiedererkennen. Und damit schließt der Orgelvortrag.

Rychlinski begibt sich an das Cembalo, wo er die musikalische Leitung des nachfolgenden Stücks übernimmt. Jee Young Choi und Bardh Lepaja mit ihren Geigen, Margot Lemoine mit der Bratsche und Noémie Klages mit dem Cello nehmen in der Runde vor dem Altar Platz. Sopranistin Elisabeth von Stritzky und Altistin Eva Nesselrath legen ebenfalls ihre Masken ab und nehmen Aufstellung. Der Kreis ist geschlossen, und die Aufführung von Giovanni Battista Pergolesis Stabat Mater kann beginnen. Dass Ogrzewalla ständig im Hintergrund zu sehen ist, hat schließlich etwas Komisches, stört aber die grandiose Aufführung nicht. Das Stabat Mater ist seit Jahrhunderten, genau seit 1736, ein Schlager der Liturgie. Es ist das letzte Werk des italienischen Komponisten, der wenige Wochen nach Fertigstellung im Alter von 26 Jahren verstarb, und beruht auf einem mittelalterlichen Gedicht gleichen Namens. Die Inbrunst, die auch in der jetzigen Aufführung zum Ausdruck kommt, verursacht eine Sehnsucht nach innerer Einkehr, hat eine stärkere Wirkung als das Abgehen eines Kreuzwegs in diesen Tagen.

Les Lumières hat sich damit verdient gemacht um die Spiritualität, die dieser Tage verloren zu gehen droht. Und so ist erfreulich, dass die wunderbare Leistung des Ensembles wenigstens noch während der Karwoche als Video on Demand zu erleben ist.

Michael S. Zerban