O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Ganz großes Rennen

OPERNABEND AUF DEN SPUREN DER CORONA-ZEIT
(Eva Marti, Laura Zeiger)

Besuch am
26. Juli 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf, Galopprennbahn Grafenberg, Open-Air-Bühne

Als im Mai erste Lockerungen des Shutdown angekündigt wurden, passierte in Düsseldorf Unglaubliches. Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, die von nicht geringen Steuergeldern finanziert wird, teilte sinngemäß mit: „Och, nö, wir machen jetzt nix mehr. Wir gucken mal, ob wir nach den Sommerferien weitermachen.“ Während beispielsweise die Oper Stuttgart das kurze Zeitfenster nutzte, um nur möglichst in der ganzen Stadt sichtbar zu werden, werden in Düsseldorf vermutlich viele Steuergelder in das Marketing der Oper gesteckt werden müssen, um diese Peinlichkeit auszubaden – wenn die Oper ihre Türen wieder öffnet. Aber es ist ja nicht das Geld des Intendanten. Da kann Christoph Meyer schon locker bleiben.

Seit März 2020 ist Düsseldorf also opernfreie Stadt. Und nach den Vorstellungen der Rheinoper soll das auch bis mindestens September so bleiben. Oberbürgermeister Thomas Geisel ist zu verdanken, dass es anders kommt. Der sieht nämlich, dass die Mehrheit der Bürger sich für die Vernunft entscheidet und nicht etwa in einen Flieger steigen muss, sondern in der Stadt bleibt. Also wird kurzerhand der Düsseldorfer Heimatsommer initiiert. Der Versuch, den Bürgern ein kulturelles und sportliches Programm anzubieten, um ihnen den Verzicht auf den Urlaub in fremden Ländern zu versüßen. Im Programm: ein Opernabend. Nicht die Rheinoper bietet ihn an, sondern die Düsseldorfer Event-Agentur Schlieter & friends. Petra Schlieter-Gropp und Nils Gropp, die Inhaber, vertrauen auf ein Konzept, das ihnen die beiden jungen Opernsängerinnen Eva Marti und Laura Zeiger angeboten haben. In einer Zeit, in der andere Veranstalter auf „die leichte Kost“ wie Kabarett und Comedy setzen, um das Publikum anzulocken, ist das mutig. Noch dazu bei einem Aufführungsort, dessen Akustik unter freiem Himmel gleich null ist und ausgesprochen unbeständige Witterung mit sich bringt. Man muss schon ziemlich verrückt sein, um solch ein Projekt umzusetzen …

Laura Zeiger – Foto © O-Ton

Für den Heimatsommer ist auf der Grafenberger Galopprennbahn vor der großen Tribüne eine Open-Air-Bühne aufgebaut worden. Eine traumhafte Kulisse, weitab von Nachbarn, die sich über Lärmbelästigung beschweren wollen und weit genug vom nahegelegenen Aaper Wald, um der Tierwelt keinen Schaden zuzufügen. Zwischen Tribüne und Bühne liegt eine abschüssige Wiese, auf der Liegestühle aufgestellt sind. Sogar an Aschenbecher in Form von mit Sand gefüllten Sektkübeln ist hier gedacht. Im Hintergrund sind mobile Ess- und Trinkstationen mit ausgefallenen Angeboten geparkt. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre. Allmählich füllen sich die Liegestühle. Nur wenige Plätze bleiben frei. Klaus-Lothar Peters sitzt bereits am Piano und erfreut das Publikum mit kleinen Improvisationen zur eingespielten Lounge-Musik. Das Wetter könnte kaum besser sein, womit die Zitterpartie über den Tag mit etlichen Schauern beendet ist. Spannende Wolkenformationen bedecken den Himmel, eine leichte Brise strömt über den Platz, aber die Sonne ist da.

Petra Schlieter-Gropp eröffnet den Abend mit einer kurzen Ansprache. Und belässt es erfreulicherweise bei ein paar Superlativen, ehe sie die Bühne den Sängern überlässt. Die vier Opernsänger erklären zunächst das Konzept des bevorstehenden Abends, der die etwas schwerfällige Überschrift Opernabend auf den Spuren der Corona-Zeit bekommen hat. Entwickelt haben das Konzept Eva Marti und Laura Zeiger. Die Idee: Die Spuren, die der Shutdown und die Zeit danach bei den Opernsängern hinterlassen hat, musikalisch nachzuzeichnen. Und so treten die Sänger zunächst in „privater Kleidung“ auf – oder, um es etwas weniger vornehm auszudrücken: Zeiger erscheint in Leggins und Trainingsjacke, Sopranistin Katharina Woesner, die die zwischenzeitlich erkrankte Mezzosopranistin Marti vertritt, im Morgenmantel. Die Herren der Schöpfung belassen es bei Jeans und Hemd. Erst im zweiten Teil, der Befreiung, treten die Damen in angemessener Abendgarderobe auf, dann allerdings auch mit blumenbekränztem Haupt. Man hätte sich hier vielleicht ein bisschen mehr szenische Ausgestaltung gewünscht, aber die Idee war wohl eher, sich auf die musikalische Entwicklung zu konzentrieren.

Und hier ist die Dramaturgie für eine Operngala perfekt. Schon mit der Arie der Lucy aus The Telephone von Gian Carlo Menotti gelingt Laura Zeiger ein überragender Einstieg, der auch Nicht-Opernkenner umhaut. Die Interpretation des alltäglichen Telefonats geht mit den Feinheiten des Operngesangs eine faszinierende Symbiose ein. Und Zeiger gelingt darstellerisch wie sängerisch größte Glaubwürdigkeit. Ein fantastischer Auftakt. Die Sänger haben den Mut, sich nicht auf das eigene Stimmvolumen in dieser akustikfeindlichen Umgebung zu verlassen, sondern singen über Kopfmikrofone. Und so funktioniert es auch bei der nächsten Arie, einem Höhepunkt der Opernliteratur, den Katharina Woesner interpretiert. Es ist das Lied an den Mond, jene berühmte Arie aus Antonín Dvořáks Rusalka, die auch in der Originalsprache beim Publikum wohlige Seufzer hervorlockt. Von nun an reiht sich eine Delikatesse an die nächste. Nach dem Duett Siehst du den Mond über Soho aus der Dreigroschenoper von Kurt Weill, mit dem Zeiger und Tenor Bryan Lopez Gonzalez das Publikum zu den nächsten Bravo-Rufen verleiten, gibt es gleich drei Mozart-Arien. Obwohl bravourös dargeboten – mit Deh, vieni alla finestra, der Arie aus Don Giovanni, glänzt Bariton Laurin Siebert – ist es dann auch schön, dass Siebert die Arie des Harlekin Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen aus Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos einschiebt. Woesner stößt hinzu, um mit Siebert das Duett In jener Zeit aus der Dreigroschenoper zu interpretieren. Auch bei dem Terzett Soave sia il vento, abermals aus einer Mozart-Oper, nämlich Così fan tutte, brillieren Zeiger, Woesner und Siebert; wohlwissend, dass sie nach der ökonomisch notwendigen Pause das Publikum noch einmal besonders anstacheln können.

Laurin Siebert und Bryan Lopez Gonzalez – Foto © O-Ton

In ihrem Rücken steht jetzt kein Professor mehr, der die eine oder andere Phrase korrigiert, den letzten Ton noch geradebiegt. Jetzt müssen die vier Sänger beweisen, dass sie selbst in der Lage sind, das Publikum zu begeistern. Und das gelingt in phänomenaler Weise. Natürlich sind da die „Hits“ hilfreich. Und so ziehen Zeiger und Woesner gleich mit dem Blumenduett aus Lakmé von Léo Delibes die Menschen in ihren Bann. Gern hab ich die Frau’n geküsst schmettert Gonzalez. Vielleicht ist das Frauenverständnis von Franz Lehár in Paganini heute nicht mehr politisch korrekt, aber es klingt gerade in der Interpretation von Gonzalez einfach wundervoll. Eine kleine Stimmungsbremse gibt es zu diesem Zeitpunkt mit dem Duett Au fond du temple saint aus den Perlenfischern von Georges Bizet, das gleichwohl samten von Gonzalez und Siebert vorgetragen wird. Moon-faced, starry-eyed aus Street Scene von Kurt Weill, der damit die amerikanische Volksoper vorantreiben wollte, ist bei Woesner und Siebert in guten Händen, ist es doch ein Stück aus Hochschulzeiten.

Ganz bezaubernd und damit sämtliche Dämme brechend, trägt Zeiger Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht aus Frederick Loewes My Fair Lady vor. Mit Maria aus der West Side Story von Leonard Bernstein verpasst Gonzalez knapp den ganz großen Wurf. Aber vielleicht wird das auch niemandem mehr nach Larry Kert gelingen – oder es fehlt der Herzschmerz der Geigen. Spätestens bei der Zugabe ist alles wieder gut. Im Feuerstrom der Reben – der Champagner-Arie aus der Fledermaus – zeigen die vier Sänger noch einmal ihr ganzes Können. Köstlich perlt da das Rebengewächs; schöner, transparenter, stimmungsvoller hat man es selten erlebt.

Eine große Operngala geht zu Ende. Peters hat am Flügel die richtigen Akzente gesetzt und damit zur Begeisterung beigetragen. Das Publikum feiert die Sänger frenetisch und zu Recht. Die Veranstalter dürfen sich an diesem Abend gegenseitig auf die Schultern klopfen. Die Sänger haben bewiesen, dass sie eine großartige Ausbildung genossen haben und gehen hoffentlich ab September in eine vielversprechende Zukunft. Denn im Heimatsommer ist eine einmalige Aufführung vorgesehen. Wenn es da allerdings noch Flexibilität gibt, liegt nach diesem Abend die Überlegung nahe, sie unbedingt zu wiederholen.

Michael S. Zerban