O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernhard Weis

Aktuelle Aufführungen

Wenn ein Mann die Puppe ersetzt …

DER NUSSKNACKER
(Demis Volpi)

Besuch am
28. Oktober 2021
(Premiere am 23. Oktober 2021)

 

Deutsche Oper am Rhein, Oper Düsseldorf

Der neue Ballettchef des Balletts am Rhein, Demis Volpi, zeigt wesentlich weniger Berührungsängste im Umgang mit zugkräftigen, noch dazu harmlos in Szene gesetzten Handlungsballetten als sein Vorgänger Martin Schläpfer. Tschaikowskys Nussknacker als braves Märchen für die ganze Familie zu kreieren, wäre unter Schläpfer undenkbar gewesen. Das Publikum im mittlerweile wieder voll besetzten Düsseldorfer Opernhaus reagiert überaus dankbar auf den zur Vorweihnachtszeit eigentlich unverzichtbaren Ballett-Hit. Volpi setzt erstaunlicherweise weniger auf die artistisch-virtuosen Fähigkeiten seines Ensembles, sondern betont den epischen Charakter des Stücks. Selbst im Grand Pas de Deux am Schluss verzichtet er auf nennenswerte Hebefiguren und spektakuläre tänzerische Effekte.

Erzählt wird die Geschichte einer gut bürgerlichen Familie, die sich im Ambiente der Villa Hügel auf das Weihnachtsfest vorbereitet. Eine Gründerzeit-Villa, von Katharina Schlipf mit flexiblen Wänden ausgestattet, die auch für manch fantasievolles Kostüm sorgt. Und das alles mit viel Liebe zum Detail, aber so harmlos, dass selbst der unheimliche Onkel Drosselmeier, der Clara den ominösen Nussknacker schenkt, keine dämonische Furcht auslöst. Den Nussknacker, also die hölzerne Puppe, die sich zum lebenden Menschen entwickelt, deutet Volpi als Symbol für die Entwicklung Claras vom Kind zur Frau. Das Spielzeug wird aus der Hand gelegt und durch einen Mann aus Fleisch und Blut ersetzt. Das klingt schlüssig. Nicht zuletzt dank der Idee Volpis, dass die Puppe zum Leben erwacht, nachdem sie eine goldene Nuss Claras geknackt hat.

Foto © Bernhard Weis

Die Einlagen mit den diversen Nationaltänzen überlässt Volpi jungen Nachwuchschoreografen wie Wun Sze Chan, Michael Foster, Neshama Nashman, James Nix, Bahar Gökten und Yeliz Pazar. Die finden kreative Lösungen mit Lichterkränzen, tanzenden Pancakes, Blumengirlanden und verzichten allesamt auf das mittlerweile als rassistisch kritisch beäugte Nationalkolorit der Couplets. Am Ende sitzt die detailliert charakterisierte Großfamilie mit dem fleischgewordenen Nussknacker friedlich an der Festtafel. Das überfordert keinen Besucher ab sechs Jahren.

Das Ensemble des Balletts am Rhein wird durch junge Kräfte des Düsseldorfer Tanzhauses ergänzt und sogar der Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor darf sich über einen Einsatz freuen. Emilia Peredo Aguirre als Clara und Dukin Seo als Drosselmeier erfüllen ihre Aufgaben mit gebotener Professionalität. Orazio Di Bella vollzieht den Wandel von der mechanischen Puppe zum Traumprinzen mit hinreißender Perfektion. Im ausladenden, die Bewegung freilich einschränkenden Kostüm verbreitet Simone Messner als Schneekönigin mehr Charisma als tänzerische Substanz, was ihr nicht anzulasten ist. Und natürlich bietet auch der Rest des Ensembles Tanztheater auf hohem Niveau. Nicht zuletzt Futaba Ishizaki als turbulente Haushilfe.

Marie Jacquot am Pult der Düsseldorfer Sinfoniker führt schwungvoll durch den Abend, geht aber nicht immer sonderlich sensibel mit den vielen klanglichen Raffinessen der Partitur um.

Insgesamt ein schönes und braves Weihnachtsmärchen für die ganze Familie.

Pedro Obiera