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Weißt Du, was Wotan will?

DER TALK ZUM RING – NACHGEFRAGT
(Axel Kober, Dorian Dreher)

Gesehen am
22. April 2020
(Video on demand)

 

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf

Die Deutsche Oper am Rhein hätte gerne in der Vorosterwoche den Ring des Nibelungen aufgeführt, doch er fiel bekanntermaßen der Corona-Pandemie zum Opfer. Um die Entzugserscheinungen bei den Wagnerianern und Freunden der Deutschen Oper am Rhein etwas zu lindern, haben Generalmusikdirektor Axel Kober und Spielleiter Dorian Dreher kurzfristig einen „Digitalen Talk zum Ring“ ins Leben gerufen und an den geplanten Aufführungsabenden eine etwa einstündige Diskussionsrunde zu dem jeweiligen Werk mit zugeschalteten Überraschungsgästen gesendet. Der Anklang und viele Nachfragen zum Werk und zur Düsseldorfer Inszenierung haben Kober und Dreher dann veranlasst, eine fünfte Folge mit dem lapidaren Titel „Nachgefragt“ zu produzieren, die jetzt zehn Tage nach der letzten Folge Götterdämmerung im Stream zu sehen ist. Und auch diese Folge ist sehens- und hörenswert, da aus den vielen eingesandten Fragen neue Diskussionen und Erläuterungen entstanden sind, die einmal eine Vertiefung des Verständnisses für das Gesamtkunstwerk Ring des Nibelungen erbracht und nebenbei wieder köstliche Anekdoten und Blicke hinter die Kulissen gezeigt haben. Unterstützt wurden Kober und Dreher in bekannter Manier diesmal von zwei „Rheintöchtern“, Heidi Elisabeth Meier und Anke Krabbe, beide Sängerinnen der „Woglinde“. Diesmal fiel ihnen alternierend die Rolle der Fragestellerin zu, die sie in sehr charmanter Art und Weise bewältigten. Nebenbei erzählten sie über ihre Erfahrungen während der Proben zum Ring.

Die über ein Dutzend Fragen, die ausgewählt waren, hatten es zum Teil in sich und deckten den musikalischen Bereich der Leitmotive über Chromatik bis hin zu szenischen und inhaltlichen Verständnisfragen ab. So bezog sich direkt die erste Frage an Axel Kober auf die Unterschiede zwischen seinem Ring-Dirigat an der Wiener Staatsoper und an der Deutschen Oper am Rhein, die Kober im Übrigen sehr diplomatisch beantwortete und an beiden Häusern die Vorteile herausstellte. Viele Zuschauer wollten gerne eine Empfehlung für eine Ring-Aufnahme haben, und Dreher stellte seine drei Lieblingseinspielungen vor, zuvorderst den Live-Mitschnitt aus dem Wiedereröffnungsjahr der Bayreuther Festspiele 1955 unter Joseph Keilberth, erst vor wenigen Jahren beim Label Testament erschienen. Alle Empfehlungen sind im Abspann des Videos nachzulesen.

Axel Kober outete sich dabei als großer Anhänger des Bayreuther „Jahrhundert-Rings“ von 1976 in der Inszenierung von Patrice Chereau und unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez.

Eine Frage beschäftigte sich mit dem musikalischen Schluss der Götterdämmerung, wenn der Weltenbrand gelöscht ist und die Musik in das ruhige Schlussthema übergeht. Es gibt Dirigenten, die gehen nahtlos in das Schlussthema über, andere machen da eine längere Pause.  Was wollte Richard Wagner, und wie sieht der GMD diesen Moment? Axel Kober ging auf diese für ihn schon philosophische Frage sehr detailliert ein und erläuterte am Klavier, dass dieser Moment zwar eine Zäsur im Werk darstelle, aber von Wagner in der Partitur eben nicht mit einer Fermate, einer „Kunstpause“, markiert sei. Dreher ergänzte dann, dass es zwei Stellen im Ring gäbe, wo das Stilmittel der Fermate inhaltlich und musikalisch ganz bewusst von Wagner gewählt sei: Einmal in der Walküre im zweiten Aufzug, wenn Wotan seinen langen Monolog hält und dann nach seinem Ausruf „Und eines will ich noch, das Ende!“ innehält, bevor er nach einer längeren Pause fortfährt: „Und für das Ende sorgt Alberich!“ Die zweite prominente Stelle findet sich im Siegfried im dritten Aufzug in der Szene Wanderer – Erda, wenn Wotan in der Gestalt des Wanderers zu Erda ruft: „Weißt Du, was Wotan will?“ und auch hier erst nach einer längeren Pause, die gleichzeitig für die Erkenntnis steht, fortfährt. Beide Stellen sind in der Partitur in den Original-Regieanweisungen von Richard Wagner als „langes Schweigen“ bezeichnet.

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Ein schöner Übergang war die nächste Frage zu vielen Leitmotiven im Ring. Hier konnten auch die beiden Rheintöchter ihre Favoriten benennen. Für Anke Krabbe, die in der Götterdämmerung auch die Partie der Gutrune singt, ist es das „Vergessenheitsmotiv“, wenn Siegfried den von Hagen gereichten Vergessenstrunk zu sich genommen hat. Für Heidi Elisabeth Meier sind es dagegen das „Erlösungs“- und „Entsagungsmotiv“. Interessant auch die Frage, inwieweit Wagners Original-Regieanweisungen, speziell zum Schluss der Götterdämmerung, heute mit moderner Technik und Projektionen zu realisieren wären.

Eine Frage bezog sich auf die Figur des Mime im Siegfried, und dabei fiel der Name Helmut Pampuch. Dreher nahm diese Vorlage auf und erinnerte an den großartigen Mime-Darsteller, der diese seine Lebensrolle in vielen Produktionen gespielt hat. Pampuch, der 2008 viel zu früh gestorben ist, war unglaubliche 32 Jahre Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein. Dreher wusste dazu die Anekdote zu erzählen, wie Pampuch ganz kurzfristig als Mime im Götz-Friedrich-Ring in Berlin eingesprungen war.

Weitere Fragen kreisten um das Thema „Wissen“ im Ring, die sich speziell auf Erda, die Nornen und Brünnhilde bezogen. Aber auch das Thema inzestuöse Liebe zwischen Siegmund und Sieglinde wurde nicht ausgespart. Und so gab es auch für Kenner des Wagnerschen Werkes sicher immer wieder neue Erkenntnisse oder Facetten, über die man sich vielleicht noch gar keine Gedanken gemacht hat. Am Schluss, und das zeugt von einer ganz besonderen Größe, korrigierten Axel Kober und Dorian Dreher noch eine Reihe kleiner Fehler, die ihnen während der vier Sendungen unterlaufen waren. Und auch eine ganz persönliche Note konnte Kober nicht verschweigen, als er sich für seinen etwas verstimmten Flügel entschuldigte und sich aber dafür bei seinem Sohn Lukas für die technische Einrichtung daheim und seine „Regie“ bedankte.

Das alles war tatsächlich mehr Wohnzimmeratmosphäre als Parkett oder Rang. Aber vielleicht ist es ja auch diese gefühlte Nähe und der persönliche Blick hinter die Kulissen, die dieses Format so interessant und auch so lebendig gemacht haben. Es wäre schön, wenn die Deutsche Oper am Rhein dieses Format fortsetzen würde, es gibt noch viele weitere große Werke, über die man sprechen kann, nicht nur bei Wagner.

Andreas H. Hölscher