O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Lanze für die Menschenrechte

MENSCHENRECHTSKONZERT
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
19. März 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Tonhalle Düsseldorf

Täglich gibt es seit dem 24. Februar Sondersendungen und Talk Shows angesichts des Kriegs in der Ukraine und mit den damit verbundenen menschlichen Tragödien. Auch der Blätterwald macht damit auf. So kann schnell ins Hintertreffen geraten, dass auch anderswo auf der Welt das unabdingbare Recht auf freie und allseitige Entfaltung der Persönlichkeit in einem Staatswesen mit den Füßen getreten wird. In der Düsseldorfer Tonhalle ist dem nicht so. Das Menschenrechtskonzert dort konzentriert sich auf eine Persönlichkeit, die am Tag der Veranstaltung genau 1600 Tage in der Türkei hinter Gittern sitzt: Osman Kavala. Denn in diesem Jahr geht der mit 10.000 Euro dotierte Menschenrechtspreis der Tonhalle an ihn. Der Unternehmer, Kunstmäzen und Menschenrechtsaktivist finanziert unter anderem neben Kunst und Kultur Gruppen, die sich Tabuthemen und kritischen Fragen nähern und sich unter anderem mit armenischer Kultur und Geschichte beschäftigen. Kavala sitzt seit Oktober 2017 zunächst wegen des Vorwurfs in Haft, die gegen die Erdoğans Regierung gerichteten Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar 2020 wurde er deswegen freigesprochen und aus der Haft entlassen, aber wenige Stunden später erneut festgenommen. Dieses Mal wirft man ihm eine Beteiligung am Putschversuch von 2016 und „politische Spionage“ vor.

Für Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller sind die Menschenrechte universell. Es ist ihm wichtig, „die Finger auf die Wunde unserer Zeit“ zu legen. Er betont, dass wir Kavala nicht allein lassen dürfen und denkt nun auch an die russischen Aktivisten. Düsseldorfs Principal Conductor Adam Fischer, der im Jahr 2016 den Preis erstmalig verlieh und ihn nun zum siebten Mal übergibt, zitiert eingangs seiner Rede Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ und spinnt den Faden weiter zu Kavala, der eine andere Meinung als die der Türkei hat. Er klärt auf, dass er ohne Urteil im Gefängnis sitzt, der Europarat – dessen Mitglied die Türkei ist – ein Strafverfahren gegen den Staat eingeleitet, der europäische Gerichtshof die Freilassung gefordert hat. „Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, stellt er fest. Spontan gibt es tosenden Beifall, als Fischer die von Christoph Münks geschaffene Skulptur des Menschenrechtspreises stellvertretend für Kavala an Cem Özdemir überreicht. Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Sohn türkischer Einwanderer, aufgewachsen im schwäbischen Bad Urach und verheiratet mit einer aus Argentinien stammenden Journalistin, hätte viel lieber im Auditorium gesessen und Kavalas Dankesrede gelauscht. Nun steht er statt seiner auf der Bühne und nimmt den Preis „mit Demut“ entgegen. Schon lange setzt er sich unter anderem für Verfolgte in de Türkei ein. Er verliest einen Brief Kavalas an ihn. Der schreibt unter anderem „vielen Dank, dass Du ihn für mich entgegennimmst, vielen Dank Symphoniker, vielen Dank Maestro“ und gibt bekannt, das Preisgeld an eine Kultureinrichtung in Istanbul zur Verfügung zu stellen. Auch im Sinne Kavalas weist Özdemir auf das unfassbare Leid und die Zerstörung in der Ukraine hin und dass alles Menschenmögliche für das Bestehen des Landes getan werden muss. Er ist sich sicher, dass Freiheit und Demokratie siegen werden.

Cem Özdemir und Adam Fischer – Foto © Susanne Diesner

Auch musikalisch wird das Streben nach Menschlichkeit beschworen, nämlich mit Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie in d-Moll, op. 125. Bis heute ist die am 7. Mai 1824 im Wiener Kärntnertor-Theater uraufgeführte Tondichtung eine humanistische Botschaft von der Brüderlichkeit aller Menschen, die im Kampf um Frieden und Glück allgemeine Freude erringen. Fischer legt Wert auf ein schlankes und durchsichtiges Klangbild. Orchestraler Pomp ist ihm fremd. Und das ist gut so. Denn dank dieser Haltung werden sämtliche kompositorischen Finessen, Phrasierungen oder Artikulationen mustergültig zum Ausdruck gebracht. Unter seinem vorausschauenden, umsichtigen wie auch emotionalen Dirigat gelingt den Düsseldorfer Symphonikern eine vortreffliche Umsetzung seiner Vorstellungen. Hier spricht ein mit sich selbst ringender Beethoven, der in seinen letzten Jahren neben seiner vollkommenen Taubheit einiges mitmachen musste: derb, rau, mit sich selbst ringend, doch nie aufgebend – und schließlich hoffnungsvoll positiv nach vorne blickend. Nichts wird schöngefärbt. Diese Ehrlichkeit offenbart natürlich auch kleine Schwächen, gerade wenn das Auditorium voll besetzt und dementsprechend die Akustik im Saal recht trocken ist: Auch jeder kleine Fehler beziehungsweise jede kleine Ungenauigkeit kommt unüberhörbar im Saal an. Es gibt ein paar im Laufe der rund 70 Minuten. Berücksichtigt man aber die packenden großen musikalischen Spannungsbögen, den großen Atem, die Arbeit selbst an den kleinsten musikalischen Details, sind solche Ungenauigkeiten nebensächlich. Im krönenden Finalsatz, bekannt als die Ode an die Freude gesellen sich von der rechten Empore seitlich über der Bühne die vier Gesangssolisten hinzu. Ist der Bass-Bariton von Miklós Sebestyén ein wenig blass, verfügt der Sopran von Marisol Montalvo über eine gute Portion an Vibrato, beeindrucken Mezzosopranistin Sarah Ferede und Tenor Uwe Stickert mit tragfähigen, ausgewogenen Stimmen. Und hinter dem Orchester sorgt der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf, den Dennis Hansel-Dinar exzellent einstudiert hat, für gehaltvolle Gesänge.

Frenetischer Beifall bricht aus, bevor der letzte Ton noch nicht ganz verklungen ist, der in stehende Ovationen mündet. Erst als sich die Symphoniker nach etlichen „Vorhängen“ auf der Bühne verbschieden, ebben sie ab.

Hartmut Sassenhausen