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MADAME CHANTE PIAF
(Noémi Schröder, Klaus Klaas)
Besuch am
29. September 2023
(Einmalige Aufführung)
Jeder erfährt im Leben so seine ganz persönlichen Katastrophen. Einer der größten Schreckmomente im Leben eines Stimmakrobaten ist sicher der Morgen, an dem er aufwacht und feststellt, dass die Stimme versagt. Dabei ist vollkommen unwesentlich, ob es sich um eine Erkältung, eine Kehlkopfentzündung oder Schlimmeres handelt. Die Angst davor, dass die Stimme nicht wiederkehren könnte, überdeckt in diesem Moment jeden rationalen Gedanken. Egal, ob Schauspieler, Sänger oder Sprecher, vor der Panik der ersten Sekunden ist keiner gefeit. Schließlich wird dir schlagartig klar, dass dein Berufsleben soeben zu Ende gegangen sein könnte. Diese Erfahrung wünschst du deinem ärgsten Feinde nicht. Noémi Schröder hat’s gerade erlebt. Wie aus dem Nichts ist die Stimme abgeschnitten, einen Tag vor dem nächsten Auftritt. Sänger haben da so ihre Mittel, die Stimme wieder aufzupeppen. Je höher dotiert, desto rabiater der Medikamenteneinsatz, könnte man vielleicht als Regel formulieren. Von Kamillentee ist da schon bald nicht mehr die Rede. Nun, in den Einkommensklassen berühmter Opernsänger spielt Schröder nicht mit, aber die Angst, die bleibt, ist bei allen gleich. Wird die Stimme beim nächsten Einsatz halten? Der liegt bekanntlich in solchen Fällen immer viel zu nah, um mindestens einen Infekt auskurieren zu können. Und es gibt mit Sicherheit bedeutend schönere Anlässe, seinen Namen in den Boulevardzeitungen zu lesen, als ein abgebrochener Auftritt, weil die Stimme versagt. Also greift Schröder, als sie wenigstens wieder in der Lage zu telefonieren ist, zum Hörer, um den Auftritt im Kabarett Flin abzusagen. Teresa Stößel, die mit ihrem Mann die Kulturgaststätte am Staufenplatz in Düsseldorf betreibt, ist selbst studierte Musicaldarstellerin und hat noch heute regelmäßig Auftritte als Sängerin. Es gelingt ihr, Freundin Noémi zu beruhigen und zu ermutigen, es zumindest zu versuchen. Selbstverständlich mit Ansage.
Foto © O-Ton
Und die Ansage kommt. Im Kabarett Flin, einen Abend später. Da ist das Haus nahezu voll, das Licht vom technischen Leiter Martin Jansen so eingerichtet, dass man sich wie in einer Nachtbar fühlt. Viel rotes Licht, auf den Tischen und in den dunklen Ecken hellen künstliche Kerzen ein wenig auf. Schwere, rote Vorhänge vor den Fenstern unterstreichen den Eindruck eines „Etablissements“ noch. Hier steht Stößel im Rampenlicht und berichtet, dass der Ausfall des Abends noch so eben mit vereinten Kräften verhindert werden konnte. Da applaudiert das Publikum noch. Als Pianist Klaus Klaas kurz darauf die Bühne betritt, brandet kein Beifall auf. Oha.
Noémi Schröder ist in einem frankophilen Haushalt aufgewachsen. Die Geschichte ist auf ihrer Netzseite nachzulesen. Mutter Französin, Vater Französischlehrer. Da wurden die Freunde zu Chanson-Abenden eingeladen. Und während die Erwachsenen sangen, hockten die Kinder auf dem obersten Treppenabsatz, weil sie ja eigentlich längst ins Bett gehörten, und hörten den französischen Klängen zu. Dass diese Erfahrung Noémis Leben prägen sollte, kam zu diesem Zeitpunkt keinem in den Sinn. Nach dem Abitur entschied sie sich für ein Gesangsstudium an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Aber noch während sie die Ausbildung zur Opernsängerin erfolgreich zu Ende brachte, wurde ihr klar, dass sie ihr Leben nicht auf der Opernbühne verbringen wollte. Sie verschrieb sich dem Chanson in all seinen Lesarten und Weiterentwicklungen. Man könnte auch sagen, sie wählte den steinigsten aller denkbaren Wege. Französisch gehört in Deutschland nicht zu den Sprachen, die das Publikum magisch vor die Bühne ziehen. Da können im Grunde nur große Namen helfen. Und so entwickelten Schröder und Klaas als Duo Savoir Vivre unter anderem einen Theaterabend rund um Édith Piaf. La môme piaf, den kleinen Spatzen, zu imitieren, kann man bei einem solchen Programm getrost vergessen, man wird scheitern. Das sieht auch Schröder so.
Also tritt nicht Piaf auf, sondern die Concierge des Theaters, die eigentlich das Publikum schon längst aufgefordert hatte zu gehen, weil die Piaf an diesem Abend nicht auftreten wird. Nun zuckt sie zurück, als sie entdeckt, dass das Publikum ihrer Aufforderung nicht gefolgt ist. „Gehen Sie endlich nach Hause! Gehen Sie!“ An solchen Stellen hat man als Künstler meist die Lacher auf seiner Seite. Hier herrscht Schweigen. Da hat Schröder einen schweren Brocken zu knacken. Sie lässt sich nichts anmerken, fährt unbeirrt im Programm fort. Entdeckt den „übriggebliebenen“ Pianisten, fordert ihn auf, doch mal was Eigenes zu spielen. Währenddessen legt sie Rock und Hut ab. Wenn die Besucher partout sitzenbleiben, kann sie sie ja auch ein bisschen unterhalten. Dazu braucht es schließlich keine Piaf.
Foto © O-Ton
Die Tragik des Lebens von Édith Piaf aufzuzeichnen: Dafür eignet sich ein unterhaltsamer Chanson-Abend nicht. Das haben Pam Gems in Wien und Juliane Kann in Düsseldorf mehr oder weniger erfolgreich in großen Theaterstücken versucht. Schröder kapriziert sich auf die unglücklichen Lieben der kleinen Frau, die die Welt verzückte. Sie erzählt hübsche bis tragische Anekdoten, wenn sie nicht gerade die Chansons auf Deutsch rezitiert, ehe sie sie erklingen lässt. Das beginnt mit der Liebeserklärung an Paris, geht weiter mit T’es beau und Mon amant. Ergänzend zur Klavierbegleitung von Klaas greift Schröder selbst zur elektrisch verstärkten Melodika. Später wird sich Schröder ausdrücklich bei Jansen bedanken, dem es gelingt, Klavier, Melodika und Gesangsmikrofon perfekt auszutarieren. „Wenn der mich in seine Arme genommen hat, das war wie ein Schraubstock – aber angenehm“, zitiert die Sängerin Piaf, meint damit aber natürlich einen der Liebhaber Piafs und nicht den Tontechniker. Wunderbar. Das Publikum schweigt. Schröder spielt und singt weiter gegen die Mauer an. Mit La vie, l’amour, Hymne à l’amour, Mon Dieu und Sous le ciel erreicht sie schließlich die Pause. Und: Die Stimme hält.
Zu diesem Zeitpunkt kann das Duo auf der Bühne gelassen bleiben, denn die Weltschlager sind für die zweite Hälfte vorgesehen. Und gleich an zweiter Stelle kann die Sängerin das Publikum mit Milord aus der Reserve locken. Spätestens mit L’accordeoniste gibt es dann auch schon mal Gänsehaut. Und endlich bei La vie en rose, dem ersten selbstgeschriebenen Chanson der Piaf, hat auch der letzte vergessen, dass er sich in Düsseldorf und nicht in irgendeinem Nachtlokal in Paris befindet. Was man bei Je ne regrette rien an Ausdruck vermisst, macht Schröder mit Padam padam überzeugend wett. Mit Jezebel zeigt die Sängerin, die zuvor ausgezeichnet die Klanghöhen gemeistert hat, wie hervorragend sie auch das Register der Altistin beherrscht. Haben Klaas und Schröder mit Ende des offiziellen Programms bereits das letzte Herz im Auditorium erreicht, sorgen sie mit Les feuilles mortes für den Abschluss eines Abends, der selbst den Hartgesottensten nicht kalt lässt.
Um Noémi Schröder an selber Stelle erneut zu erleben, muss man sich bis zum 22. Dezember gedulden. Dann gibt es im Kabarett Flin Weihnachtslieder zum Mitsingen.
Michael S. Zerban