O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Gott ist Liebe

LOVE ENDURETH
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. September 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf-Festival, Johanneskirche, Düsseldorf

Manchmal scheint es doch so, als liege Deutschland in einem tiefen Dornröschenschlaf. Das betrifft insbesondere die Kultur. Aus England stammt das A-Cappella-Ensemble Voces8, das sich 2005 aus Choristen der Westminster Abbey in London gründete. Mittlerweile ist es auf den Bühnen der Welt zuhause, der Tourkalender ist beeindruckend. Ein deutsches Ensemble, vielleicht gibt es Ausnahmen, wäre mit einer solchen Entwicklung zufrieden. Voces8 unterhält mittlerweile eine Stiftung, bietet Weiterbildungsmöglichkeiten im Internet zum Beispiel via Videos, die im eigenen Aufnahmestudio produziert werden, vergibt Chorstipendien, ist nicht nur bei einem Plattenlabel unter Vertrag, sondern betreibt auch gleich noch ein eigenes. Um nur einen Ausschnitt der Ensemble-Aktivitäten zu benennen. Eines sucht man allerdings vergeblich: Staatliche Unterstützung.

Zum wiederholten Mal hat das Düsseldorf-Festival das Ensemble in die Johanneskirche nach Düsseldorf eingeladen. Längst hat sich die musikalische Qualität beim Düsseldorfer Publikum herumgesprochen, und so ist die Johanneskirche an diesem Abend mit 800 Besuchern bis auf den nahezu letzten Platz besetzt. Angekündigt hat das Düsseldorf-Festival das Ensemble damit, dass es „tatsächlich die ganze Breite des Repertoires von der frühen Polyphonie bis hin zu fetzigen Jazz- und Pop-Arrangements beherrscht“. Das klingt nach einem abwechslungs- und kontrastreichen Abend, vor allem, wenn der Titel des Programms Love Endureth lautet, was man auf Deutsch mit Liebe ist beständig übersetzen kann.

Barnaby Smith – Foto © O-Ton

Von der Erwartungshaltung kann man sich ganz schnell verabschieden. So viel Amen und Ave Maria wie an diesem Abend bekommt man selten zu hören. Und nach der Eröffnung mit Orlando Gibbins‘ O Clap Your Hands wird zügig klar, um was es eigentlich geht. Das Ensemble stellt zwei Komponisten aus unterschiedlichen Zeitaltern mit demselben Text vor. So erklingt also das Ave Maria zunächst von Giovanni Pierluigi da Palestrina und anschließend von Igor Stravinsky. Oder anschließend Bogoroditse Devo von Sergej Rachmaninoff und von Arvo Pärt. Das Licht wechselt von Zeit zu Zeit flächig die pastellfarbenen Töne. Das unterstreicht den distinguierten Auftritt der Sänger. Um im A-Cappella-Schöngesang Unterschiede zu erkennen, muss man schon hochkonzentriert sein und die Ohren weit aufsperren. Zwischendurch gibt es englischsprachige Moderationen. Den Anfang macht Altus Barnaby Smith, der auch künstlerischer Leiter des Ensembles ist. Gesanglich behalten die hohen Tonlagen die Oberhand. Bariton Christopher Moore und Bass Dominic Carver bieten das Fundament, auf dem sich auf der männlichen Seite die beiden Tenöre Blake Morgan und Euan Williams und auf der weiblichen Seite die Soprane Andrea Haines und Molly Noon mit Unterstützung der Altistin Katie Jeffries-Harris ergehen dürfen. Daraus ergibt sich, wie es eine Besucherin ausdrückt, „Balsam für die Seele“. Das ändert sich auch bei O Lord, make thy servant Elizabeth our Queen von William Byrd und As Vesta was from Latmos hill descending von Thomas Weelkes nicht, beides Komponisten aus dem 16. Jahrhundert.

Der Gegenwart deutlich näher, nämlich ins 20. Jahrhundert, kommt Benjamin Britten, von dem das Ensemble sechs Chortänze vorträgt. Die Arrangements sind auch hier vortrefflich, werden durch Platzwechsel der im Halbkreis hinter Notenständern im Altarraum aufgestellten Sänger immer wieder in Nuancen unterschiedlich betont. Nach der Pause leitet Regina Caeli von Thomas Luis de Victoria über zum nächsten Liedpaar. Von Edvard Grieg und Philip Stopford wird das Ave maris stella vorgetragen. Mit dem mittelalterlichen O nata lux von Thomas Tallis und dem Nachtgebet des lebenden Komponisten Alec Roth wird abermals ein Gegensatzpaar präsentiert, ehe ein letztes Mal der gleiche Text, nämlich Ubi Caritas, von Maurice Duruflé und Ola Gjello gesungen wird. Damit ist dann die Konzentrationsfähigkeit des Hörers auch endgültig erschöpft. Da ist es gut, dass Voces8 zum Finale noch mit dem fulminanten Chorstück Love Endureth von Roxanne Panufnik auftrumpfen.

Andrea Haines – Foto © O-Ton

Das Publikum erhebt sich von den Plätzen, um sich mit langem Applaus für einen wunderbaren Abend zu bedanken. Die Begeisterung kann dann noch einmal mit der Zugabe gesteigert werden. Aus Felix Mendelssohn Bartoldys Elias trägt das Ensemble auswendig Denn er hat seinen Engeln befohlen vor. Für viele der Besucher eine wahre Offenbarung. Damit geht ein echter Glanzpunkt des Düsseldorf-Festivals zu Ende. Aber „selbstverständlich“ gibt es für das Publikum noch die Möglichkeit, mit den Ensemble-Mitgliedern am Verkaufsstand im Foyer ins Gespräch zu kommen.

Trotz zehnminütiger Verspätung zu Beginn gefällt die gute Organisation des Abends. Angefangen bei der raschen Kartenausgabe geht es ohne jede Störung bei der Einlasskontrolle weiter zu hervorragend ausgeschilderten Plätzen – auch wenn viele Besucher im Mittelschiff überraschend viele Schwierigkeiten mit rechts und links haben – und die Einrichtung einer zusätzlichen Bar im Außenbereich, die Nachreichung von Programmen und ausreichend viele Ansprechpartner sorgen für einen reibungslosen Ablauf, den man bei ähnlichen Veranstaltungen bei solch hoher Besucherzahl schon ganz anders erlebt hat. Kompliment also ausdrücklich dem Organisationsteam.

Das Ensemble tourt derweil weiter durch Deutschland. Wer die außergewöhnliche Musik erleben will, hat dazu bis Ende September an unterschiedlichen Orten Gelegenheit – Bad Salzungen, Celle, Hamburg, Frankfurt und Lappersdorf bei Regensburg stehen auf dem Programm.

Michael S. Zerban