O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nana Franck

Aktuelle Aufführungen

Gar nicht witzig

LET IT BURN
(Marcela Levi, Lucia Rosso)

Besuch am
6. Juli 2022
(Premiere)

 

Asphalt-Festival, Alte Farbwerke, Düsseldorf

Eigentlich können „wir Deutschen“ ganz zufrieden sein, wenn man sich die gesellschaftliche Entwicklung der letzten fünf Jahrzehnte anschaut. Wir haben Schritt für Schritt Vorurteile abgebaut, haben gelernt, dass an den Klingelschildern im Haus nicht nur Müller, Schmidt oder Schneider steht, sondern unsere Nachbarn irgendwann mal aus allen möglichen anderen Nationen kamen. Wir haben gelernt, uns für andere Kulturen zu öffnen und Ängste gegenüber anderen Hautfarben abzubauen. Noch nie gab es so viel Menschen mit dunkler Hautfarbe in der Bundesrepublik Deutschland wie heute. Sehr viele deutsche Bürger haben sich 2015 gegen die – oftmals mediengeschürte – Ausländerfeindlichkeit zur Wehr gesetzt und mit hohem persönlichem Einsatz dafür gesorgt, dass Flüchtlinge in Deutschland eine neue Heimat fanden. Hier soll überhaupt nichts beschönigt werden, und bis heute gibt es noch viele Dinge zu lösen – im gesellschaftlichen Diskurs. Dazu können selbsternannte Minderheitenaktivisten null und gar nichts beitragen. Sie versuchen, auf dem Rücken vieler anderer Menschen ihre Interessen durchzusetzen und schrecken dabei nicht davor zurück, die Sprache zu vergewaltigen, die Gesellschaft in Lager zu spalten. In den öffentlich-rechtlichen Medien finden sie dabei gewaltige Unterstützer, die sich, ohne mit der Wimper zu zucken, über gesellschaftliche Regeln und ihre Aufträge hinwegsetzen. Es ist natürlich richtig, für die Beseitigung von Ungerechtigkeiten einzutreten, die Minderheiten betreffen. Aber wenn darüber Mehrheitsthemen in den Hintergrund gedrängt werden, ist das entweder Strategie oder Dummheit.

Da wird „den Deutschen“ ein Antirassismus eingeredet, der – das ist eine Behauptung – die meisten Bürger nur noch den Kopf schütteln lässt. Plötzlich ist die Frage an den dunkelhäutigen Mitmenschen, wo er denn herkomme, eine rassistische Diskriminierung. Früher galt das als Neugier und Interesse am Mitmenschen. Es ist nur ein Beispiel von vielen, das funktionierende Werte verdreht, die Menschen verunsichert und verstummen lässt. Das geht auch in der Kultur. Das Asphalt-Festival tritt den Beweis dafür an und lädt eine Produktion ein, die in ihrer Schamlosigkeit, Selbstgerechtigkeit und Fehladressierung kaum zu überbieten ist.

Foto © Nana Franck

Die Alten Farbwerke an der Ronsdorfer Straße im Düsseldorfer Stadtteil Lierenfeld sind eine Spielstätte des Asphalt-Festivals. Hier hat die Bürgerbühne einen Probenraum, der während des Festivals gern für Tanzaufführungen beansprucht wird. Zahlreiche Menschen haben sich vom Titel des Tanzsolos Let it burn anlocken lassen. Dass hier heute Abend so gar nichts in Flammen aufgehen wird, wissen die Besucher noch nicht, aber dass sie eine satte Viertelstunde auf den Beginn der Veranstaltung warten müssen, sorgt schon für Unverständnis. Und dass die Festivalleitung es nicht einmal für nötig hält, sich für eine solche Verspätung zu entschuldigen, hebt die Stimmung auch nicht. Zusätzlich wird der Einlass erschwert durch eine dunkelhäutige Tänzerin in roséfarbener Bikini-Hose mit schwarzem T-Shirt, auf dessen Rücken eine grüne, gezackte Stoffleiste angebracht ist. Sie tanzt wild zuckend in dem schmalen Durchgang, rollt dabei mit den Augen. Sei’s drum. Aus der Vorankündigung wissen die Zuschauer, dass die Choreografinnen Marcela Levi und Lucia Rosso das Publikum „mit historischen und aktuellen Klischees über den schwarzen Körper“ konfrontieren wollen. Dass sie einfachste handwerkliche Dinge nicht beherrschen, kann zu diesem Zeitpunkt keiner ahnen. Raumaufteilung ist im Tanz kein Hexenwerk, sondern gehört zu den Grundaufgaben des Choreografen. Tamires Costa hingegen setzt ihre Zuckungen in den nächsten zehn Minuten in der linken vorderen Ecke fort. Burlesque ist hier entgegen der Vorankündigung weit und breit nicht zu entdecken – nicht einmal die Parodie davon. Wenn sich die Tänzerin ein Glas Wasser ins Gesicht schüttet, könnte daraus etwas erwachsen. Was die Choreografinnen daraus machen, möchte man nicht sehen. In den kommenden zehn Minuten beschäftigt sich die Tänzerin allen Ernstes damit, Speichel hochzuwürgen und auszuspucken. Das provoziert nicht, sondern lässt allenfalls Kopfschütteln zu. Auch die Handreichungen an einzelne Zuschauerinnen, verbunden mit blödsinnigem Grinsen, sorgen in erster Linie dafür, dass die Tänzerin aus dem Blickfeld der Mehrheit des Publikums entschwindet. Was Costa zeigt, erinnert entfernt an amerikanische Schwarzweißfilme, in denen Bühnensituationen mit Schwarzen gezeigt wurden, die damals schon als Persiflage gemeint waren und heute jeden Bezugs entbehren. Nicht einmal mehr lachen kann man darüber. Weil es weit von jeder Wirklichkeit entfernt ist. Schließlich darf man sich noch den Bimbo mit geweißten Zähnen anschauen, was sonst soll dieser Auftritt bedeuten, ehe die längsten 35 Minuten der Welt endlich zu Ende gehen.

Levi und Russo haben der gesellschaftlichen Diskussion einen Bärendienst erwiesen, indem sie etwas konstruiert haben, an dem sich möglicherweise Aktivisten erfreuen können, der Rest der Gesellschaft aber überhaupt nicht weiß, was er damit anfangen soll. Dabei trifft die Schuld am Fehlgriff sicher nicht die Tänzerin, die unter vollem Körpereinsatz Anforderungen erfüllt, die das Publikum nicht verstehen muss. Und so bleibt es beim freundlichen Applaus für das Engagement der Tänzerin, die man mindestens schwarz anmalen müsste, damit sie in der heutigen deutschen Gesellschaft überhaupt auffiele.

Michael S. Zerban