O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

„Bücher kann man nicht verbrennen“

LESESTOFF, ZÜNDSTOFF, BRENNSTOFF
(Diverse Autoren)

Besuch am
11. April 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Rotunde in der Tonhalle, Düsseldorf

Mit diesem denkwürdigen Satz schloss Erich Kästner seinen Augenzeugenbericht, den er veröffentlichte, nachdem er am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz miterleben musste, wie von ihm verfasste Bücher in die Flammen eines Scheiterhaufens geworfen wurden. Es war der „offizielle“ Beginn einer „Aktion wider den undeutschen Geist“, die von der Deutschen Studentenschaft initiiert wurde, einem seit 1919 bestehenden Dachverband der studentischen Selbstverwaltung. Ehrengast des symbolischen Aktes war NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Der Aktion, die zeitgleich in etwa 20 anderen Universitätsstädten vollzogen wurde, begann bereits am 12. April mit der Veröffentlichung von „zwölf Thesen“. Einen Tag zuvor hatte es bereits eine Bücherverbrennung gegeben. Angehörige der NSDAP-Organisation Hitler-Jugend, der Jugendorganisation des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes und evangelische Jugendbünde verbrannten vor dem Düsseldorfer Planetarium, das ist heute die Tonhalle, Bücher unter anderem von Lion Feuchtwanger, Erich Maria Remarque und – ideologisch eigentlich nicht gewollt – Heinrich Heine unter Absingen des Horst-Wessel-Liedes. „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, auf einer Gedenktafel neben dem Haupteingang des heutigen Konzertsaals ist das berühmte Zitat von Heinrich Heine nachzulesen, das sich alsbald bewahrheiten sollte.

Stefan Keller – Foto © O-Ton

Um an diesen Tag zu erinnern, hat die Bezirksvertretung 1, vertreten durch die zweite stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Annette Klinke, Grüne, gemeinsam mit dem Literaturbüro NRW und der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf eine Lesung unter dem Titel Lesestoff, Zündstoff, Brennstoff organisiert. Dazu laden die Veranstalter bereits um 17 Uhr in die Rotunde, das ist so etwas wie das Foyer der Tonhalle. „Vertreter von Stadt und Land“ sollen aus „verbrannten Büchern“ vorlesen, um dann wohl doch nicht an die Bücherverbrennung, sondern „an die unter dem Nationalsozialismus diffamierten Autoren und ihre Werke“ zu erinnern. An was oder wen soll denn nun eigentlich „erinnert“ werden? Kästner, Heine, Remarque, Feuchtwanger, Keun oder all die anderen Schriftsteller, deren Namen sich längst fest in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben? Oder an die Bücherverbrennung? An die braucht man nicht zu erinnern, denn das war nicht mehr als ein für die Nationalsozialisten typisches Spektakel, das der Durchsetzung der Ideologie diente. In Düsseldorf war es womöglich nicht mal mehr als ein Dummer-Jungen-Streich ideologisch aufgeheizter Heranwachsender, dem mit einer solchen Veranstaltung so viel Beachtung geschenkt wird, wie sie sich die Nationalsozialisten wünschten.

Wichtig wäre, das in Erinnerung zu rufen, was 1933 hinter den Kulissen lief. Es waren zu diesem Zeitpunkt die Deutsche Stundentenschaft und ihre willfährigen Helfer, die in ideologischer Verwirrung die Bibliotheken von „undeutschem Schrifttum“ säubern wollten. Es ging also um nicht mehr oder weniger, als deutsche Sprache und Gedanken und damit das Volk im NS-ideologischen Sinne zu beeinflussen. Damit wird auch das Paradoxon des Nachmittags deutlich. Während Frederike Krenz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Mahn- und Gedenkstätte, mit Automatenstimme einen Vortrag über Bücherverbrennungen hält, nutzt sie die Gelegenheit, ihre Gender-Ideologie an das überwiegend ältere Publikum zu vermitteln. Auch die Begrüßung der „Lesenden“ durch Klinke ist nichts anderes, denn „Lesende“ gibt es in dem Moment überhaupt nicht. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, hier den Wolf im Schafspelz zu erleben, der über Äußerlichkeiten spricht, um vom Kern des Themas abzulenken.

Mona Neubaur – Foto © O-Ton

Und dazu hat man einiges unternommen. Denn nicht nur Vorleser der Regierungsinstitutionen Stadt und Land sind gekommen. Stattdessen haben die Veranstalter sich um Proporz bemüht. Nicht der Erste Bürger, wie ihn Michael Serrer, Leiter des Literaturbüros NRW begrüßt, sondern der Oberbürgermeister Stefan Keller ist gekommen, um den Augenzeugenbericht von Kästner vorzutragen. Katharina Schunck, Bildungsreferentin beim Jugendring Düsseldorf, liest aus Im Westen nichts Neues und bildet damit offenbar die Jugend ab, die hier nicht vertreten ist. Als jüdischer Vertreter ist Herbert Rubinstein eingeladen, der einen eher befremdlichen Ausschnitt aus Jakob Wassermanns Mein Weg als Deutscher und Jude vorliest. An den Roman Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun braucht wirklich niemand zu erinnern. Aber der Vortrag von Mona Neubaur, Stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, ist sehr gelungen. Es ist müßig, hier nun alle Vorleser zu nennen – den Schwulen, die Muslima, den SPD-Abgeordneten oder eine weitere Vertreterin der Grünen – die allesamt aus bekannten Werken noch bekannterer Autoren vortragen. Allenfalls Pater Christoph Bergmann sorgt mit seiner Wahl Die Sünder der Hölle aus der Hauspostille Bertolt Brechts für Erheiterung. Dass es auch diesmal mit dem Proporz nicht klappt, ist selbstverständlich. Der Bäcker, die Putzfrau und der Fabrikarbeiter haben hier augenscheinlich nichts verloren.

Es läuft, wie es laufen soll. Ein netter Nachmittag geht nach anderthalb Stunden mit einem Schlusswort von Keller zu Ende, der allgemeine Zustimmung erntet, wenn er auf die Notwendigkeit solcher Erinnerungstage für die Zukunft verweist. Von den ideologischen Hintergründen bis zum Schluss kein Wort, die Zukunft, sprich: die Jugend, ist nicht vertreten. Diskussionsbedarf gibt es nach dem ergötzlichen Literaturnachmittag nicht. Dann ist ja alles gutgegangen. Es wird in den nächsten Wochen noch viele solcher „Erinnerungsveranstaltungen“ in Deutschland geben. Da ist dann vielleicht auch eine dabei, die einen Vergleich zwischen den Sprachideologien gestern und heute thematisiert. Denn das wäre wichtig, um Spaltungsversuchen der Gesellschaft im Hier und Heute zu begegnen. Am Ende des heutigen Tages bleibt immerhin eine Erkenntnis, die seit 1933 nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. „Bücher kann man nicht verbrennen“.

Michael S. Zerban