Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LAUDES ORGANI
(Diverse Komponisten)
Besuch am
2. November 2022
(Einmalige Aufführung)
Seit diesem Jahr verfügt das Internationale Düsseldorfer Orgelfestival über einen eigenen Chor. Geleitet wird er von Constanze Pitz. Sie studierte zunächst in Detmold Schulmusik und Chordirigieren, ehe sie an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf ihren Master im Chordirigieren erwarb. Ihr liegt besonders die zeitgenössische Chorliteratur am Herzen. Heute Abend präsentiert sie den Festivalchor in der Auferstehungskirche im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel mit einem Schwerpunkt auf französischsprachiger Musik. Kombiniert wird der Auftritt mit Klavier- und Orgelstücken.
Den Anfang macht der aus 16 Frauen und neun Männern bestehende Chor mit den sechs französischen Liedern von Paul Hindemith aus dem Jahr 1939. Auf der Grundlage der naturverbundenen Gedichte aus dem Zyklus Obstgarten von Rainer Maria Rilke hat Hindemith zarte, klangsensible Chorgesänge geschaffen: Das Reh, ein Schwan, da alles doch verfliegt, Frühling, im Winter und Obstgarten lauten die selbsterklärenden Titel, die im Französischen durchaus poetischer klingen. Wer sich für die Texte und Übersetzungen interessiert, findet sie hier aufgelistet. Ein eleganter Auftakt, den der Chor a cappella darbietet.
Wolfgang Baumgratz – Foto © O-Ton
Um dann allerdings auch gleich wieder seinen Platz zu räumen. Denn es folgt, wie es in evangelischen Kirchen bei Aufführungen Pflicht zu sein scheint, der Bach-Teil. Frederike Möller, Festivalleiterin und Pianistin, eröffnet mit einem Präludium am Stutzflügel, wird dann abgelöst vom Organisten Wolfgang Baumgratz, dem Künstlerischen Leiter des Festivals, der die Fuge in E-Dur über das Thema der Bach-Fuge von Clara Schumann präsentiert. Was fast schon ein wenig nach Parodie klingt, lässt sich auch wiederholen. Möller spielt die Fuge in g-moll BWV 885,2 von Johann Sebastian Bach. Baumgratz legt mit Schumanns Fuge in g-moll über das Thema der Bach-Fuge nach. Hier hätten möglicherweise ein, zwei schöne Werke von Gabriel Fauré oder einem anderen französischen Komponisten besser in den Rahmen des Programms gepasst. Aber bitte schön.
Der Chor nimmt Aufstellung, um die kleine Kammerkantate Un soir de neige – ein verschneiter Abend – aus dem Jahr 1944 in vier Liedern zu singen. Francis Poulenc bat den Dichter Paul Éluard um die Verse. „Diese Kantate wirkt durch das intensive Gefühl, das die vier Teile erwecken, und durch die Perfektion ihres Chorsatzes – ein Werk von Gewicht und einer verinnerlichten Lyrik“, befand der Musikkritiker Henri Hell über dieses Stück, das Pitz den Gefängnisinsassen dieser Welt widmet. Sie zeigt sich besonders beeindruckt von den Zeilen des letzten Abschnitts. „Die Nacht, die Kälte, die Einsamkeit – sie sperrten mich sorgfältig ein, aber die Zweige suchten sich ihren Weg im Gefängnis“, heißt es in La nuit le froid la solitude. Ein Stück Hoffnung? Der wunderbare Gesang des neuen Chors jedenfalls stimmt darauf ein.
Frederike Möller – Foto © O-Ton
Und wie schön sich das folgende Stück anschließt. Dabei kann sich der Laie nicht mal vorstellen, dass Klavier und Orgel ein derart großartiges Werk gemeinsam wiedergeben können. Präludium, Fuge und Variation in h-moll op. 18 von César Franck gibt beiden Instrumenten gleich viel Raum, um das Publikum zu betören. Es ist sicher der Höhepunkt des Abends. Wolfgang Baumgratz lässt es sich nicht nehmen, das Stück seines Lehrers Albert de Kierk Variationen über die Sequenz „Laudes Organi“, ein dreisätziges Werk, das sehr nach neuer Orgelmusik der 1980-er Jahre klingt, dem eigentlich titelgebenden Werk des Abends voranzustellen.
Laudes Organi – das Lob der Orgel – entstand 1966 als letztes vollendetes Werk des ungarischen Komponisten, Musikpädagogen und -ethnologen Zoltán Kodály, einem Freund Béla Bartóks, der sich wie dieser der Erforschung und der Sammlung von Volksliedern widmete. Im Lob der Orgel greift Kodály auf einen Text aus dem 12. Jahrhundert zurück, einen Hymnus auf das „ideale Instrument für moderne Künstler“. Ungewöhnlich, dass hier nur ein Nebensatz am Ende Gott preist und stattdessen um das ewige Leben von Guido d’Arezzo, einer „Schlüsselfigur der abendländischen Musikgeschichte“ bittet. Aber nur allzu verständlich, dass Kodály den Text als Spiegelung seines musikpädagogischen Schaffens verstand.
Wie auch in den vorangegangenen Vokalwerken zeigt sich der Festivalchor hier von seiner besten Seite, sowohl was den melodiösen Klang als auch die Ausgeglichenheit angeht. Da darf in Zukunft noch einiges erwartet werden. Das findet auch das Publikum, dass allen Beteiligten ausgiebigen Applaus zollt.
Ob sich das fast 100-seitige Programmbuch, das jeder Hörer bei jedem Besuch neu kostenlos angeboten bekommt, gerade auch unter Umweltaspekten noch zeitgemäß ist, werden die Verantwortlichen des Festivals sicher neu diskutieren müssen. Zumal der Informationsgehalt für die Einzelveranstaltung – wie am heutigen Abend – doch eher marginal ist.
Michael S. Zerban