O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder entfernt ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Mats Bäcker

Aktuelle Aufführungen

Die Botschaft heißt Frieden

KNITTING PEACE
(Tilde Björfors)

Besuch am
7. September 2023
(Premiere am 6. September 2023)

 

Düsseldorf-Festival, Zelt am Schlossturm

Das fängt ja gut an. Rechtzeitig zu Beginn des diesjährigen Düsseldorf-Festivals, das vom 6. bis zum 25. September an verschiedenen Spielstätten in der Landeshauptstadt stattfindet, verkündet der Wetterdienst eine Omega-Wetterlage. Dabei wird ein „Hoch westlich und östlich von Tiefs flankiert, die ebenfalls blockiert sind. Der Verlauf der Höhenströmung ähnelt dabei dem griechischen Buchstaben“. Solche Wetterlagen sind sehr stabil und können sich über mehrere Wochen halten. Die Rheinländer dürfen sich freuen. Sie liegen im Zentrum des Hochs. Der Einkauf am Nachmittag mit Kühlbox, damit die Lebensmittel auf dem Heimweg keinen Schaden nehmen? Sehr gerne. Und am Abend einfach mal raus. Da wird das Festival-Zelt neben dem Schlossturm in der Düsseldorfer Altstadt auch am Abend nach der Premiere nahezu überrannt. Die Kleiderordnung ist kollektiv geklärt. Die Damen in luftigen, sommerlich floralen Kleidern, die Herren lassen die weißen Socken in den Sandalen weg, kurze Hosen sind gern genommen. Das kennt man sonst nur von Festivals in mediterranen Ländern. Herrlich. Die Stimmung ist entsprechend entspannt.

Zumal die Botschaft des Abends schlicht Frieden heißt. Das kann man zweieinhalb Stunden genießen. Denn zur Eröffnung ist Cirkus Cirkör aus Schweden eingeladen. Das Ensemble ist quasi von Anfang an beim Festival dabei und präsentiert in diesem Jahr ein zehn Jahre altes Programm, das inzwischen eine beachtliche Karriere hinter sich hat. Denn inzwischen ist aus Knitting Peace, auf Deutsch heißt das strickender Frieden, eine weltweite Bewegung geworden, die im Kern sagt: Wer in beiden Händen Stricknadeln hält, kann keine Waffen benutzen.

Die Erwartungshaltung an das Bühnenprogramm, das Tilde Björfors entworfen hat, ist zu hoch. So beginnt der Abend „langweilig“ mit einer Frau, die im Bühnenvordergrund „strickt“, ehe sie das Ergebnis wieder zerfallen lässt. Also so ist das zumindest geplant, aber es hakelt. Und das wird noch eine Weile so bleiben. Erste Aktionen auf der Bühne, die von weißen Planen umrahmt ist, wirken unspektakulär. Es dauert, bis man begreift, dass es hier überhaupt nicht darum geht, Spitzenleistungen zirzensischer Akrobatik zu zeigen. Handstände in verschiedenen Variationen auf verschiedenen Höhen sind ebenso nett wie der Seilakrobat, der sich auf einem von zwei Fahrradfelgen bewegten Rundseil mit vielen Armbewegungen halbwegs stabil hält. Aber aufregend ist was anderes.

Foto © Mats Bäcker

Rund eine halbe Stunde später beginnt auch das Publikum zu verstehen, dass es hier keinen Nervenkitzel ohne Netz und doppelten Boden erleben wird. Und damit lassen dankenswerterweise auch die Versuche, jeden Handstand zu beklatschen, allmählich nach. Vielmehr reihen sich originelle Ideen rund um die Wolle aneinander, fast immer geschickt von Ulf Englund ins rechte Licht gesetzt. Die Kostüme von Anne Bonnevier wirken inzwischen etwas in die Jahre gekommen, durchaus funktional, sind durchweg weiß gehalten, erst später mischen sich auch ein paar rote Kleidchen dazwischen. Eine Sonderrolle nimmt Alexander Weibel Weibel in grauer Bekleidung nicht nur mit seinem Kostüm ein.

Er ist es auch, der für die spektakulärsten Einlagen sorgt, wenn er etwa aus vier oder fünf Seilen eine Schifferschaukel baut, in der er sich mehrfach überschlägt, oder auf dem Einrad oder einer Kugel halsbrecherisch zur Geige greift. Bis zur Pause weiß man nicht so recht, was eigentlich spannender ist, die akrobatischen Auftritte von Joana Dias, Saara Ahola und Mirja Jauhiainen, die zwischendurch auch singen, Aino Ihanainen mit Handständen und Stricken auf der Bühne oder die Knotenkunst, die allgegenwärtig und originell in die Darstellungen einfließt. Nach der Pause wird das akrobatische Niveau deutlich angehoben, wenn Nathalie Bertholio auf das Hochseil geht. Gegen Ende zeigt sie auch ein paar schöne Übungen mit dem Roue Cyr, also dem einen Reifen, der an ein Überbleibsel des Rhönrades erinnert und damit ähnliche Darstellungen erlaubt, die etwas graziler wirken.

Neben dem aufwändigen, immer wieder überraschend wechselnden Bühnenbild ist es vor allem die Musik, die Samuel „Looptok“ Andersson eigens für das Stück geschrieben hat und auch selbst vorträgt, die zum Gelingen des Abends beiträgt. In einer Gondel am Hintergrund über dem Bühnengeschehen greift er zu Geige, Gitarre, Schlagzeug oder lässt auch schon mal elektronische Elemente einfließen, wenn er nicht gerade von Weibel auf der Geige oder einer der Darstellerinnen auf der Ziehharmonika unterstützt wird.

So gelingt schlussendlich ein abwechslungs- und einfallsreicher, atmosphärisch dichter Abend, der den Menschen im vollbesetzten Zelt offenkundig viel Freude bereitet. Zumindest hält es am Ende niemanden mehr auf den Schalensitzen. Damit darf man die Eröffnung des diesjährigen Düsseldorf-Festivals als gelungen bezeichnen.

Michael S. Zerban