O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Der Optimismus bleibt

JUMP BLUES TRIO
(Diverse Komponisten)

Besuch am
25. Februar 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Alter Bahnhof Gerresheim, Düsseldorf

Je höher die Lebensqualität einer Stadt, desto leichter fällt es den ansässigen Unternehmen, exzellente Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden. Also ist die Stadt gefordert, die Lebensqualität hochzuhalten, um die Existenz der Unternehmen am Ort zu sichern. Dabei steht fest, dass ein wichtiger Faktor die kulturelle Vielfalt vor Ort ist. Dazu gehören in größeren Städten das Opernhaus, in jedem Fall ein oder mehrere Theater, aber auch Kinos sorgen dafür, dass die Stadt an Attraktivität gewinnt. Was gern unterschätzt wird, ist das kulturelle Angebot in den Stadtteilen. Wer am Abend erst ins Stadtzentrum muss, um sich mit einer musikalischen Veranstaltung, einer Lesung oder einer Ausstellung die seelische Nahrung zu holen, wird früher oder später überlegen, ob er im richtigen Stadtteil zu Hause ist. Einmal ganz abgesehen davon, dass gerade solche kulturellen Veranstaltungen mit dazu beitragen, sich mit dem Stadtteil zu identifizieren und so etwas wie Geborgenheit oder Heimatgefühl zu empfinden.

Agnezz – Foto © O-Ton

In der Landeshauptstadt Düsseldorf war der Stadtteil Gerresheim da deutlich ins Hintertreffen geraten, zudem vom Ende der Glashütte gebeutelt. Und so kam Dietrich Ahrens gerade recht, als er den Bahnhof Gerresheim übernahm, um daraus eine Mischung aus Veranstaltungsort für Hochzeiten und Ähnliches und einen Treffpunkt für Kultur zu machen. Bilderausstellungen, Lesungen und Konzerte waren angedacht, um aus dem 1840 gebauten Bahnhofsgebäude einen attraktiven Ort zu gestalten. Mit dem Beginn war auch schon wieder Schluss. Die Pandemie kam dem Veranstalter in die Quere. Die Ausrichtung einer Night of Light war im Nachhinein ein ungehört verhallender Hilferuf. Seither geht es auch für den Unternehmer ums nackte Überleben. Die festen Mitarbeiter bekommen Kurzarbeitergeld, Aushilfen und Dienstleister müssen sehen, wo sie bleiben. Das ist nicht die Hartherzigkeit eines seelenlosen Unternehmers, sondern von der Regierung so vorgesehen.

Ahrens lässt sich nicht entmutigen, beißt sich durch Papierberge von Anträgen auf Hilfsmittel. Und hat, wie es momentan aussieht, Erfolg. Auch wenn er Realist genug ist, um zu ahnen, dass sich in diesem Jahr größere Feiern erledigt haben, steht er mit seiner Mannschaft „Gewehr bei Fuß“, um sofort zu öffnen und Gastronomie anzubieten, sobald die Verfügungen der Regierung es zulassen. Und er geht den ersten Schritt, um, wie er sagt, bei seinen Gästen in Erinnerung zu bleiben. Er ruft den Neustart der Kultur in Gerresheim aus. Zunächst online. Die Bewilligung eines Hilfsmittelprogramms ermöglicht, dass er Künstler engagieren kann, die derzeit wie überall vor leeren Sälen auftreten und in Kameras blicken müssen.

Auch für Ahrens eine ungewohnte Situation. Aber das ist egal. Für den kulturellen Part seiner Unternehmung holt er Knut Roitzheim an seine Seite, der für das Engagement der Künstler zuständig ist und auch die technische Durchführung der Veranstaltungen übernehmen soll. Für den Auftakt hat der das Jump Blues Trio eingeladen. Und kommt an diesem Abend in den Genuss seines ersten eigenen Livestreams, den er ausschließlich auf Facebook zeigt. In der Übertragungstechnik zeigt Roitzheim sich mutig. Eine Kamera in der Totalen muss ausreichen. Immerhin hat er sich der Hilfe des Tontechnikers Rainer Kremer versichert, der für eine vernünftige Tonqualität bei der Übertragung sorgen soll. Um es vorwegzunehmen: Für das erste Mal geht herzlich wenig schief. Auch wenn die Besucher an den Monitoren sich im Chat über die mangelnde Lautstärke beschweren, während im Saal die Instrumente oft genug die Stimme der Sängerin unter sich begraben.

Georg Mahr – Foto © O-Ton

Aber was soll alles Klagen? Das Jump Blues Trio verbreitet gute Laune. Ursprünglich als Quintett mit Bassist und Blues-Mundharmonika gegründet, hat es sich in Krisenzeiten verkleinert. Raphael Landauer am Schlagzeug, Georg Mahr am Piano sowie die Sängerin Agnezz, mit bürgerlichem Namen Agnes Zarzeczny, sind geblieben, um der Krise zu trotzen. Seit knapp zwei Jahren arbeiten die drei in dieser Konstellation zusammen. Während Landauer und Mahr Jazz- und Blues-Urgesteine sind, kommt Agnezz ursprünglich aus dem klassischen Bereich. Sie hat ihre Studien in Düsseldorf und Krakau mit Diplomen als Gesangs- und Klavierpädagogin sowie als Pianistin abgeschlossen. Und inzwischen auch die Fragen nach der unsinnigen Trennung zwischen E- und U-Musik, die im Studium immer drängender wurden, für sich gelöst. Tagsüber kümmert sie sich um junge Leute, die das Klavierspiel oder klassischen Gesang erlernen wollen, abends lässt sie sich auf so viele Musikrichtungen wie möglich ein. Wer jetzt an eine Cover-Band denkt, wird schnell enttäuscht. Zwar sind da Titel wie The Wanderer, Flip Flop, One Scotch, Tainted Love oder auch mal ein Mambo erkennbar, aber die Musiker sind souverän genug, eigene Arrangements zu spielen und Agnezz findet ihre ganz individuelle Interpretation der Texte. Das klingt grandios, enorm unterhaltsam und macht gute Laune. Moderationen erübrigen sich da. Allenfalls kurze Rücksprachen zwischen den dreien, was man als nächstes wohl spielen könnte, spiegeln Spontaneität vor. Wie es sich gehört, herrscht eine entspannte Atmosphäre.

Im Hintergrund wartet ein kleines Catering, die anwesenden Mitarbeiter werden mit Getränken versorgt. Corona-Richtlinien verhindern, dass hier eine echte Feier entsteht, obwohl das Trio alles daran setzt, die richtige Stimmung zu erzeugen. Unterbrochen wird das Konzert durch ein Grußwort von Ahrens, dem es gelungen ist, die Bezirksbürgermeisterin mit auf die Bühne zu holen. Was in diesem Fall weniger lästiges Übel, sondern vielmehr ein gutes Zeichen ist, dass es auch in diesem Stadtteil mit der Kultur weitergehen kann. Maria Icking ist jedenfalls zuversichtlich.

Eine aufbereitete Version des Konzerts wird in den nächsten Tagen auf YouTube veröffentlicht. Die Streams sollen von nun an jeden Donnerstag übertragen werden, als nächstes ist eine Lesung vorgesehen. Auch einem Wiedersehen mit dem Jump Blues Trio steht nichts entgegen. Und da kommt Vorfreude auf.

Michael S. Zerban