O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Heute keine Schule

IHR HABT DEN RHEIN, WASCHT EUCH
(Heinrich Heine)

Besuch am
30. Januar 2022
(Zweite von zwei Aufführungen)

 

Heinrich-Heine-Institut, Bibliothek, Düsseldorf

In diesem Jahr wäre Heinrich Heine 225 Jahre alt geworden. Na gut, werden jetzt viele Menschen sagen. Reicht doch wirklich, wenn wir die 50-er und 100-er Jubiläen alter Meister feiern. Das kann für das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf natürlich nicht gelten. Hier wird das Jubiläumsjahr gerne zum Anlass genommen, auf den in Düsseldorf geborenen Dichter verstärkt hinzuweisen. Und so sind für dieses Jahr zahlreiche Veranstaltungen des Instituts geplant, das seinen Hauptsitz in den Patrizierhäusern auf der Bilker Straße 12-14, gleich gegenüber dem Palais Wittgenstein hat. Zum Auftakt gibt es ein kleines Theaterstück, das im Lesesaal der Bibliothek zwei Mal an einem Tag aufgeführt werden soll. Angekündigt als 45-Minüter, ist es am Ende gar noch zehn Minuten kürzer. Dass das besonders bedauerlich ist, liegt nicht nur daran, dass mit dem Stück eine besondere Mehrarbeit verbunden ist. Im Vorfeld, so ist dem Programmheft zu entnehmen, wurde eigens eine Umfrage erhoben, wie junge Leute Heinrich Heine heute sehen. Ergebnis sei unter anderem der Titel des heutigen Theaterstücks. Aber irgendetwas muss da schiefgelaufen sein. Denn auch wenn der Raum bis auf den letzten, zusätzlich hereingestellten Stuhl besetzt ist, sucht man hier vergeblich junge Erwachsene. Schön ist der Titel trotzdem: Ihr habt den Rhein, wascht Euch.

Wofür es bei diesen Protagonisten eines Regisseurs bedarf, sei dahingestellt, aber Sabine Brenner-Wilczek, Leiterin des Instituts, lässt sich diese Aufgabe nicht nehmen. Die Bühne ist naturgemäß überschaubar, bietet aber doch Platz für drei Flügel, ein Biedermeier-Sofa mit Beistelltisch, und einen Sprungbock sowie allerlei Requisiten. Im Hintergrund ist eine Leinwand vor den Bücherregalen aufgehängt, die für einige wenige Projektionen genutzt wird. Über die Flügel wird noch zu sprechen sein. 1827 erschien Ideen. Das Buch le Grand. Es gehört zu den Reisebildern Heinrich Heines. Ein Text daraus bildet die Grundlage für das Stück. Der ist insofern ungewöhnlich, als er sich nicht mit der üblichen Stadtbeschreibung beschäftigt, sondern eine Episode der Stadtgeschichte schildert. Und doch könnte kaum eine Episode Heines historische Rolle als letzter Vertreter und Überwinder der Romantik besser erfassen. Mit Eleganz und Leichtigkeit, mit genauem Blick auf die rheinische Lebensart und ihrer Figuren vermag er das Abdanken des Kurfürsten Jan Wellem und die Festivitäten zum Amtsantritt seines Nachfolgers, für den es einen Tag schulfrei gibt, aus Sicht eines Kindes als Ich-Erzähler zu schildern.

Frederike Möller – Foto © O-Ton

Das größte Glück eines Schauspielers ist wohl, wenn er eine dankbare Rolle für ein Solo bekommt. Wo sonst könnte er sich mehr beweisen? Kaum etwas dürfte schwieriger sein, als das Publikum allein auf der Bühne über einen noch so kleinen Zeitraum zu fesseln. Es hat seinen Grund, dass Thomas Karl Hagen seit 2010 immer wieder für das Heinrich-Heine-Institut als „Düsseldorfs größter Sohn“ auftritt. Ihm reichen die wenigen Requisiten, das leere Glas, aus dem er seinen Rheinwein trinkt, die Schürze, in die er seine Lust auf Apfeltörtchen hineintrauert, ein Pappschild, um das Abdanken des Fürsten zu bekunden, eine Schlafmütze, die den Gefühlszustand der Deutschen verschluckt, und eine Perücke, die so gelitten hat wie der Fürstenstand, den sie repräsentiert. Damit vermag er das Publikum zu fesseln, ihm das Wesen des Rheinländers einzuimpfen, das im Alltag der Landeshauptstadt so oft unterzugehen droht. Hier wiederaufersteht es, wenn der Nachbarsjunge ertrinkt, weil er ein Kätzchen rettet, der Ich-Erzähler auf das Reiterstandbild am Marktplatz – so heißt der Platz vor dem Rathaus – krabbelt, um den neuen Machthaber zu erleben und schwindelig herunterrutscht, ohne den neuen Machthaber gesehen zu haben.

Thomas Karl Hagen – Foto © O-Ton

Eigentlich ist es eine gute Idee, dass Pianistin Frederike Möller ihm von der Seite mit Einspielern sekundiert. Gleich drei Flügel hat sie dafür zur Verfügung. Ein Stutzflügel und zwei Toy Pianos hat die Musikerin ausgewählt. Und ihr Programm – ausgespielt – hätte vermutlich für ein wunderbares Konzert gereicht. Als bloße Einspieler ist es dann doch ein bisschen wenig. Wie hingeworfene Happen, die zum Verhungern zu viel, zur Sättigung zu wenig sind. Hier wären die fehlenden zehn Minuten gut aufgehoben gewesen. Zumal sich Möller hier einiges hat einfallen lassen. Beginnend mit Auf Flügeln des Gesanges von Felix Mendelssohn Bartholdy überbordend am Flügel, folgen Robert Schumanns Berg und Burgen im Arrangement von Clara Schumann und Helmut Lachenmanns Hänschen klein. Für das Toy Piano hat Möller einen Auszug aus der Bagatelle in F-Dur von Ludwig van Beethoven arrangiert – ebenso wie Johannes Sebastian Bachs Aria aus den Goldberg-Variationen. Eine Überraschung gibt es, wenn sie dem Stutzflügel mit dem Hammer die eigene Komposition Der Mond in der Schürze auf die Saiten poliert. Nach dem Wilden Reiter von Robert Schumann geht es zurück zu den Flügeln des Gesangs.

Ein flottes und brillant vorgetragenes Stück Heimatgeschichte geht zu schnell zu Ende, vielleicht ein wenig zu klein gedacht. Aber das interessiert das auf Veranstaltungen des Instituts geeichte Publikum nicht. Es applaudiert nachhaltig. Jetzt würde man sich Folgeaufführungen wünschen, die dann auch tatsächlich das jüngere Publikum erreichen. Die sind allerdings nicht vorgesehen. Aber das nächste Toy-Piano-Festival wird kommen, dessen Künstlerische Leiterin ja Frederike Möller ist. Vielleicht gibt es dann Platz für eine weitere Aufführung, die ein wenig Heimatgefühl vermittelt.

Michael S. Zerban