O-Ton

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Foto © Ingo Schäfer

Aktuelle Aufführungen

Wenn das Geschlecht zum Problem wird

I AM A PROBLEM
(Roland Petit, Aszure Barton)

Besuch am
28. Januar 2022
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, Oper Düsseldorf

Ballettdirektor Demis Volpi setzt an der Deutschen Oper am Rhein sein Kontrastprogramm zur abstrakten Ästhetik seines Vorgängers Martin Schläpfer mit zwei effektvollen Handlungsballetten fort. Unter dem Titel I am a Problem stellt Volpi zwei Choreografien nach bekannten literarischen Vorlagen zusammen, die über 70 Jahre voneinander trennen. Das titelgebende „Problem“ beider Stücke ist in den Geschlechterrollen der verführerischen Carmen von Prosper Mérimée und dem anarchischen Outlaw Baal von Bertolt Brecht verankert.

Wobei Roland Petit in seiner bereits 1949 kreierten und schon leicht angestaubten Carmen-Bearbeitung das Problem erheblich pittoresker und leichtfüßiger löst als die kanadische Choreografin Aszure Barton in ihrem nagelneuen Ballett Baal, das im Düsseldorfer Opernhaus mit großem Erfolg uraufgeführt wird.

Die immer noch gleichermaßen prickelnden wie ästhetischen Pas de Deux‘ der Carmen und ihres Verehrers Don José lösen mit ihren erotischen Reizen heute kein zwar kein provokantes Aufsehen mehr aus, behalten aber durchaus ihren Kultstatus. Gerade, weil Petit auch in diesen Teilen die klassischen Prinzipien nie ganz aufgibt und sogar die temperamentvollen Tänze in Spitzenschuhen ausführen lässt. Dass der elegant und selbstbewusst auftretende Don José mit dem kantigen, vor Eifersucht glühenden Basken von Mérimée und Bizet nichts gemein hat, kann man verschmerzen.

Übernommen hat man in Düsseldorf auch die ein wenig naiv-pittoresk anmutenden Bühnenbilder des spanischen Malers Antoni Clavé. Dass Carmen in der bubenhaft kurzen Frisur, mit der einst Petits Gattin, die legendäre Tänzerin und Sängerin Zizi Jeanmarie, bei der Londoner Uraufführung 1949 bei vielen Besuchern eine Schnappatmung auslöste, muss heute nicht unbedingt sein. Dafür bringt Futaba Ishizaki am Rhein eine gänzlich andere Persönlichkeit mit. Gleichwohl kann sie, wie auch ihr Partner Gustavo Carvalho als eifersüchtiger Don José, vollauf überzeugen.

Während sich Petit auf ein Arrangement der Opernmusik von Georges Bizet stützt, hat Aszure Barton für ihr Baal-Ballett mit der Komponistin Nastasia Khrustcheva eine eigene Klangkulisse entwickelt. Mit Anleihen an grotesk verzerrte höfische Tänze und vielen minimalistischen Endlosschleifen. Brechts Baal als Schreck der feinen Gesellschaft ist natürlich aus anderem Holz geschnitzt als die Carmen. In seinem giftgrünen Overall hebt er sich schroff von den gräulichen Gestalten der bürgerlichen Welt ab, fegt wie eine Abrissbirne durch die selbstgefällige Gesellschaft, verführt und vergewaltigt Menschen in Serie. Aber nicht nur die groben Züge der Figur arbeitet die Choreografin detailgenau aus. Man merkt Miquel Martinez Pedro in der Titelrolle an, dass die raue Fassade auch Reste eines innerlich verletzten Menschen verdeckt. Ganz im Sinne Brechts. Baal sei zwar „asozial, aber in einer asozialen Gesellschaft“.

Beide Ballette werden vom Ballett am Rhein in großer Besetzung mit ebenso großem innerem Einsatz ausgeführt. Die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Martin Braun sorgen für eine adäquate musikalische Stütze.

Begeisterter Beifall für zwei durchaus packende und sinnlich ansprechende Ballettstücke.

Pedro Obiera